Ein Häftling, der am 22. September 2016 während eines Freigangs in Wien-Floridsdorf einen Polizisten mit einem Motorrad niedergefahren und um ein Haar getötet hat, ist am Montag zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Der 31-Jährige wurde am Landesgericht anklagekonform wegen schwerer Körperverletzung mit Dauerfolgen und Widerstands gegen die Staatsgewalt schuldig gesprochen.

Überlebenschancen von fünf Prozent

"Sie sind mit weit überhöhter Geschwindigkeit auf einen Schutzweg zugerast, obwohl ersichtlich war, dass sich dort ein Polizist befindet", stellte Richterin Nina Steindl in der Urteilsbegründung fest. Dass der 53-Jährige mit dem Leben davon kam, grenzte an ein Wunder. Wie Gerichtsmediziner Christian Reiter ausführte, erlitt der Beamte multiple lebensgefährliche Verletzungen. Seine Überlebenschancen lagen bei fünf Prozent.

Staatsanwältin Julia Koffler-Pock hatte in ihrem Schlussvortrag eine Strafe im oberen Drittel des zur Verfügung stehenden Strafrahmens von bis zu zehn Jahren Haft verlangt. Der Angeklagte sei "kaltblütig" vorgegangen und einfach auf den Polizisten losgefahren, um seine Flucht fortsetzen zu können. Mit dem Urteil war Koffler-Pock nicht einverstanden, sie meldete dagegen Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an.

Der 31-Jährige verzichtete dagegen auf Rechtsmittel. Er hatte sich am Ende des seit Ende Juli laufenden Verfahrens schuldig bekannt und auch die finanziellen Forderungen des Polizisten, der seinen Beruf nicht mehr ausüben kann, anerkannt. "Es tut mir furchtbar leid. Es war nie meine Absicht, jemanden zu verletzen", sagte der Angeklagte in seinem Schlusswort.

20.240 Euro zugesprochen

Der Beamte bekam 20.240 Euro zugesprochen. Zudem stellte das Gericht fest, dass der Häftling auch für weitere zukünftige Folgeschäden haftet.

Der Angeklagte saß im Zeitpunkt des Unfalls in der Justizanstalt Hirtenberg eine vierjährige Freiheitsstrafe für gewerbsmäßige Betrügereien und Diebstähle ab. Im April 2018 hätte er entlassen werden sollen, deshalb wurden ihm seit geraumer Zeit Freigänge genehmigt. Einen solchen nutzte er, um mit der 175 PS starken Yamaha seines Bruders, die noch gar nicht zum Verkehr zugelassen war, eine "Spitztour" zu unternehmen. Dass er gar keinen Führerschein besitzt, hinderte den 31-Jährigen nicht an einer Ausfahrt. Er bastelte einfach Kennzeichentafeln aus Karton, die er an der Maschine anbrachte.

Auf der Brünner Straße fiel das Motorrad einer Funkstreifenbesatzung auf. Aus Angst vor den drohenden Konsequenzen gab der 31-Jährige Vollgas. Die Verfolgungsjagd ging bis nach Strebersdorf, wo ein 53-jähriger Polizist an der Kreuzung Langenzersdorferstraße/Strebersdorfer zur Schulwegsicherung eingeteilt war. Der Beamte bekam über Funk den Einsatz mit. Als ihm klar wurde, dass das Motorrad seine Kreuzung passieren würde, stellte er sich mit erhobener Hand auf die Fahrbahn, um den Flüchtenden zu stoppen.

"Dann war alles schwarz um mich"

"Ich hab' kurz nach hinten gesehen, um zu schauen, wo meine Verfolger sind. Als ich wieder nach vorne sah, stand da eine Person mit gespreizten Armen und Beinen. Ich hab versucht, auszuweichen. Dann war alles schwarz um mich", hatte der Angeklagte beim Prozessauftakt erklärt.

Das Motorrad war laut Anklage bei der Kollision mit dem Polizisten zumindest mit 95,8 Stundenkilometern unterwegs. Der Beamte wurde frontal erfasst und zehn Meter durch die Luft geschleudert, ehe er auf die Fahrbahn krachte. Er erlitt unter anderem einen Schädelbasisbruch, Serienrippenbrüche, Brüche des oberen und unteren Schambeins, des Kreuzbeins und des linken Unterschenkels sowie zahlreiche Bänder- und Muskelrisse.