Mit weiteren Zeugenaussagen ist am Mittwoch der Mordprozess gegen einen 56-jährigen Mann fortgesetzt worden, der am 26. Jänner 2017 seine Wohnung in Wien-Hernals vorsätzlich in die Luft gesprengt und den Hausverwalter getötet haben soll. Dass der Schlosser, der die Wohnungstür des Angeklagten im Zuge einer gerichtlich bewilligten Delogierung aufbohren wollte, überlebt hat, grenzt an ein Wunder.

Der Mann erlitt unter anderem eine Schädelfraktur im Stirnbereich, einen Schädelbasisbruch, ein offenes Schädel-Hirn-Trauma und eine Gehirnblutung. Um den lebensbedrohlichen Hirndruck in den Griff zu bekommen, "hat man mir im Spital eine Gehirnsonde gebohrt", berichtete der Handwerker den Geschworenen.

Der 48-Jährige, der einen Aufsperrdienst betreibt, war vom Hausverwalter, einem 64 Jahre alten Rechtsanwalt, beigezogen worden. Der Angeklagte hatte seit Monaten keine Miete bezahlt und auf Mahnschreiben nicht reagiert. Auf 7.30 Uhr war die Delogierung angesetzt. Als der Mieter auf Klopfen nicht reagierte, kniete sich der Schlosser vor die Tür, um diese mit Spezialwerkzeug zu öffnen. In dem Moment brachte der Mieter laut Anklage ein Gas-Luft-Gemisch zur Explosion, nachdem er ein paar Minuten zuvor ein Ventil der Gasleitung aufgedreht und in seiner Wohnung Gas ausströmen hatte lassen.

Die Druckwelle riss die Wohnungstür aus der Verankerung und erschlug den Hausverwalter. Die massive Tür traf auch den Handwerker, wie dieser nun im Zeugenstand dem Gericht darlegte. "Ich selbst kann mich an absolut nichts erinnern. Meine Erinnerung setzt erst wieder in der Reha ein", gab der 48-Jährige zu Protokoll.

Zehn Tage im Koma

Der Mann lag zweieinhalb Wochen auf der Intensivstation, zehn Tage verbrachte er im künstlichen Tiefschlaf. Neben den Schädelverletzungen trug er auch im Gesichtsbereich schwerste Verletzungen davon. Eine Fraktur bewirkte, "dass ich zunächst Augen und Stirn nicht bewegen konnte", schilderte der 48-Jährige. Zusätzlich erlitt er einen verschobenen Jochbeinbruch, eine Fraktur der linken Augenhöhle und einen Kieferbruch. Eine Verletzung der Speiseröhre hatte zur Folge, "dass ich zwei Monate nichts essen konnte. Ich habe 20 Kilo abgenommen." Darüber hinaus wurden der Geruchs- und der Geschmacksinn des Schlossers zerstört. Seine Lunge und seine linke Schulter büßten einen beträchtlichen Teil ihrer Funktionsfähigkeit ein.

Nach einigen Monaten traten Komplikationen am linken Auge auf: "Es hat sich herausgestellt, dass das Auge irreparabel geschädigt ist. Bei der Explosion ist der Sehnerv zum Teil abgetrennt und die Netzhaut beschädigt worden." Eine Operation war unumgänglich: "Eine Schattenbildung ist trotzdem geblieben. Und das linke Auge hängt herunter."

Im Februar muss sich der Mann einer weiteren OP unterziehen, weil auch beide Gehörgänge schwerst beschädigt wurden. Auf die Frage der vorsitzenden Richterin Andrea Wolfrum, ob er wieder in der Lage sein wird, seinen Beruf auszuüben, kämpfte der 48-Jährige mit den Tränen: "Ich muss es. Ich habe das immer gemacht. Es muss irgendwie gehen. Ich habe das immer gemacht." Er berichtete auch noch von einem jüngsten Besuch bei seiner Zahnärztin. Die sei heftig erschrocken, als sie Röntgenbilder anfertigte und diese dann betrachtete: "Mein Gesicht ist halt mit Titanplättchen verplattet. Die Stirn, das Jochbein, der Kiefer, da ist alles irgendwie zusammen geschraubt worden.

Zeugin mit Weinkrampf

Als Zeugin wurde auch eine Nachbarin des Angeklagten befragt, die zum Zeitpunkt der Explosion joggen war und telefonisch von der Detonation erfuhr. Die 37-Jährige rechnete mit dem Schlimmsten, denn ihre 14 Jahre alte Tochter lag zu Hause krank im Bett.

