Nach dem im Oktober vergangenen Jahres bekannt gewordenen Fall angeblichen Quälens von Patienten in einem Pflegeheim in Kirchstetten in Niederösterreich dauern die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft St. Pölten unverändert an. Fünf Beschuldigte seien derzeit im Verfahren, sagte Behördensprecher Leopold Bien am Dienstag auf Anfrage.

Sozialminister Alois Stöger erklärte, die (im "Falter") veröffentlichten Dokumente offenbarten "unfassbare und erschütternde Verbrechen". Man müsse die Qualitätssicherung sicherstellen, der Sozialminister schlägt dafür die Schaffung einer "Bundesagentur für Qualitätssicherung in Gesundheit und Pflege" vor.

"Die Vorwürfe machen mich sprachlos und müssen alle Verantwortlichen zutiefst beschämen", so der Minister, der angesichts der Berichte über sexuellen Missbrauch, Demütigungen sowie körperlicher und psychischer Gewalt meinte, hier seien "sämtliche Grenzen der Geschmacklosigkeit" bei weitem überschritten worden. "Die Verantwortlichen müssen und werden zur Rechenschaft gezogen werden."

Zum Thema der Qualitätssicherung habe er die Bundesländer Ende Juni zu einem Pflegegipfel gebeten. Angesichts der Dimension des aktuellen Falles sei klar, dass es eine bundesweite und unabhängige Kontrolle brauche. Die SPÖ schlägt daher die Einrichtung einer "Bundesagentur für Qualitätssicherung in Gesundheit und Pflege" vor, die künftig etwa die Qualifikation der Pfleger prüfen, aber auch ein Auge etwa auf die Transparenz von Wartezeiten oder Dokumentationen haben soll.

Ermittlungen laufen

Die Ermittlungen seien "noch nicht abgeschlossen", teilte der Sprecher der Staatsanwaltschaft mit. Er verwies u.a. auf die Pflegedokumentation und zahlreiche Bewohner, die dahin gehend überprüft werden müssten, ob und in welchem Umfang Körperverletzung oder Gesundheitsschädigungen objektiviert werden könnten. Ermittelt wird laut Bien nach Paragraf 92 StGB (Quälen oder Vernachlässigen unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen), aber auch nach Paragraf 205 (Sexueller Missbrauch einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person).

Der "Falter" hat für seine heute erscheinende Ausgabe die Veröffentlichung von bisher "unbekannten Justizakten über einen der größten Pflegeheimskandale der letzten Jahrzehnte" angekündigt. "Die Dokumente offenbaren ein mutmaßlich monströses Verbrechen und erschüttern die Erzdiözese Wien, die das 'Haus Clementinum' in Kirchstetten betreibt und das Land Niederösterreich, das dieses Heim als eines der Besten ausgezeichnet hat. Der Fall schreit auch nach dringenden Reformen im Pflegewesen", so die Wiener Stadtzeitung.

Polizeiberichte und Protokolle

© Falter

Der Vorabmeldung zufolge liegen dem "Falter" Polizeiberichte und Einvernahmeprotokolle von Pflegerinnen und Pflegern vor, "in denen minutiös festgehalten wird, wie wehrlose Patientinnen und Patienten gefoltert, sexuell missbraucht und gedemütigt wurden". Weiters würden die Abschriften einer WhatsApp-Chat-Gruppe veröffentlicht, "in der sich sadistische Pfleger selbst als 'Blauensteiner' oder 'Lainz-Schwester Waltraut' bezeichnen."

In dem Akt gibt es der Wiener Stadtzeitung zufolge zudem "Aussagen, die darauf hindeuten, dass schwer Kranke ermordet werden hätten sollen". Ein Pfleger soll eine hoch fiebernde Frau in der Kälte unbedeckt vor ein offenes Fenster gelegt haben.

