Man kann Kurt Schuschnigg von der Absicht freisprechen, jemals das zu werden, wozu ihn die Umstände nahezu vier Jahre lang machten – zum Diktator von Österreich. Hätte Dollfuß weitergelebt, so wäre Schuschnigg sein kühler, beherrschter und tüchtiger Mitarbeiter geblieben.“ Schon mit diesen zwei Sätzen charakterisierte George Eric Rowe Gedye, britischer Journalist und Autor in seinem 1939 erschienenen Buch „Die Bastionen fielen“, den österreichischen Bundeskanzler, der 1938 vor dem Druck Nazi-Deutschlands kapitulierte. Gedye lebte als Korrespondent für englischsprachige Zeitungen seit 1925 in Wien, erlebte als scharfer Beobachter Bürgerkrieg und Nazi-Putsch 1934 wie auch den „Anschluss“ 1938.
Wie ein Musterschüler schaut dieser Kurt Schuschnigg aus, als er am 29. Juli 1934 Bundeskanzler in der Nachfolge des ermordeten Dollfuß wird. Er ist 37 Jahre alt. Schuschnigg, einer Offiziersfamilie aus Welschtirol entstammend, prägte immer schon das Prädikat „der Jüngste“ – als er mit 27 Abgeordneter im Nationalrat wird, als er 1932 im Alter von 32 Jahren das Amt des Justizministers übernimmt, ein Jahr später auch das Unterrichtsministerium in der Regierung Dollfuß.
Schuschnigg ist ein Verfechter des diktatorischen Systems, setzt auf Härte. Als Justizminister sorgt er für die Wiedereinführung der Todesstrafe. Dem Druck des Nationalsozialismus versucht er nicht durch einen Schulterschluss mit den verbotenen Sozialdemokraten zu entkommen, sondern er eifert Hitler nach. Schuschnigg lässt sich als „Frontführer“ titulieren, er lässt Aufmärsche inszenieren, seine Reden werden laut, münden im Brüllen, selbst die Handbewegungen des Bundeskanzlers ähneln jenen des Reichskanzlers. Schuschnigg will ein Österreich als zweiten, besseren deutschen Staat. Er kann nur verlieren.
Nach 1938 nehmen ihn die Nazis fest, er wird mit seinen Angehörigen in Konzentrationslagern interniert. Nach 1945 wandert er mit seiner Familie in die USA aus, wird dort Professor für Staatsrecht. 1968 kommt er nach Österreich zurück, eher unbeachtet, und stirbt am 18. November 1977 in Mutters in Tirol. Die Gnade der tiefen Einsicht erreichte den einstigen Jesuitenschüler bis zu seinem Ende nicht.