Der Prozess um den Erstickungstod von 71 Flüchtlingen, deren Leichen im August 2015 in einem Lkw an der Ostautobahn (A4) entdeckt wurden, ist am Montag nach vierwöchiger Unterbrechung in der ungarischen Stadt Kecskemet fortgesetzt worden. Am Vormittag legte ein Bulgare ein Geständnis ab, der erst nach Beginn des Hauptverfahrens an Ungarn ausgeliefert worden war.
Bulgare war als Späher dabei
Der 34-Jährige ist einer von drei Männern, gegen die separat ermittelt worden war, ehe das Verfahren in den A4-Prozess eingegliedert wurde. Bei den beiden anderen Beschuldigten handelt es sich um einen Landsmann des Bulgaren und einen Afghanen, der in der Hierarchie der Schlepperorganisation über dem Hauptangeklagten gestanden sein soll. Die zwei Männer sind flüchtig.
Die Anklage - gegen mittlerweile 14 Beschuldigte - sieht in dem noch nicht gefassten Afghanen einen der führenden Köpfe der Organisation, der in der Hierarchie noch über dem in der Causa A4 Hauptangeklagten stand. Selbst nach dem Tod der 71 Menschen in dem Kühl-Lkw habe er noch Schleppungen organisiert und insgesamt 300.000 Euro verdient.
Der 34-jährige Bulgare dürfte in der Hierarchie ganz unten gestanden sein. Er habe sich von ebenfalls in Kecskemet vor Gericht stehenden Landsleuten überreden lassen, für die Organisation zu arbeiten. Schleppertransporte wollte er nach eigenen Angaben nicht durchführen, er sei nur zweimal als Begleitfahrer, als sogenannter Späher, dabei gewesen. Für jeden erfolgreichen Transport seien ihm 200 Euro versprochen worden.
Drohung mit Anzünden des Hauses
Als er weitere Dienste für die Schlepperorganisation verweigerte, wurde der 34-jährige Bulgare nach eigenen Angaben drei Tage eingesperrt und bedroht, und zwar von einem Landsmann. Dieser ist in dem ungarischen Verfahren der Zweitangeklagte und soll als Stellvertreter des Bandenbosses fungiert haben.
Nach seiner Rückkehr nach Bulgarien sei er vom Zweitangeklagten telefonisch bedroht worden: Der Mann kündigte demnach an, das Haus des 34-Jährigen anzuzünden. Außerdem machte er ihm klar, dass er den Spielplatz kenne, auf dem sich die Kinder des Fahrers oft aufhielten. Der 34-Jährige wollte nach eigenen Angaben auch einen weiteren Fahrer zur Rückkehr nach Bulgarien bewegen. Der wollte allerdings noch Geld verdienen, weil er seiner Frau eine neue Waschmaschine versprochen hatte.
Der Zweitangeklagte - ihm droht wegen Mordes mit besonderer Grausamkeit und Schlepperei lebenslange Haft - wies die Anschuldigungen zurück. "Der Bauer lügt", erklärte er zu den Aussagen des 34-jährigen Bulgaren. Dieser sei kein Opfer, sondern habe zwei weitere in dem Verfahren angeklagte Bulgaren nach Ungarn geholt, damit sie für ihn arbeiteten. Er habe den 34-Jährigen weder bedroht noch gefangen gehalten, sagte der 31-Jährige und in Richtung seines Landsmanns: "Hab' keine Angst vor mir, sondern vor Gott."
Zeuge: "Keine Stimmen aus Fahrzeug gehört"
Der erste Zeuge erschien in Handschellen. Der Tunesier war in einem anderen Verfahren zu fünf Jahren Haft wegen Schlepperei verurteilt worden. Er behauptete, nur den Erstangeklagten zu kennen und nicht gewusst zu haben, dass dieser Mann sich mit Schlepperei beschäftigte. Als weiterer Zeuge sagte ein Ungar aus, der offenbar Schlepperfahrzeuge gewartet hatte. Bei einem Reifenwechsel an einer Autobahn habe er gleich zwei Wagenheber einsetzen müssen, berichtete der Mann, da das Fahrzeug der Marke Iveco schwer beladen war. Stimmen aus dem Fahrzeug habe er nicht gehört, sagte der Zeuge. Das sei möglicherweise am Verkehrslärm gelegen.
Der Prozess wird am Dienstag fortgesetzt. Geplant sind die Einvernahmen von drei weiteren Zeugen. Zwei Zeugen aus Österreich werden nicht wie geplant aussagen. Ein Sprecher des Gerichts erklärte auf Anfrage der APA, dass die Ladungen nicht zugestellt werden konnten. Die dem Gericht vorliegenden Adressen seien offenbar nicht mehr aktuell.