Von der Justiz als Zeuginnen einvernommene Hinweisgeberinnen würden davon berichten, "dass sie dabei waren, wie eine Gruppe von 'Sadisten' (aus dem Protokoll, so der 'Falter') Frauen rektal mit der Faust sexuell missbraucht haben soll". Man habe den Senioren "aus purem Sadismus" hochalkoholische Flüssigkeiten (Franzbranntwein) in die Genitalien oder auf den Penis geschüttet "und brüstete sich damit, eine Frau sogar dazu gezwungen zu haben, ihre Exkremente zu essen. Ein Pfleger soll alte Frauen nackt ausgezogen und sich für ein Foto neben sie gelegt haben", schreibt die Zeitung.

Im Oktober bekannt geworden

Der Fall war am 18. Oktober 2016 durch die "ZiB2" des ORF öffentlich geworden. Pflegeanwalt Gerald Bachinger betonte am folgenden Tag, dass es ihm um "lückenlose Aufklärung" gehe. Beim Betreiber des Pflegeheimes zeigte man sich "schockiert", Kardinal Christoph Schönborn war tief erschüttert über die angeblichen Missbrauchsfälle. Der jeweilige Erzbischof von Wien sei "aus historischen Gründen" Schirmherr der Trägerschaft der Einrichtung, habe aber keinerlei Einflussmöglichkeiten auf die operativen Tätigkeiten.

Das Pflegeheim selbst reagierte nicht nur mit fristlosen Entlassungen, sondern auch mit mehreren Maßnahmen: Aufarbeitung der Vorfälle, Personalnachbesetzung, psychologische Betreuung und Einführung einer "Safety Line" für die Mitarbeiter sowie Qualitätssicherung zählten dazu.

Die Beschuldigten bestreiten laut "Falter" die gegen sie erhobenen Vorwürfe. Der Hauptbeschuldigte habe "bis gestern allerdings weiter in einem privaten Heim als Pfleger" gearbeitet, "weil es aufgrund einer gesetzlichen Lücke kein Berufsverbot für Pfleger gibt". Der Mann sei freigestellt worden, als die Heimleitung durch die Wiener Stadtzeitung von den gegen ihn erhobenen massiven Vorwürfen erfahren habe.

Beschuldigte nicht geständig

Die Staatsanwaltschaft St. Pölten hat zu dem seit Oktober 2016 laufenden Ermittlungsverfahren gegen fünf ehemalige Pflegekräfte eines Pflegeheims in Kirchstetten (Bezirk St. Pölten Land) am Dienstag zudem mitgeteilt, dass die Beschuldigten nicht geständig seien. Sie würden die ihnen vorgeworfenen Tathandlungen vielmehr bestreiten und Verleumdung geltend machen.

Das Quintett stehe im Verdacht, im Rahmen der pflegerischen Tätigkeit Heimbewohner gequält und vernachlässigt und strafbare Handlungen gegen deren sexuelle Integrität und Selbstbestimmungen begangen zu haben, so Leopold Bien, der Sprecher der Staatsanwaltschaft. "Im Rahmen umfangreicher Ermittlungen wurden und werden zahlreiche Personen als Zeugen vernommen."

"Zur weiteren Abklärung der Tatvorwürfe wurde auch ein gerichtsmedizinischer Sachverständiger damit beauftragt, die Heimbewohner zu begutachten und allfällige Gesundheitsschädigungen als Folgen der Taten festzustellen." Die Ermittlungen hätten - auch nach Rücksprache mit dem Sachverständigen - bisher "keinerlei Hinweise auf vorsätzliche oder fahrlässige Tötungsdelikte zum Nachteil von Heimbewohnern" ergeben, so Bien weiter.

Ausführungen in dem auch vom "Falter" erwähnten Chat-Verlauf würden die Beschuldigten damit erklären, dass diese für sie ein Ventil gewesen seien, um mit ihren psychischen Belastungen in der Pflegesituation fertig zu werden. Dass einzelne von ihnen erneut im Bereich der Altenpflege tätig sein sollen, werde in den laufenden Ermittlungen überprüft, hielt Bien außerdem fest.