Mexiko war das einzige Land der Welt, das 1938 beim Völkerbund, dem „Vorgänger“ der UNO, schriftlichen Protest gegen den „Anschluss“ Österreichs an Deutschland einbrachte. Doch der Völkerbund blieb untätig. Die britische und die französische Regierung drückten am 11. März „a protest in the strongest terms“ bzw. „la protestation la plus énergique“ gegenüber dem deutschen Außenminister aus. Am Tag darauf folgte eine Protestnote, ebenso durch die französische Regierung. Doch die Proteste waren halbherzig – in London und Paris hatte man insgeheim akzeptiert, dass Österreicher eigentlich Deutsche seien und der „Anschluss“ als ein Akt der Vollziehung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker gesehen werden kann. Die „Times“ schrieb, auch Schottland hätte sich vor 200 Jahren England angeschlossen. Die neutralen Vereinigten Staaten von Amerika verfolgten noch eine isolationistische Politik, erkannten den „Anschluss“ zwar de jure nicht an, de facto aber schon.
Am entschiedensten trat noch die Sowjetunion auf. Sie heftete sich stets auf ihre Fahnen, entschieden gegen den „Anschluss“ Österreichs eingetreten zu sein. Ein Blick hinter die Kulissen offenbart, dass es beim sowjetischen Protest nur bedingt um das Schicksal Österreich ging bzw. angesichts der neuen geopolitischen Realitäten in Mitteleuropa gehen konnte. In Moskau hatte man die Sprengkraft des Einmarsches der deutschen Wehrmacht in Österreich rasch erkannt. Der sowjetische Außenkommissar Maksim Litvinov bezeichnete den „Anschluss“ gegenüber dem Politbüro als „größtes Ereignis nach dem Weltkrieg, voll von größten Gefahren“. Am 17. März nahm er vor der sowjetischen Presse öffentlich Stellung und bezeichnete den „Anschluss“ als Gewaltakt und als Gefahr für die europäischen Staaten.
Litvinovs Rede wurde einen Tag später in einer Note Großbritannien, Frankreich, der Tschechoslowakei und den USA mit dem Vorschlag zur Abhaltung einer gemeinsamen Konferenz übermittelt. Der Aufruf blieb ohne Resonanz. „Diese Rede Litvinovs“, schreiben die beiden Mitglieder der Österreichisch-Russischen Historikerkommission, Julia Köstenberger und Verena Moritz, galt in der Sowjetunion „als offizieller Protest der UdSSR gegen den ,Anschluss‘“. So entstand der Mythos, die UdSSR sei die einzige Großmacht gewesen, die sich 1938 vehement für die Unabhängigkeit Österreichs eingesetzt habe. Tatsächlich protestierte die Sowjetunion aber weder offiziell bei der deutschen Regierung gegen den „Anschluss“ noch bekundete sie die Nichtanerkennung der „Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“, wie der deutsche Gesetzestext zum „Anschluss“ im Wortlaut lautete. So wertete die deutsche Diplomatie schließlich die mündliche Ankündigung des sowjetischen Geschäftsträgers in Berlin, dass die Gesandtschaft in Wien geschlossen werde, als „bedingungslose Anerkennung“ des „Anschlusses“.
Moskaus Weg, mit der neuen Situation umzugehen, war jedoch weitaus diffiziler. Sie verdeutlicht gleichzeitig den Platz, den die Sowjetunion im Konzert der Mächte 1938 einnahm. Denn ein halbes Jahr nach dem „Anschluss“ brachte Litvinov das Thema erneut vor den Völkerbund. Er kritisierte „das Verschwinden Österreichs“ und rechnete scharf mit der Appeasementpolitik der Westmächte ab. Indirekt suggerierte er, die UdSSR wäre bereit, an einem kollektiven Widerstand gegen den Aggressor teilzunehmen. 1938 wurde Stalins Sowjetunion als neue europäische Großmacht völlig ignoriert. Ohne sowjetische Beteiligung regelten Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland am 29./30. September 1938 im Münchner Abkommen die Abtretung der sudetendeutschen Gebiete der Tschechoslowakei an Hitler. Aber konnte man entschiedene Schritte von Moskau überhaupt erwarten? Deutschland und die Sowjetunion arbeiteten seit dem Rapallo-Vertrag von 1922 wirtschaftlich eng zusammen. 1939 sollte Stalin mit Hitler einen Pakt beschließen.
