Am Landesgericht Wiener Neustadt hat am Donnerstag ein Mordprozess gegen einen 59-Jährigen begonnen. Der Niederösterreicher soll eine 70-Jährige in deren Wohnung in Neunkirchen mit 35 Messerstichen getötet haben, das Opfer wurde am 11. Oktober des Vorjahres von einer Bekannten leblos aufgefunden. Der Angeklagte bekannte sich nicht schuldig. Ein Urteil wird für 25. September erwartet.

Laut Anklage soll der Mann der 70-Jährigen insgesamt 35 Stiche gegen den Kopf, Hals-/Nackenbereich und Oberkörper zugefügt haben, von denen sieben die Lunge und davon zwei auch das Herz durchdrangen. Zudem warf ihm die Staatsanwaltschaft falsche Beweisaussage vor, weil er heuer am 4. April bei einer Zeugeneinvernahme durch Kriminalbeamte behauptet haben soll, er habe von dem Mord erst durch ein Telefonat erfahren und sei noch nie in der Wohnung des Opfers gewesen. Ein Vergleich von DNA-Spuren am Tatort hatte zum 59-Jährigen geführt. Der geschiedene Frühpensionist soll eine On-Off-Beziehung zu einer Bewohnerin der Wohnhausanlage, in der die 70-Jährige lebte, gehabt haben.

Verteidiger Michael Dohr betonte, sein Mandant sei nicht der Täter, er beantragte einen Freispruch. Der Rechtsanwalt sah "Pannen" in den Ermittlungen. So könne etwa der von der Staatsanwaltschaft auf Basis einer Zeugenaussage und im Magen des Opfers gefundenen Essensresten angenommene Tatzeitpunkt am 8. Oktober 2017 gegen 12.30 Uhr nicht stimmen, denn eine Frau habe das Opfer am Tag darauf noch gesehen. Zudem passt laut dem Rechtsvertreter das Bewegungsprofil nicht mit den Vorwürfen zusammen - das Handy des 59-Jährigen sei am 8. Oktober erst ab 12.55 Uhr am Tatort eingeloggt gewesen.

Ein Motiv des Angeklagten gebe es nicht, so der Verteidiger. Ein Täter, der jemanden mit 35 Messerstichen töte, müsse Hass empfinden, der nur bei einer Beziehung zum Opfer da sein könne. Sein Mandant habe nicht einmal die Telefonnummer der Pensionistin gehabt - "wieso sollte er sie massakrieren?", meinte der Rechtsanwalt. Außerdem seien am Tatort DNA-Spuren einer weiteren männlichen, unbekannten Person gefunden worden.

"Es war fürchterlich"

Zur auf der Leiche der 70-Jährigen gefundenen DNA des 59-Jährigen sagte der Verteidiger, sein Mandant habe beim Hinausgehen aus dem Haus bemerkt, dass die Wohnungstür der Pensionistin im Parterre offen gewesen sei. "Das ist mir komisch vorgekommen", berichtete der Angeklagte selbst, daraufhin sei er reingegangen und habe mit dem Ellbogen die Eingangs- sowie die Glastür aufgemacht. Er berichtete, die Pensionistin kniend gefunden, mehrmals ihren Vornamen gesagt und sie aufgezerrt zu haben. Dann positionierte er die blutüberströmte Leiche laut Aussage wieder so, wie er sie gefunden hatte. Das demonstrierte er anhand einer Puppe. Es sei "fürchterlich" gewesen, "ich habe Panik bekommen".

Da seine Hände voller Blut gewesen seien, stieg der 59-Jährige laut seinen Angaben über die Leiche und wusch sich die Hände. Dazu habe er ein Häferl, das dort stand, weggestellt - auch darauf wurde seine DNA gefunden. Mit einem Putzschwamm habe er anschließend das Blut vom Wasserhahn weggewischt und sich rund eine Minute lang hingesetzt, bevor er aus der Wohnung flüchtete. Zuvor habe er die Geldbörse der 70-Jährigen aufgehoben - auch auf der Brieftasche wurden DNA-Spuren des 59-Jährigen gefunden.

