In einem Interview in der ZiB2 hat der Grazer Historiker Stefan Karner von der möglichen Existenz eines unterirdischen Konzentrationslagers im oberösterreichischen Gusen gesprochen. Es gäbe neue Dokumente, die darauf hinweisen würden, betonte Karner im ORF. Die "völlig neuen" Dokumente von "den Amerikanern", "Zeitzeugen" und "Österreichern", würden eine "starke Indizienkette zeigen", "wonach es in Gusen weit mehr gegeben hat, als bisher vermutet wurde". Den Indizien würde nun nachgegangen, hieß es in dem Bericht weiter.
Die Diskussion um geheime Nazi-Stollen in St. Georgen an der Gusen (Bezirk Perg) in Oberösterreich war aber bereits durch eine im ZDF ausgestrahlte Doku neu entfacht worden. Demnach könnte es dort ein bisher unbekanntes unterirdisches Konzentrationslager gegeben haben. Für die zuständige KZ-Gedenkstätte Mauthausen liegen dafür keine bekannten Belege oder Fakten vor, teilte sie auf APA-Anfrage am Montag mit.
Anlage größer als angenommen?
Die jüngste ZDF-Doku zum Thema KZ Gusen stammt wieder vom Linzer Filmemachers Andreas Sulzer. Er hatte bereits 2015 eine Dokumentation über das KZ - ein Außenlager von Mauthausen - gestaltet. Dort hielten die Nazis mindestens 71.000 Menschen aus 27 Nationen gefangen, mehr als die Hälfte kam zu Tode. Der Bau der acht Kilometer langen Anlage des NS-Rüstungsprojektes "Bergkristall" zur unterirdischen Flugzeugproduktion kostete mehr als 8.600 KZ-Häftlingen das Leben. Ein Großteil der Gänge wurde später zerstört oder aus Sicherheitsgründen verfüllt. Die Dokumentation berichtete auch über die Vermutung, die Anlage könnte größer sein, als bisher bekannt, und es könnte sich dort auch ein Atom- und Raketenforschungszentrum der Nazis befunden haben.
Eine Experten-Kommission, darunter Historiker, Archäologen, Fachleute für Stollenbau, für Schießwesen, des Bundesdenkmalamtes, der Bundesimmobiliengesellschaft und der Umweltschutzabteilung des Landes, untersuchten diese Vermutungen und stellten danach fest, alle in dem Film angeführten Beweise für die Vermutungen hätten einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standgehalten. Schon 2015 war auch die Rede davon, dass in unbekannten, gesprengten Stollen mehrere Zehntausend "fehlende" tote Häftlinge liegen könnten. Dem wurde unter Hinweis auf die gesicherten Zahlen über die in den Konzentrationslagern festgehaltenen Menschen widersprochen.
Relativ gut erforscht
In der jüngsten Doku war dieser Aspekt erneut ein Thema. Dem hält die Direktorin der KZ-Gedenkstätte Mauthausen Barbara Glück entgegen, dass das KZ Gusen relativ gut erforscht sei. Unter dem, was bisher vorliege, gebe es keine Belege oder Fakten dafür, dass sich in dem Stollensystem eine zweite Ebene, eine Atomwaffen- oder Raketenforschung sowie ein zweites KZ befunden habe. Vielmehr wären in dem Film nur Indizien oder Spekulationen berichtet worden, von denen einige sogar sofort vom Tisch gewischt werden könnten. Als Beispiel nannte Glück, "Veränderungsmeldungen" vom 8. und vom 9. April 1945, wonach über Nacht 18.000 KZ-Häftlinge "verschwunden" seien. Eine in der Gedenkstätte vorhandene Datenbank, die es ermögliche "fast jeden Häftling beim Namen zu nennen", zeige, dass in Gusen immer rund 23.000 Personen inhaftiert waren.
Die Direktorin verlangte eine ordentliche Quellenkritik als Basis für eine fundierte wissenschaftliche Aufbereitung. Auch die gesendeten Zeitzeugenaussagen seien keine Tatsachen und müssten in den historischen Kontext gestellt werden. Sie wolle nicht ausschließen, dass es rund um das Konzentrationslager Gusen noch bisher unbekannte Fakten gebe. "Aber nicht hinter jedem kleinen Detail verbirgt sich ein bisher unbekanntes großes KZ", stellte sie fest. Wenn es neue Dokumente gäbe, wäre die Gedenkstätte die Erste, die sich anstellen würde, um sie für eine wissenschaftliche Aufarbeitung zu bekommen. Man habe diesbezüglich bereits Kontakt aufgenommen. Jedoch sei mitgeteilt worden, dass die Dokumente nicht ihr, sondern einer internationalen Kommission vorgelegt würden. Glück bedauert dies und warnt auch davor, dass die örtliche Bevölkerung durch unbewiesene Behauptungen verunsichert werde.
Sehen Sie hier das gesamte Studiogespräch mit Stefan Karner: