Am Wiener Landesgericht ist am Montag der Missbrauchsprozess gegen Judo-Doppelolympiasieger Peter Seisenbacher fortgesetzt worden. Der 59-Jährige beharrte vor dem Schöffensenat (Vorsitz: Christoph Bauer) weiter auf seiner Schuldlosigkeit: "Ich bleibe bei meiner Aussage vom ersten Tag."
"Haben Sie das Gefühl gehabt, dass sie gelogen haben?", sprach der Richter den Angeklagten direkt auf die beiden Hauptbelastungszeuginnen an, die am vergangenen Montag unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgesagt hatten und dabei ihre bisherigen Angaben aufrechterhalten haben sollen. Laut Anklage soll sich Seisenbacher an den beiden damals Unmündigen als ihr Trainer vergangen haben. "Sie sagen die Unwahrheit", insistierte Seisenbacher. In Bezug auf jene ehemalige Schülerin, die er der Anklage zufolge mehrere Dutzende Male missbraucht haben soll, erklärte der 59-Jährige, es sei "sicherlich ein Teilaspekt" der gegen ihn erhobenen Anschuldigungen, dass er sie bei einem Studien-Aufenthalt in Japan nicht unterstützt habe. Er glaube daher beweisen zu können, "dass sie hier ein Märchen erzählt hat".
Freundschaftliches Trainer-Schüler-Verhältnis
Die langjährige Lebensgefährtin Seisenbachers erklärte im Zeugenstand, der Olympiasieger habe zu den beiden Schützlingen "ein ganz normales freundschaftliches Trainer-Schüler-Verhältnis" gehabt. Was Berührungen betrifft, sei ihr nichts aufgefallen: "Wenn ich nur ansatzweise ein komisches Gefühl gehabt hätte, dass da etwas mit Mädchen ist, dann hätte ich sicher keine Beziehung mit ihm geführt." Die beiden Mädchen hätten hin und wieder auf ihre Kinder aus einer vorangegangenen Beziehung aufgepasst.
"Komische Situationen"
Vernommen wurde auch ein Mann, der seinerzeit in Seisenbachers Judo-Verein trainiert und an Wochenenden an Trainingslagern teilgenommen hatte. "Es gab komische Situationen, wo ich mich sehr unwohl gefühlt habe", schilderte der mittlerweile 29-Jährige. Bei einer Gelegenheit habe er in der Nacht im Matratzenlager in Seisenbachers Schlafsack "eindeutige Bewegungen wahrgenommen, die ich sehr komisch gefunden habe als kleines Kind". Er sei damals acht oder neun Jahre alt gewesen. Die Bewegungen beschrieb der Zeuge als "ruckartig" und "schaukelig": "Ich wusste, da passiert etwas." Im Schlafsack hätte sich eine zweite Person befunden, nahm der 29-Jährige an.
Bei einer anderen Gelegenheit habe er beim Übernachten in einem Trainingslager eine der laut Staatsanwaltschaft von sexuellen Übergriffen Betroffene halbnackt am Rücken neben ihrem Schlafsack liegend wahrgenommen: "Sie war wie eingefroren." Seisenbacher habe sich über das Mädchen gebeugt. Ihm sei klar gewesen, "dass mir das kein Mensch glauben wird. Ich war immer der Träumer, der Fantasierer", gab der Zeuge an.
Vor der Einvernahme einer Frau, die als 16-Jährige einen sexuell konnotierten Annäherungsversuch Seisenbachers während eines Judo-Sommerlagers im August 2001 abgewehrt haben soll, und der detaillierten Befragung einer weiteren Zeugin, die als ebenfalls 16-Jährige mit Seisenbacher eine einvernehmliche sexuelle Beziehung unterhalten hatte, wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen.
Sollten im Anschluss keine weiteren Beweisanträge gestellt werden, wären nach Verlesung des Akteninhalts bereits die Schlussvorträge von Staatsanwaltschaft und Verteidigung vorgesehen. Mit dem Urteil wäre diesfalls in den Nachmittagsstunden zu rechnen. Seisenbacher drohen ihm Fall eines Schuldspruchs bis zu zehn Jahre Haft.
Zusätzliche Beweisanträge abgewiesen
Der Schöffensenat hat sämtliche zusätzlichen Beweisanträge von Verteidiger Bernhard Lehofer abgewiesen. Der Anwalt hatte unter anderem die zeugenschaftliche Befragung mehrerer ehemaliger Schüler Seisenbachers sowie von drei Ex-Trainern in Seisenbachers früherem Judo-Verein verlangt, um damit zu beweisen, dass die inkriminierten Missbrauchshandlungen nicht stattgefunden hatten. Für den Senat hatten die Beweisanträge keine Relevanz.
Anklägerin für "unbedingte Freiheitsstrafe"
"Die Beweislage reicht aus, um den Angeklagten im Sinn der Anklage schuldig zu sprechen", sagte Staatsanwältin Ursula Schrall-Kropiunig in ihrem Schlusswort. Den vom Angeklagten behaupteten "Promi-Malus" gebe es nicht: "Für ihn gelten die gleichen Regeln wie für alle anderen."
Daher wäre in diesem Fall die für schweren sexuellen Missbrauch von Unmündigen gesetzlich vorgesehene Höchststrafe von zehn Jahren "nicht vertretbar", hielt die Staatsanwältin fest. Seisenbacher sei bisher unbescholten und habe dem Ermittlungsstand zufolge seit über 15 Jahren auch keine strafbaren Handlungen gesetzt. Allerdings habe dieser zwei unmündige Mädchen missbraucht, eines davon über mehrere Jahre. Schrall-Kropiunig sprach sich daher für eine "naturgemäß unbedingte Freiheitsstrafe" aus, was eine Haftstrafe von mehr als drei Jahren voraussetzen würde. Nur in diesem Fall wäre eine gänzliche oder teilweise bedingte Strafnachsicht gesetzlich ausgeschlossen.
Verteidiger Bernhard Lehofer verlangte dagegen einen Freispruch. Seisenbacher sei nicht "der böse Narzisst, der Mephisto". "Ich und viele, viele andere Leute sind von seiner Unschuld überzeugt", betonte Lehofer. Er zählte "Risikofaktoren" auf, die er den Belastungszeuginnen unterstellte. Diese könnten aus Eifersucht, aufgrund schwerer Enttäuschungen oder psychischer Probleme die Unwahrheit gesagt haben, mutmaßte der Anwalt: "Ihre Angaben sind nicht derart valide, dass man einen unbescholtenen Mann verurteilten könnte." Demgegenüber ortete Lehofer "ausreichend Argumente, um den Ausführungen des Herrn Seisenbacher Glauben zu schenken."
Seisenbacher selbst verzichtete auf ein Schlusswort und verwies auf Lehofers Feststellungen.