Bluttat nicht gleich ersichtlich

Am Abend des 7. Oktober 2017 war das spätere Opfer bei einer Geburtstagsfeier in einem Cafe zum letzten Mal lebend gesehen worden. Die Frau soll das Lokal gegen Mitternacht verlassen haben. Der Todeszeitpunkt der 70-Jährigen konnte nicht genau festgestellt werden, hieß es in dem Mordprozess in Wiener Neustadt. Laut Gutachterin Christa Nussbaumer stammten mehrere DNA-Spuren vom Angeklagten.

Für die Bestatter war nicht sofort ersichtlich, dass die Frau ermordet worden war. Der Angeklagte gab dagegen am Donnerstag an, gleich bei Auffindung von einem Verbrechen ausgegangen zu sein. Er begründete das u.a. mit einer Blutlacke und Blut im Gesicht des Opfers. Wieso er nicht die Einsatzkräfte verständigt hatte, konnte der 59-Jährige nicht schlüssig erklären. Er rechtfertigte das mit "Panik" bzw. "Angst" nach Auffinden der Leiche.

Zwei Bestatter berichteten als Zeugen, dass die Tote in der Küche der Wohnung in Neunkirchen gelegen sei, ein Schnitt im Gesicht der Frau sei ihnen zuerst gar nicht aufgefallen. Erst als sie die schwarze Weste der Frau öffneten, wurden zahlreiche Wunden sichtbar. Ein Bestatter, der zuvor selbst in dem Mehrparteienhaus gewohnt hatte, bezeichnete es als "ungewöhnlich", dass die Wohnungstür offengestanden und der Schlüssel in der Wohnung gewesen sei.

Ein Polizist sagte, dass man unter anderem anhand einer am Wohnzimmertisch liegenden Tageszeitung von 8. Oktober und der in der Küche gefundenen Reste von Essen, das sich auch im Magen der 70-Jährigen befand, auf Sonntagmittag als Tatzeit gekommen sei. Am Tag darauf gab es verpasste Anrufe bei der zurückgezogen lebenden Pensionistin - am Morgen von einer Zahnarzthelferin, am späten Vormittag von einer Freundin. Jene Frau, die angab, das Opfer am 9. Oktober gesehen zu haben, "hat sich geirrt", meinte der Polizist.

Die Wohnung habe sehr ordentlich gewirkt, berichteten die Bestatter. Die Geldbörse der Frau lag auf dem Tisch, laut dem Polizisten wurden auch zwei Sparbücher und 5.000 Euro in bar gefunden.

Von Freundin gefunden

Eine Freundin des Opfers hatte die Pensionistin am 11. Oktober tot in der Wohnung gefunden. Bei seinem Eintreffen befand sich die Leiche bereits im Sarg, berichtete ein Ermittler, ein weiterer soll am zweiten Verhandlungstag befragt werden. Der Tatort sei dokumentiert und in den folgenden Monaten das Umfeld der 70-Jährigen durchleuchtet worden. 75 Personen wurden überprüft bzw. als Zeugen vernommen und von einigen DNA-Abstriche genommen. Ein Vergleich mit der DNA des 59-Jährigen ergab einen Treffer.

Die Verteidigung kritisierte die Ermittlungsarbeit der Polizei. So sei etwa ein Streit, der im oberen Stock stattgefunden haben soll, mit der Bluttat im Parterre in Verbindung gebracht worden. Auch die Auswertung der Rufdaten wurde bemängelt, da sich diese nur auf den 8. Oktober bezogen habe.

Laut der Sachverständigen Christa Nussbaumer wurden über 60 Spuren - beispielsweise von der blutdurchtränkten Weste des Opfers - gesichert und analysiert sowie mit 37 Vergleichsproben abgeglichen. Mehrere sichergestellte DNA-Spuren - etwa an der Leiche, an der Geldbörse des Opfers und an einem Kaffeehäferl in der Wohnung - wurden dem Angeklagten zugeordnet, weitere stammten von einem Bestatter und einer Freundin der 70-Jährigen.

Am 25. September wird die Geschworenenverhandlung unter Vorsitz von Richterin Birgit Borns fortgesetzt. Auf dem Programm stehen weitere Zeugenbefragungen und Gutachten