Die Jugendliche wurde Dienstagnachmittag zu vier Jahren Haft wegen versuchten Mordes verurteilt. Das Opfer überlebte nur durch viel Glück. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Grund für die unvorstellbare Tat, bei der die völlig unbeteiligte, junge Frau schwer verletzt wurde, waren die schwierigen familiären Verhältnisse, unter denen die 16-Jährige aufwuchs. Die jugendpsychiatrische Sachverständige Gabriele Wörgötter sah bei der Angeklagten zwar keinen Hinweis auf eine Geisteskrankheit, jedoch eine schwere emotionale Störung des Jugendalters mit einer "Pubertätskrise schwersten Ausmaßes". Die Beschuldigte sei "affektflach", sprich sie habe eine geringe Gemütsbewegung. Im Inneren habe sich jedoch ein enormes Aggressionspotenzial gegen die Mutter angestaut, das sich im Zuge der Messerattacke gegen eine völlig Fremde entlud.
Einstimmiges Urteil
Die Geschworenen stimmten mit 8:0 Stimmen für Mordversuch. Während die Angeklagte, die sich bei der Urteilsverkündung kaum auf den Beinen halten konnte, das Urteil annahm, gab die Staatsanwaltschaft keine Erklärung ab. Mildernd wurden das reumütige Geständnis, das bisher tadellose Leben der Jugendlichen, dass es beim Versuch geblieben ist sowie die ungünstigen Erziehungsverhältnisse gewertet. Ausschlaggebend für das milde Urteil - der Strafrahmen lag bei ein bis 15 Jahren - war auch, dass das Mädchen zum Tatzeitpunkt erst knapp 16 Jahre alt war. Erschwerend war laut Richter Norbert Gerstberger die heimtückische Begehungsweise. Dem Opfer wurden 7.000 Euro Schmerzengeld zugesprochen, 3.000 Euro hatte die Familie der 16-Jährigen der Studentin bereits gezahlt.
Die Eltern der Angeklagten ließen sich im Jahr 2015 nach jahrelangen Streitigkeiten scheiden. Die junge Tschetschenin, die zum Vater ein inniges Verhältnis pflegte, blieb jedoch nach der Trennung wie ihre Schwestern bei der Mutter. Die Heranwachsende geriet sich aber des öfteren mit ihrer Mutter in die Haare, die Frau erzog die Mädchen streng gläubig und schlug auf die Jugendliche auch ein. Die 16-Jährige, die eine muslimische Fachschule zur Kindergartenpädagogin besuchte, wandte sich daher vermehrt der Religion zu und hoffte, dass sie im Islam Hilfe findet. Die Religion war ein Streitpunkt zwischen Mutter und Tochter, die bereits zwei Selbstmordversuche hinter sich hat.
"Ich halte es bei der Mutter nicht mehr aus"
Als die Mutter nach einem Disput meinte, die 16-Jährige sei "eine Strafe Allahs", war die Jugendliche so gekränkt, dass sie sich am 5. April ein Küchenmesser mit acht Zentimeter langer Klinge schnappte und es auf einen Schulausflug mitnahm. Einer Schulkollegin berichtete sie, dass sie etwas "ganz Verrücktes" tun, einer anderen erzählte sie, dass sie jemanden "abstechen" werde. Bereits am Vortag hatte sie sich mit den Stichworten "tödliche Stiche" oder "erdolchen" im Internet erkundigt, wie man einen Menschen umbringt, gab die Angeklagte vor dem Schwurgericht freimütig zu. Denn bei Durchsicht des Jugendstrafrechts erkannte die 16-Jährige nämlich, dass sie bei schweren Straftaten wie Mord bis zu 15 Jahre ins Gefängnis kommen kann. Denn: "Ich halte es bei der Mutter nicht mehr aus", schrieb sie in ihr Tagebuch, das Verteidiger Rudolf Mayer vorlas.
Als sie bei dem Ausflug die Mittagspause mit ihren Schulkolleginnen im Josef-Strauß-Park in Wien-Neubau verbrachte, wählte sie bereits ihr Opfer aus, das telefonierend auf einer Parkbank lag und die Sonne genoss. Als sich die Kolleginnen der 16-Jährigen bereits wieder auf den Weg in die Schule machten, pirschte sich die Jugendliche an die 23-Jährige heran und stach ihr mit dem Messer in die Seite, in den Rücken und den Oberschenkel. Vier Stiche erlitt die junge Frau, einer erwischte den linken Lungenflügel, der kollabierte. Die Studentin überlebte nur durch viel Glück, hat aber mit dramatischen psychischen Folgen zu kämpfen. Sie konnte ihr Studium lange Zeit nicht fortsetzen, weil sie ihre Wohnung nicht ohne Begleitung verlassen konnte.
In der Schule gestellt
Laut schreiend rannte die bereits schwer verletzte Studentin davon, die 16-Jährige verfolgte sie mit dem Messer in der erhobenen Hand. Passanten kamen der 23-Jährigen zu Hilfe, die Jugendliche rannte unterdessen zurück in die Schule, um sich dort zu stellen. Damit die Polizei schnell auf die 16-Jährige als Tatverdächtige kommt, ließ das Mädchen sogar ihre Handtasche mit allen ihren Ausweisen im Park zurück. Noch in der Direktion wurde der Schülerin die Tatwaffe abgenommen und die Jugendliche festgenommen. "Ich stand unter Druck, ich wollte von zu Hause weg."
In einer ersten Aussage vor der Polizei gab sie an, dass sie die Studentin als "Scheißmuslima" beschimpfte und ihr deshalb die Sicherungen durchgebrannt wären. "Ich hab mir eingebildet, dass sie das gesagt hat", meinte die 16-Jährige, die damals noch regelmäßig ein Kopftuch trug. "Sind Sie denn schon öfter aufgrund ihrer Religion beschimpft worden?", fragte Richter Gerstberger. "Ja, von der Mutter", antwortete sie. Das Opfer ist allerdings nicht fremdenfeindlich eingestellt und hat an der Universität sogar eine längere Arbeit zum Thema "Migration und Freiraumgestaltung" verfasst.
Jetzt sei ihr die Religion nicht mehr so wichtig, meinte die zierliche 16-Jährige, die ohne Kopftuch vor Gericht erschien. "Denn Gott hat das (die Tat, Anm.) nicht verhindern können."