"Ich habe nicht gewusst, was mit ihr ist", erklärte die Zeugin. Plötzlich begann sie zu schluchzen und erlitt einen Weinkrampf: "Es kommt alles hoch." Als sie vor dem Wohnhaus in der Hernalser Hauptstraße eintraf, hätte sie die Polizei aus Sicherheitsgründen nicht mehr ins Gebäude gelassen. Völlig verzweifelt habe sie über das Schicksal ihrer Tochter gerätselt, ehe sie die hinter einem Feuerwehrauto stehende 14-Jährige wahrnahm: "Sie war fast nackt. Sie war total in Panik."

Wie sich herausstellte, war die im dritten Stock gelegene Wohnung der insgesamt vierköpfigen Familie - eine weitere, elf Jahre alte Tochter war bereits in der Schule - von den Folgen der Explosion nicht unmittelbar betroffen. Die 14-Jährige konnte sich im Nachthemd ins Freie begeben. Allerdings leidet das Mädchen in psychischer Hinsicht bis zum heutigen Tag massiv an den Folgen, wie die Mutter dem Gericht erklärte: "Sie hatte Angst, konnte Monate lang nicht schlafen. Sie wollte sich umbringen. Sie ist in psychiatrischer Behandlung." Bei sämtlichen vier Familienmitgliedern ist eine posttraumatische Belastungsstörung aufgetreten, wie ärztliche Atteste bescheinigen.

Angeklagter nicht schwer verletzt

Demgegenüber fand es Gerichtsmediziner Christian Reiter "an sich sonderbar", dass der Angeklagte keine schweren Verletzungen davongetragen hat. Der 56-Jährige, in dessen Wohnung sich ein Gas-Luft-Gemisch entzündet hatte, dürfte von der Wucht der ersten Explosion aufs Bett geworfen und - als er sich Richtung Fenster begeben wollte - von einer zweiten Explosion aus dem Fenster seiner ebenerdig gelegenen Wohnung geschleudert worden sein, wo er rücklings im Innenhof zu liegen kam. Im Spital wurden Brüche von vier Zehen des linken Fußes festgestellt. Dass er abgesehen davon keine Frakturen erlitt, "hat vielleicht etwas mit dem Boden zu tun", wie Reiter ausführte. Der Innenhof ist nicht betoniert, sondern besteht aus einer Grünfläche.

Daneben wies der 56-Jährige angesengte Kopf- und Harthaare sowie angebrannte Augenbrauen auf. An beiden Handrücken waren Rötungen, an der rechten Hand Brandblasen feststellbar. Das entspräche grundsätzlich "dem Verletzungsbild einer Person, die etwas mit der rechten Hand gezündet hat", stellte Reiter fest.

Gutachten eines Technikers

Erörtert wurde schließlich noch das Gutachten eines Prüftechnikers der Wiener Netze. Der Angeklagte hatte behauptet, er hätte seit Monaten in seiner Wohnung unter einem Gas-Leck gelitten und deshalb den Gaszähler abmontiert. Ihm sei immer wieder schlecht geworden, er habe daher in Eigenregie das Leck zu beheben getrachtet. Nach der Untersuchung des Gaszählerkegelhahns kamen die Wiener Netze allerdings zu folgendem Schluss, den nun der geladene Experte dem Gericht referierte: "Die Leckrate war minimalst. Wobei es absolute Dichtheit nicht gibt. Die Leckrate war jedenfalls zu gering, um in einer entsprechenden Zeit eine explosionsfähige Atmosphäre herbeizuführen."

Obendrein war der Hahn aus Sicherheitsgründen zusätzlich mit einer Fettschicht überzogen worden, die bei der Explosion zum Schmelzen gebracht wurde. Folglich dürfte davon auszugehen sein, dass der Hahn vor dieser noch deutlich besser abgedichtet war. Der Experte hielt es jedenfalls für "nicht wahrscheinlich", dass in der Wohnung in spürbaren Mengen Gas ausgetreten war, bevor der Gaszähler mit einer Spezialzange demontiert wurde

Zusatzgutachten beauftragt

Das Gericht entschloss sich nach diesen Angaben, den Gerichtsmediziner Christian Reiter mit der Erstellung eines Ergänzungsgutachtens zu beauftragen, da davon auszugehen ist, dass beim Schlosser schwere Dauerfolgen vorliegen. Sollte der Angeklagte, der nach wie vor versichert, er sei von der Explosion überrascht worden und habe dazu nichts beigetragen, am Ende schuldig erkannt werden, wäre das bei der Strafbemessung zu berücksichtigen. Da der Sachverständige für seine Expertise einige Zeit benötigen wird, wird die Verhandlung erst am 11. Jänner - und nicht wie ursprünglich vorgesehen am kommenden Montag - in erster Instanz abgeschlossen.
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