Am linken Rand, den Blick von der Kamera und künftigen Betrachtern abgewandt. Am 12. März 1938 stellte sich die neue Regierung von Bundeskanzler Arthur Seyß-Inquart dem Fotografen. Mit dabei waren vier Mitglieder des Kabinetts von Kurt Schuschnigg, der einen Tag zuvor von den Nationalsozialisten zum Rücktritt gezwungen worden war. Seyß-Inquart, Edmund Glaise-Horstenau, Rudolf Neumayer – alle drei waren nach dem Krieg in Haft, Seyß-Inquart wurde hingerichtet, Glaise-Horstenau verübte im Lager Suizid, Neumayer wurde zu lebenslanger Haft verurteilt – und Michael Skubl, der Mann am Rande des Bildes.

Dem Fototermin vorangegangen waren dicht gedrängte Stunden, in denen Bundeskanzler Schuschnigg dem Druck der Nazis wich und dem Bundespräsidenten Wilhelm Miklas seinen Rücktritt erklärte. Miklas verweigerte sich anfänglich dem Wunsch der Nazis nach einem Bundeskanzler Seyß-Inquart und fragte unter anderen Skubl, Leiter der Bundespolizeidirektion Wien und Staatssekretär für Sicherheit, ob er die Kanzlerschaft übernehme. Er lehnte ab. Seine Bestellung würde „in den Augen Hitlers eine Kriegserklärung bedeuten“, sagte Skubl nach dem Krieg im Prozess gegen Seyß-Inquart. Er stehe „an der Spitze der Abwehrfront für die nationalsozialistische Aggression und infolgedessen auch in persönlicher Gegnerschaft zu Hitler. Hätte ich also die Kanzlerschaft übernommen, so wäre Hitler ein willkommener Anlass geboten worden, seine Truppen einmarschieren zu lassen.“

Trotz dieser Einschätzung war Skubl bereit, auch unter Seyß-Inquart Staatssekretär zu werden. Einen möglichen Grund dafür nennt Johannes Sachslehner in der Schilderung des Anschlusses in „Zwei Millionen ham’ ma erledigt“, seiner Biografie des Kriegsverbrechers Odilo Globocnik: „Seyß-Inquart hat noch immer die Illusion, dass ein Einmarsch der Deutschen verhindert werden könne, und will mit Berlin verhandeln.“
Seyß-Inquart schätzte Skubls „fachmännische Persönlichkeit“ und setzte ihn – gegen den Widerstand der Nazis – auf die Liste der Regierungsmitglieder, die Miklas am 11. März spät am Abend unterzeichnete. Am Morgen des 13. März bat Skubl bereits um seinen Rücktritt und das Ausscheiden aus dem Polizeidienst. Seyß-Inquart versuchte, es ihm auszureden, er versicherte Skubl, dass er nicht geneigt sei, sich seine „Männer wegnehmen zu lassen“. Trotzdem akzeptierte er den Rücktritt und rettete ihn damit, wie Sebastian Rivo in „Dr. Michael Skubl – Ein polizeihistorischer Streifzug zwischen Monarchie, Ständestaat und Nationalsozialismus“ schildert, vermutlich vor einem Hochverratsprozess nach dem Krieg, da er nicht am Ministerrat am 13. März teilnahm.

Skubls Grab am Wiener Zentralfriedhof, der Grabstein ist umgestürzt. Hier liegt auch Skubls Frau Ida begraben
Skubls Grab am Wiener Zentralfriedhof, der Grabstein ist umgestürzt. Hier liegt auch Skubls Frau Ida begraben © Picturedesk

Skubls Wunsch zurückzutreten hatte eine Vorgeschichte: In der Nacht vom 11. auf 12. März holte er den Reichsführer SS Heinrich Himmler, der von Berlin anreiste, vom Flugplatz ab. In dessen Gefolge war auch ein im Juli 1934 aus Österreich geflohener Nazi, der nun, so Skubl später, „unter dem Schutz Himmlers zurückkam. Das war für mich eine derartige Unmöglichkeit, dass der Entschluss in mir feststand, hier nicht mitzutun.“ Einen weiteren Grund nannte Seyß-Inquart in seinem Prozess in Nürnberg: „Ich nehme an, dass Himmler ihm den voraussichtlichen Ablauf der Dinge angedeutet habe (...) sowie die Folgen, die er als der verhassteste Mann bei den Nazis zu erwarten habe.“

Die Folgen blieben, da sich Seyß-Inquart gegenüber Himmler für Skubl einsetzte, geringer als befürchtet: Er wurde aber noch am 13. März unter Hausarrest gestellt und am 24. Mai nach Kassel deportiert und in einem Hotel interniert. Nach Österreich kehrte er erst 1946 zurück. Er lebte bis zu seinem Tod 1964 in Wien.

 Skubl (links außen) am 12. März 1938, der treue Diener Schuschniggs in der Regierung des Nazis Seyß-Inquart.
Skubl (links außen) am 12. März 1938, der treue Diener Schuschniggs in der Regierung des Nazis Seyß-Inquart. © (c) AP / picturedesk.com

Wie wurde aus Michael Skubl, dem 1877 in Bleiburg geborenen Bauernsohn, ein Mann, der als Polizist beim Justizpalastbrand, dem Juli-Putsch und der Ermordung von Kanzler Engelbert Dollfuß in vorderster Linie im Einsatz stand, der die Ermittlungen nach Dollfuß’ Tod mitverantwortete und vom 20. März 1937 bis zum 13. März 1938 Regierungsmitglied war? Nach dem frühen Tod des Vaters sollte Skubl Priester werden, begann jedoch nach seinem Armeedienst ein Studium der Rechtswissenschaft, das ihn nach Wien führte. Er pflegte, schreibt Rivo, „eifrige soziale Kontakte zu seinen Kommilitonen und wurde von deutschnationalen Ideen beeinflusst“. 1905 promovierte er zum Juristen und startete seine Karriere bei der Polizei.

Unter Dollfuß und Schuschnigg ging er gleichermaßen hart gegen illegale Sozialdemokraten und Nazis vor. In seiner Personalakte des Gaupersonal-Amtes von 1942 wird er dann auch als „Scherge des österreichischen Systems“ bezeichnet. Er sei „der Mann, der alle Aufträge der Systemregierung restlos“ durchgeführt habe.

Gustav Steinbauer, Anwalt Seyß-Inquarts in Nürnberg, beschrieb Skubl als „Prototyp des altösterreichischen Staatsbeamten“, als „pflichteifrig und klug“. Seine Burschenschaft, die noch heute aktive „Akademische Landsmannschaft Kärnten“, definiert sich so: „Wir sind ein heimatverbundener, volkstreuer Lebensbund, der die Eigenstaatlichkeit Österreichs anerkennt.“
Für Skubl hieß das: bis zum letzten Moment dieser Eigenstaatlichkeit.