In Österreich gelten aktuell 1.300 Menschen als abgängig. Das sind um rund 500 mehr als zum Beginn des Jahres 2015 und den Jahren zuvor. Der Anstieg wurde durch die relativ große Zahl an Flüchtlingen verursacht, die sich nach ihrer Registrierung absetzen, wie es am Freitag bei einem Hintergrundgespräch des Kompetenzzentrums für Abgängige Personen (KAP) im Bundeskriminalamt (BK) in Wien hieß.
Die Zahl der als abgängig gemeldeten EU-Bürger ist über die Jahre annähernd gleich geblieben. Rund die Hälfte der jährlich rund 8.000 Anzeigen betrifft Kinder und Jugendliche, die in der Regel nach Tagen gefunden werden oder von selbst wieder auftauchen. Anders sieht die Sache bei Flüchtlingen aus: Aufgrund fehlender Dokumente, unterschiedlicher Schreibweisen von Namen und bedingt durch den Umstand, dass Unter-14-Jährigen keine Fingerabdrücke abgenommen werden dürfen, ist es praktisch unmöglich, gezielt nach ihnen zu suchen, erklärte Stefan Mayer vom KAP. In der Sparte Nicht-EU-Bürger bleiben 13 Prozent der Fälle ungeklärt, bei den EU-Bürgern nur 0,7 Prozent.
Die statistische Auswertung der Zahlen ist seit 2015 möglich und dient dem KAP - einer vor vier Jahren eingerichteten, selbst nicht operativ tätigen Servicestelle für Polizei, Sozialeinrichtungen, Hilfsorganisationen und Angehörige - unter anderem für Präventionsarbeit. "Vor allem bei Kindern und Jugendlichen ist es uns wichtig, die Zahl der Abgängigen zu reduzieren", erklärte KAP-Leiterin Regine Wieselthaler-Buchmann.
Projekt für Kinder und Jugendliche
Aus diesem Grund hat das KAP ein Projekt ins Leben gerufen, bei dem es um das Verschwinden von Kindern und Jugendlichen aus Sozialeinrichtungen geht. Diese machen 80 Prozent aller Abgängigkeitsfälle dieser Altersgruppe aus, wobei die Zahl der Fälle nicht ident ist mit der Zahl der Vermissten: Ein Phänomen sind nämlich "Mehrfachabgängigkeiten" - Jugendliche, die sich öfter heimlich absetzen, "in schweren Fällen bis zu 100 Mal", wie Gerhard Brunner vom KAP berichtete.
In fünf solchen Einrichtungen in Wien, Niederösterreich, Oberösterreich und Kärnten halten Präventionsbeamte seit Mitte 2016 Workshops mit Burschen und Mädchen sowie den Betreuern ab. Dabei klären sie über die Folgen des "Abhauens" auf und nicht zuletzt über die Gefahr, Opfer von Kriminalität oder selbst zum Täter zu werden. Die Begegnung auf Augenhöhe komme gut an, "die Abgängigkeiten sind messbar zurückgegangen", berichtete Gerhard Brunner vom KAP. Nun hat man mit der Evaluierung begonnen und hofft, das Präventionsprojekt auf alle Bundesländern ausweiten zu können.
Demente Menschen gefährdet
Ein zweites Projekt betrifft hilflose demente Menschen, die verschwinden, sich nicht mehr orientieren und häufig nicht einmal ihren Namen sagen können, wenn sie gefunden werden. Das KAP hat für solche Fälle ein Formblatt entworfen, in dem Betreuer gefährdeter Menschen Daten, Fotos, allfällige Medikationen, Ansprechpartner und frühere Wohnsitze eintragen. Diese Angaben dienen dann als Basis für die Suche. "Ein dementer Mensch weiß vielleicht nicht mehr, wo er die letzten fünf Jahre verbracht hat, erinnert sich aber, wo er früher gewohnt hat", erläuterte Wieselthaler-Buchmann.
Grundsätzlich haben Polizisten, die nach Abgängigen suchen, eine ganze Bandbreite möglicher Motive zu berücksichtigen. Nicht zuletzt haben sie es auch mit Personen zu tun, die einfach "aussteigen" wollen oder aus einem anderen Grund in einem anderen Land neu beginnen wollen. So wurde heuer in Deutschland ein Österreicher bei einer Fahrzeugkontrolle entdeckt, der 1985 im Alter von 29 Jahren verschwunden war. In einem solchen Fall werden Angehörige nur dann über den Aufenthaltsort informiert, wenn es der einst abgängige Erwachsene gestattet. Wenn nicht, bekommen sie nur die Info, dass der Betreffende gefunden wurde.