Nach dem Hitler-Stalin-Pakt 1939 war Österreich für den sowjetischen Diktator freilich kein Thema mehr. Schweigen war das Gebot der Stunde. Die österreichischen Kommunisten wurden beruhigt, die NS-Politik sei eben imperialistisch. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 wurde Stalin aber zu einem Fürsprecher der Wiederherstellung Österreichs. Nun bezeichnete er den „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich als einen weiteren Schritt im „Sammeln deutscher Länder“. Österreich als Nation gab es für Stalin allerdings nicht, für ihn war Österreich „hauptsächlich von Deutschen besiedelt“. Daher passte für Stalin der „Anschluss“ in „das Bild des deutschen Nationalismus“. Stalin setzte fortan bewusst auf Abgrenzung der Österreicher von den Deutschen, vor allem aus einem Grund: Deutschland sollte, wenn es besiegt sein würde, nie wieder eine Gefahr für die Sowjetunion werden. Stalin war sich bewusst, dass Deutschland nicht zerstört werden könnte. Mittel dazu waren die Zerstückelung Deutschlands und die ständige Abtrennung von Österreich.
Knapp eine Woche nach dem „Anschluss“ Österreichs richtete Mexiko am 19. März 1938 als einziges Land der Welt eine Protestnote an den Völkerbund. Der Protest war „ein antifaschistisches Abziehbild von Mexikos prinzipientreuer Außenpolitik“, schreibt Mexiko-Experte Stefan A. Müller. Die Annexion Österreichs wurde für illegal erklärt und als schweres Attentat auf das Völkerrecht bezeichnet. Zudem war Mexiko ein konsequenter Kämpfer für Demokratie und gegen Diktatur. Mit Sorge verfolgte Mexiko den spanischen Bürgerkrieg und fürchtete Folgen für die mexikanische Demokratie und Unabhängigkeit. In Österreich hatte Mexiko heimlich gewaltige Munitionsbestellungen getätigt, um die spanische Republik zu unterstützen. Mit dem „Anschluss“ fiel diese Hilfe weg. Auch andere Faktoren spielten eine Rolle: Mexiko hatte die ausländische Erdölindustrie verstaatlicht und fürchtete Konsequenzen durch die USA. Großbritannien und Frankreich richteten bilaterale Proteste an die deutsche Regierung. Im Gegensatz zu den USA und Frankreich anerkannte London später aber auch de jure den „Anschluss“ – womit sich Großbritannien offiziell mit Österreich in Krieg befand – im Gegensatz zu den anderen Großmächten, die Österreich als zu befreiendes Land betrachteten.
Der italienische Diktator Mussolini, der noch 1934 nach dem Putschversuch der Nationalsozialisten in Wien als Drohgebärden Truppen am Brenner aufmarschieren ließ, war inzwischen mit Hitler verbündet. Ungarns Horthy verkündete: „Ein alter Freund von uns vereinigte sich mit einem anderen guten Freund und treuen Waffenbruder von uns.“ In Belgrad hatte man die Rückkehr der Habsburger mehr befürchtet als NS-Deutschland. Jugoslawien akzeptierte den „Anschluss“ und bemühte sich zunächst, neutral zu bleiben. Am besorgtesten war man in Prag. Der deutschen Zusicherung, dass der Tschechoslowakei keine Gefahr drohte, traute man nicht. Zu Recht.