Amnesty International Österreich hat am Mittwoch einen Kurzbericht zu den Vorfällen bei der Klimademo am 31. Mai 2019 in Wien veröffentlicht und darin erneut das Vorgehen der Polizei sowie den Umgang mit den Vorwürfen danach scharf kritisiert. Die Menschenrechtsorganisation forderte eine unabhängige Untersuchungsbehörde, die sich mit solchen Fällen auch rechtlich auseinandersetzen soll.
"Es ist für uns menschenrechtlich wahnsinnig wichtig, dass man an solchen Versammlungen teilnehmen kann, ohne sich vor der Polizei und vor allem vor Verletzungen fürchten zu müssen", erläuterte der Geschäftsführer von Amnesty International (ai) Österreich, Heinz Patzelt, im Gespräch mit der APA. "Einsätze wie der bei der Urania bewirken genau das Gegenteil."
Zu schnell aufgelöst
Am 31. Mai hatten Aktivisten der Umweltschutzinitiativen "Ende Geländewagen" und "Extinction Rebellion" den Ring bei der Urania blockiert. Dabei hatten sie sogenannte Tripods, einfache dreibeinige Türme, auf der Straße platziert, an die sich jeweils zwei Aktivisten gekettet hatten. Die Versammlung war nicht angemeldet, was laut Patzelt aber auch nichts zur Sache tut. "Die Anmeldung einer Versammlung dient nur dazu, dass sich die Exekutive besser darauf vorbereiten kann. Ist sie nicht angemeldet, ist die Versammlung trotzdem legal", erläuterte der (ai)-Chef.
Erster Kritikpunkt von Amnesty ist, dass die Versammlung viel zu schnell aufgelöst wurde und damit das Recht auf Versammlungsfreiheit per se verletzt wurde. Der Polizei komme dabei die Aufgabe zu, friedliche Proteste zu ermöglichen und die Beteiligten zu schützen. Das gilt der Menschenrechtsorganisation zufolge genauso für Spontandemos.
"Ausgangspunkt und Ursache ist, wie ein Einsatzleiter in einen solchen Einsatz geht", sagte Patzelt. Trotz Ausbildung, umfassender Schulung, Initiativen wie "Polizei macht Menschenrechte" und weiterführenden Trainings: "Entscheidend ist der Mittelbau. Und da geht es immer wieder einmal schief."
Unverhältnismäßig brutal?
Amnesty kritisierte weiters, dass die Zwangs- und Gewaltmaßnahmen bei der Räumung unverhältnismäßig waren. Ein Aktivist wurde beim Abtransport der Organisation zufolge eine Handfesselsperre verpasst. Zwei Polizisten packten demnach seine Handgelenke und wendeten Schmerzgriffe an. Bei einer späteren Behandlung wurde laut Amnesty festgestellt, dass der Mittelhandknochen der linken Hand gebrochen war. "Das ist eine schwere Körperverletzung", sagte der ai-Geschäftsführer und sprach von bedingtem Vorsatz.
Ein Unbeteiligter, der am Gehsteig stand, wurde wie andere zunächst aufgefordert wegzugehen. Er wurde laut Amnesty plötzlich von einer Polizeikraft ergriffen, durch die Sperrkette gezogen und in den "Schwitzkasten" genommen. In weiterer Folge fixierten ihn zwei Beamte am Boden in Bauchlage, zunächst parallel zu einem Polizeiwagen, nach einer Drehung durch die Polizisten quer zu dem Auto, mit dem Kopf unter dem Einsatzfahrzeug. Als sich der Wagen in Bewegung setzte, zogen die Beamten den Mann ruckartig weg. In weiterer Folge wurden ihm Handschellen angelegt und er im Gefangenentransporter in einer Einzelzelle ins Polizeianhaltezentrum (PAZ) Roßauer Lände transportiert. Obwohl die Identität des Mannes bekannt war - er hatte einen Ausweis bei sich -, wurde er von 16.20 bis 6.45 Uhr des darauffolgenden Tages festgehalten, heißt es in dem ai-Bericht. Strafrechtlich relevante Vorwürfe seien gegen ihn "zu keinem Zeitpunkt" erhoben worden. Er habe während der gesamten Dauer der Haft nicht telefonieren oder einen Anwalt kontaktieren dürfen, obwohl er dies mehrfach verlangt habe.
Ein anderer Aktivist sei ebenfalls mit Schmerzgriffen weggetragen worden, obwohl er sich nicht gewehrt habe. Ein Polizist habe ihn zu Boden gedrückt und ihm einem Schlag in den Hoden verabreicht. Die Dienstnummer des Beamten erhielt er dem ai-Bericht zufolge trotz Verlangen nicht, er wurde hingegen ein weiteres Mal in Bauchlage am Boden fixiert und mit Faustschlägen in die Nierengegend bearbeitet, weil er sich verspannt hatte. Laut Amnesty erlitt der Aktivist eine Prellung des Kopfes, Prellungen und Abschürfungen an der rechten Brustkorbhälfte und an beiden Armen. Die Menschenrechtsorganisation dokumentierte zudem einen Fall eines dritten Aktivisten, dem demnach ebenfalls Prellungen, eine Rissquetschwunde und Abschürfungen zugefügt wurden.
"Statt von Respekt und Verhältnismäßigkeit in Taktik und Vorgehen war das Verhalten der Einsatzkräfte bei dieser Demo von Abwehr, Gewaltanwendung und rigoroser Machtdurchsetzung bestimmt", sagte Patzelt. Er warnte davor, dass durch solche Einsätze ein "Chilling effect" ausgelöst werden können: Aus Furcht vor polizeilichen Maßnahmen könnten Menschen davon abgehalten werden, an Demonstrationen teilzunehmen. Patzelt erzählte in diesem Zusammenhang von einem befreundeten Vater einer 18-Jährigen, der nicht wolle, dass seine Tochter auf solche Versammlungen gehe - aus Angst, dass ihr etwas zustößt.
Dienstnummern sichtbar machen
Patzelt forderte, dass Polizisten die Dienstnummern bei solchen Einsätzen sichtbar tragen. "Es gibt keinen Grund, das nicht zu tun, außer Angst vor Beschwerden", sagte der ai-Geschäftsführer. "Vergangene Innenminister haben schon klar kommuniziert, dass sie das nicht wollen: 'Dann haben wir noch mehr Beschwerden', haben sie gesagt." Er kritisierte darüber hinaus den Umgang mit dem Vorkommnissen danach. Die Landespolizeidirektion Wien habe kommuniziert, dass die Evaluierung unterbrochen sei, weil Strafverfahren laufen. "Den logischen Zusammenhang muss man mir einmal erklären, was die Evaluierung eines Einsatzes mit Strafverfahren zu tun hat."
Patzelt sagte, dass die Leute innerhalb der Struktur des Innenministeriums wie beim Büro für besondere Ermittlungen (BBE) in Wien oder beim Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK) aus dem Innenministerium geholt und als eigene Gruppe beim Justizministerium zur Untersuchung solcher Vorfälle herangezogen werden sollten. Dabei sollte diese Gruppe auch von sich aus tätig werden dürfen. Ein Problem sei, das auch Anzeigen wegen Polizeigewalt bei der Polizei eingebracht werden müssten. Amnesty zitierte einen Betroffenen: "Das Schwierige ist, dass man diesem Apparat ausgesetzt ist und es wenig Möglichkeiten gibt, dagegen vorzugehen."
Für Patzelt wäre das ein klarer Vorteil für die Betroffenen: "Ich sitze nicht einem Mitglied der gleichen Gruppe gegenüber, die ich zur Anzeige bringen möchte." Die Volksanwaltschaft ist für den ai-Chef keine Alternative, denn sie ist keine Anklage- und Ermittlungsbehörde.