Die Wiener Ärztekammer übt - angesichts anstehender Tarifverhandlungen - in einer neuen Kampagne Kritik an der Wiener Gebietskrankenkasse. Der Slogan eines Sujets lautet: "Du kämpfst mit Krebs. Dein Arzt kämpft mit bürokratischen Hürden der Krankenkasse." Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger sowie Wiens Patientenanwältin Sigrid Pilz sind zutiefst empört und fordern einen Kampagnenstopp.

"Niveaulos"

Das dazugehörige Bild des kritisierten Plakats zeigt eine krebskranke Frau. "Kranke Zukunft? Nicht mit uns Ärzten!" heißt das Motto der kürzlich angelaufenen Kampagne. "Die Verwendung von Krebskranken zur Durchsetzung eigener Interessen ist ein Tiefpunkt und überschreitet sämtliche moralischen Grenzen", kritisierte Hauptverbands-Vorsitzender Alexander Biach am Freitag in einer Aussendung die "niveaulosen" Plakate: "Ich fordere daher den umgehenden Kampagnenstopp und eine Klarstellung."

Es sei ein "bisher ungekannter Stil, sinngemäß Krebskranken mitzuteilen, dass man sie aufgrund bürokratischer Hürden nicht ausreichend behandeln könne", ärgerte sich Biach. Die Aktion der Standesvertretung wertet er als "Rückschritt in den an und für sich guten Beziehungen" zwischen Hauptverband und Kammer: "Ich hoffe, dass Ärztekammerchef Dr. (Thomas, Anm.) Szekeres diese Werbe-Entgleisung stoppt und die Kampagne einstellt."

Man verhandle mit der Kammer intensiv an der Verbesserung des E-Health-Services, um Prozesse wie Befundung, Medikation, Bewilligungen und Rezeptgebührenabrechnung unbürokratischer auszugestalten. Angesichts der "wirklich guten Gespräche" sei die Kampagne umso unverständlicher.

"Ich bin entsetzt"

Äußerst empört zeigte sich auch Wiens Patientenanwältin Sigrid Pilz. "Ich bin entsetzt. Das ist unfassbar", bewertete sie die Kammeraktion im APA-Gespräch. Das Krebs-Sujet sei "zutiefst abzulehnen". Hier werde suggeriert, dass Ärzte keine Zeit für die Patientenbehandlung hätten, da sie im Papierkrieg mit der Kasse stünden: "Das ist bodenlos". Pilz fordert ebenfalls einen sofortigen Kampagnenstopp und wird außerdem Beschwerde beim PR-Ethikrat einlegen, wie sie ankündigte.

Abzulehnen ist für die Patientenanwältin außerdem ein weiteres Sujet der Werbe-Offensive. Dort heißt es: "Wenn die Anzahl der Kassenärzte sinkt, sinkt die Lebenserwartung von Patienten gleich mit." "Hier wird die Botschaft vermittelt: Sie müssen sterben, weil keine Ärzte da sind", so Pilz. Das entspreche einfach nicht den Tatsachen. Im OECD-Vergleich habe Österreich eine sehr hohe Ärztedichte. Abgesehen davon beeinflusse nicht die Anzahl der Kassenärzte, sondern die soziale Ungleichheit die Lebenserwartung. Zwischen den wohlhabendsten und ärmsten Bezirken Wiens gebe es insofern einen Unterschied von einigen Jahren.

"Sujets sind unethisch"

Die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) schließt sich der Forderung von Hauptverband und Patientenanwaltschaft an, wonach die Wiener Ärztekammer ihre aktuelle Kampagne stoppen soll. "Die Sujets sind zutiefst unethisch", kritisierte WGKK-Chefin Ingrid Reischl per Aussendung den Umstand, "dass die Ärzteschaft ihre Honorarforderungen auf dem Rücken von schwerkranken Menschen durchsetzen möchte".

Außerdem seien die Sujets zum Teil inhaltlich falsch. "Zahlreiche Studien zeigen, dass eine große Anzahl von Ärztinnen und Ärzten bzw. eine Überversorgung keineswegs zu einer Verlängerung des Lebens führt", so Reischl im Hinblick auf den Kammer-Slogan, wonach weniger Kassenärzte eine sinkende Lebenserwartung mit sich brächten.

Johannes Steinhart, Vizepräsident der Wiener Ärztekammer und Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte, sieht die Aufregung gelassen. Man habe einmal klarmachen wollen, dass man es als Arzt mit unglaublichem Leid und schwerkranken, zuwendungsbedürftigen Patienten zu tun habe und gleichzeitig mit absurden bürokratischen Auflagen konfrontiert sei: "Beschönigung bringt nichts." Hier gebe es zu wenig Verständnis aus Teilen der Sozialversicherung und der Gesundheitspolitik, so Steinhart zur APA.

Dass die Kampagne nun "Reaktionen auslöst", wertet der Ärztekammer-Vize insofern als "Erfolg". An einen Stopp denkt er folglich nicht - es sei denn, es würden Lösungen im Sinne der von der Ärztevertretung aufgestellten Forderungen angeboten.