Mit Peter Seisenbacher ist am Montag einer der erfolgreichsten Sportler des Landes als Kinderschänder verurteilt worden. Ein Schöffensenat am Wiener Landesgericht verhängte über den Judo-Olympiasieger von Los Angeles 1984, der vier Jahre später seinen Titel bei den Olympischen Spielen in Seoul verteidigen konnte, eine fünfjährige Freiheitsstrafe. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Der mittlerweile 59-Jährige wurde nach zweitägiger Verhandlung in vollem Umfang der Anklage und somit wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen, sexuellen Missbrauchs von Unmündigen und Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses schuldig erkannt. Alle drei Belastungszeuginnen, die gegen das einstige Sport-Idol ausgesagt hatten, waren für das Gericht "außerordentlich glaubwürdig", wie der Vorsitzende Christoph Bauer betonte. "Wir haben nicht den Eindruck gehabt, dass die drei lügen, dass die drei sich geirrt haben, dass die drei sich gegen Sie verschworen haben", meinte Bauer in seiner Urteilsbegründung unter Anspielung auf Seisenbachers Verantwortung, der sich zu Beginn der Verhandlung als Opfer einer Verschwörung bezeichnet und nicht schuldig bekannt hatte.
Bei der Strafbemessung wurden Seisenbachers bisherige Unbescholtenheit, der lange zurückliegende Deliktszeitraum und dass seit rund 15 Jahren keine weiteren strafbaren Handlungen des Ex-Judokas bekannt geworden sind mildernd gewertet. Erschwerend berücksichtigte der Senat das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen und Vergehen, dass es mehrere Opfer gegeben hat und den langen Deliktszeitraum. Das verhängte Strafausmaß ließ keinen Platz für eine teilbedingte oder gar bedingte Strafnachsicht. Das ist bei einer mehr als dreijährigen Haftstrafe gesetzlich ausgeschlossen.
Seisenbacher blieb während der Urteilsverkündung gefasst und nahm den Ausgang des Strafverfahrens nach außen emotionslos zur Kenntnis. Sympathisanten im Zuschauerraum - vor allem Vertreter der heimischen Judo-Szene, aber auch der ukrainische Anwalt Seisenbachers waren anwesend - reagierten dagegen teilweise entsetzt. Auf die Frage des vorsitzenden Richters, ob er das Urteil verstanden habe, nickte Seisenbacher kurz. Das Gericht sprach zwei Betroffenen außerdem ein symbolisches Schmerzengeld von je zehn Euro, der dritten 100 Euro zu. Verteidiger Bernhard Lehofer erbat Bedenkzeit, Staatsanwältin Ursula Schrall-Kropiunig gab vorerst keine Erklärung ab. Damit hat der Richterspruch keine Rechtskraft.
Das erste Mädchen, an dem sich Seisenbacher laut erstinstanzlichem Urteil vergriffen hat, war neun Jahre alt, als er als ihr Trainer die ersten Missbrauchshandlungen setzte. Diese dauerten mehrere Jahre an. Den Betroffenen - der ehemalige Seisenbacher-Schützling lebt inzwischen als Mann -, der in der Vorwoche unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen wurde, ließ der Richter in seiner Urteilsbegründung mehrfach zu Wort kommen, indem er Passagen aus der Zeugenbefragung zitierte.
Damit wurde für die Anwesenden deutlich, weshalb der Mann erst als Erwachsener Anzeige erstattet hatte. "Ich muss dazu sagen, dass ich ihn (Seisenbacher, Anm.) einfach gemocht habe. Er war wie ein zweiter Vater für mich", hatte der inzwischen 31-jährige Jurist dem Schöffensenat offengelegt. Und weiter: "Ich habe eine Zeit lang geglaubt, ich nehme das (den erlebten Missbrauch, Anm.) mit ins Grab. Ich wollte das niemandem sagen." Dann sei es ihm jedoch zunehmend schwerer gefallen, dass die eigene Mutter weiter mit Seisenbacher befreundet war und nicht ahnte, dass dieser ihr eigenes Kind missbraucht hatte.
"Es ist ein Irrtum, dass Kinder etwas erzählen, wenn ihnen Schlimmes widerfährt", betonte in diesem Zusammenhang die auf Opferrechte spezialisierte Anwältin Eva Plaz kurz vor der Urteilsberatung im Gerichtssaal. Plaz vertritt seit Jahren den 31-Jährigen und die zweite Betroffene, die der Doppel-Olympiasieger schwer missbraucht haben soll. Seisenbacher sei ein typischer narzisstischer Täter, "einer der glaubt, Regeln und Gesetze sind nur etwas für Schwache". Narzissten hätten "eine enorme Anziehungskraft", auch die von den Übergriffen betroffenen Schützlinge hätten Seisenbacher "verehrt und geliebt", sagte Plaz. Als das erste Missbrauchsopfer älter und körperlich kräftiger wurde, habe es nicht mehr Seisenbachers "Beuteschema" entsprochen und sei von diesem "abserviert" und durch ein anderes Mädchen ersetzt worden, legte Plaz dar.
Nicht nur die Judo-Szene, auch weite Teile der Öffentlichkeit hatten ungläubig reagiert, als seinerzeit bekannt wurde, dass die Wiener Staatsanwaltschaft gegen Seisenbacher Ermittlungen wegen sexuellen Missbrauchs von Unmündigen aufgenommen hatten. Seisenbacher blieb nach dem Ende seiner aktiven Karriere für viele ein Idol. 1996 wurde ihm das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen. Er selbst gründete in Wien einen eigenen Judo-Verein, wo er den nunmehrigen gerichtlichen Feststellungen zufolge erstmals 1997 ein Kind körperlich zu bedrängen begann. Von 1999 an kam es zu geschlechtlichen Handlungen, die sich bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres der Betroffenen wiederholt haben sollen.
Ab Sommer 2004 soll sich der Ex-Judoka an ein damals 13 Jahre altes Mädchen herangemacht haben, das er ebenfalls als Trainer in der Kindergruppe in seinem Judo-Verein betreut hatte. Auch mit diesem Mädchen kam es laut nicht rechtskräftigem Urteil zu sexuellen Handlungen. Zuvor soll Seisenbacher auf einem Judo-Sommerlager im August 2001 versucht haben, einer damals 16-Jährigen näher zu kommen. Die 16-Jährige wehrte ihn ihrer Darstellung zufolge ab. Dieser Vorgang wurde von der Staatsanwaltschaft als versuchter Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses qualifiziert.
Der Angeklagte hatte bis zum Schluss der Verhandlung sämtliche Vorwürfe bestritten. "Sie sagen die Unwahrheit", bekräftigte er am zweiten Verhandlungstag auf Vorhalt der Angaben der Belastungszeuginnen. Dass er vor drei Jahren Richtung Ukraine geflohen war und sich seinem ursprünglich auf den 19. Dezember 2016 angesetzten Prozess entzogen hatte - Seisenbacher wurde erst im September 2019 an die Wiener Justiz übergeben, seither befindet er sich in U-Haft - hatte auf das Strafausmaß keine Auswirkung, betonte der vorsitzende Richter.