Keiner, der den Film „Rush“ gesehen hat, kann die Bilder dieser Szene je vergessen: Niki Lauda liegt nach seinem Formel-1-Unfall am Nürburgring mit schwersten Verbrennungen auf der Intensivstation, seine Lunge muss abgesaugt werden, fünf Tage lang. Eine unvorstellbar schmerzhafte Prozedur. Dr. Eike Martin, einer der damals behandelten Ärzte, erinnerte sich später in einem Interview: „Aus Laudas Lunge haben wir permanent ein schwarzes Sekret abgesogen, das war das Plastik aus der Karosserie, das er inhaliert hatte. Auch die Substanz, mit der der Brand gelöscht worden war, kam wieder raus. Wir mussten die Lunge absaugen, jede halbe Stunde. Wir haben ihm Schmerzmittel gegeben. Aber es war beinahe unmenschlich, was er ausgehalten hat.“
Lauda hatte seinen Unfall bei Kilometer 10,6, Passage „Am Bergwerk“: Er saß zwischen 50 und 55 Sekunden im Feuer, mitten in 200 Liter Benzin, bei Temperaturen von 800 Grad Celsius. 95 Prozent der Menschen mit solchen Verletzungen sind zu jener Zeit, 1976, binnen kurzer Zeit gestorben. Lauda überlebte, ein ungewöhnlicher Patient: „Er hat gewunken, wann er wieder zur Behandlung bereit war.“ Von den (wenigen) Menschen, die bei Bewusstsein sind, gibt es kaum welche, die diese unglaubliche Selbstdisziplin haben, diese Schmerzen konsequent auf sich zu nehmen. Lauda aber sagt: „Mir war vollkommen klar, was die hier machen – und dass das einfach notwendig ist und geschehen muss, wenn ich wieder gesund werden will.“
Die Leiden des Niki Lauda – im unglaublich intensiven und an Dramen reichen Leben des weltweit berühmtesten lebenden Österreichers (Arnold Schwarzenegger hat ja seinen Pass zurückgegeben) – sind eine Geschichte für sich.
In diesen Tagen jetzt, in denen er im Wiener AKH nach einer Lungentransplantation um sein Leben kämpft, hat Lauda Organe von vier verschiedenen Menschen in sich: Die eben implantierte Lunge, die aus Deutschland kam, dazu die Spender-Nieren von seiner Frau Birgit und von seinem Bruder Florian.
Während die von seiner Frau 2005 gespendete Niere bis zuletzt hervorragend arbeitete, sind seine beiden funktionsfähigen eigenen Nieren und auch die ebenfalls bereits inaktive Transplant-Niere seines Bruders immer noch im Körper. In der Regel behalten Menschen, die eine Niere bekommen, ihre alten Organe. Eine Entnahme wäre meist unnötig, kompliziert und mit Risiken behaftet, daher lebt Lauda nun mit vier Nieren. Das könnte jetzt aber eine zusätzliche Problematik werden – denn in seinem ungewöhnlichen Fall muss die neue Lunge nicht nur vom eigenen Körper angenommen werden (mithilfe von Immunsuppressiva-Therapie), sondern auch von den beiden „fremden“ Nieren.
"Der perfekte Patient"
Für die Nephrologen war Lauda freilich von Anfang an „der perfekte Patient“ – etwa aufgrund seiner Selbstdisziplin beim Einnehmen der Medikamente. „Die Immunsuppressiva sind das Einzige, das ich nehmen muss, und es geht mir damit seit Jahren super“, schwärmte er noch vor wenigen Monaten, „es ist nur wenig, das ich tun muss – das aber konsequent. Ich nehme meine Tabletten nicht um 8:59 oder um 9:05 Uhr, sondern um Punkt 9 Uhr.“ Auch Rituale wie einen Mittagsschlaf hielt er über Jahre immer ein.
Wer an Niki Laudas Gesundheit denkt, dem fällt fast automatisch auch der Name Willi Dungl ein. Der 2002 verstorbene Fitmacher war für Lauda so etwas wie ein Lebensmensch in Sachen Körperbewusstsein und er wurde zum Prototyp des umtriebigen Helfers, der für jedes noch so große oder noch so kleine Leiden einen Tipp parat hatte.
Dabei begann die Beziehung der beiden höchst distanziert. Lauda: „Ich habe mir beim Traktorfahren in Salzburg die Rippen gebrochen. Ein alter Journalist hat mir den Dungl vermittelt. Da bin ich in Salzburg im Bett gelegen und er hat Dungl mitgebracht. Der schaut mich so an und sagt nur: Rippen gebrochen, da kann man nix machen.“ Wenn Lauda was wolle, sollte er doch zu ihm nach Wien kommen.
Der Superstar war außer sich über diese Arroganz und fuhr doch ein paar Tage später, da immer noch voller Schmerzen, von Salzburg nach Wien. „Zu Dungl bin ich nur hineingekrochen, es hat alles wehgetan.“ Doch dieses Zu-Kreuze-Kriechen gefiel dem Fitmacher: „Ich dachte, Sie sind einer dieser undisziplinierten Sportler. Doch jetzt weiß ich, mit Ihnen kann ich arbeiten.“
Und das wenige Monate später mehr, als man sich vorstellen konnte: Laudas Unglück am Nürburgring hatte dramatische Folgen, auch nachdem die Lebensgefahr gebannt war und der Österreicher sogar die Letzte Ölung durch einen Priester erlebt hatte. Nicht nur die optischen Auswirkungen waren dramatisch. Dr. Martin: „Am Anfang war sein Kopf ungefähr so breit wie die Schultern.“
In Zeiten wie jetzt, in denen die Hetze in den sozialen Netzwerken allgegenwärtig ist, würde man nicht denken, wie arg es auch damals schon mit der Menschenverachtung in Worten war. Lauda bekam Briefe per Post mit derbsten Beschimpfungen und dem Bedauern, „dass er die Erdäpfel nicht endlich von unten ansehen muss“.
Zynismus, Sarkasmus, Witz
Laudas Weg, mit all diesen Wunden umzugehen, war schnell gefunden: Zynismus, Sarkasmus, Witz. Der englische Journalist Jeff Hutchinson erinnert sich, dass Lauda bei seinem sensationellen Comeback in Monza, nur 42 Tage nach dem Unfall und mit völlig verwundetem Gesicht, Witze über seinen Zustand machte: „Er erzählte mir von einem Wettrennen zwischen einem Hasen und einer Schildkröte. Die Schildkröte gewinnt und outet sich als Niki Lauda: Ich habe keine Ohren, keine Haare und ein runzliges Gesicht – du musst doch wissen, wer ich bin.“
Lauda sagt, dass er es Jahrzehnte später immer noch spürt, „wenn mir jemand von hinten auf den verbrannten Ohrwaschel schaut“, und die Art, wie er es sagt, lässt erahnen, dass es ihm, dem vermeintlichen „Computer“, immer wieder aufs Neue getroffen hat. Auf die Segnungen der plastischen Chirurgie hat er trotzdem immer verzichtet: „So sieht man eben aus, wenn man 50 Sekunden im Feuer sitzt.“
Aber was sind auch schon all die äußeren Verwundungen gegen die inneren. Auf den Tag genau vor 42 Jahren lag Niki Lauda schon einmal auf einer Intensivstation und kämpfte mit schweren Lungenverletzungen um sein Leben. Nun wiederholt sich die Geschichte nach einer Lungentransplantation. Möge sich das Wunder wiederholen.
Gerald Enzinger