Der damals 19-jährige Harald Rother lief 1975 bei den Österreichischen Meisterschaften in einer Staffel des Wiener Athletiksport Clubs (WAC) mit. Über die Distanz von 25 Kilometern erreichte der schwer sehbehinderte Athlet den dritten Platz.

Eine Medaille wurde ihm aber damals verwehrt. Die kuriose Begründung: Als Blinder habe er bei den sehenden Läufern nichts verloren.

"Es war eine große Enttäuschung, die Entscheidung hat mich sehr getroffen", erzählt Rother im Interview mit der Kleinen Zeitung:

Schließlich gab es aber doch noch Gerechtigkeit für den Athleten, was allerdings über 40 Jahre dauern sollte: Im Rahmen einer Reportage über den heute 60-jährigen Harald Rother kam die alte Geschichte als Randnotiz vor. Helmut Baudis, Generalsekretär der Österreichischen Leichtathletik-Verbandes (ÖLV), wurde aufmerksam und wollte diese Ungerechtigkeit korrigieren: "Das Vorenthalten der Meisterschaftsmedaille liegt weit vor meiner Zeit, trotzdem würde ich hier gerne Wiedergutmachung betreiben und Herrn Rother seine Medaille im Nachhinein verleihen."

Am Montag war es dann soweit: Nach 42 Jahren fand die Überreichung der verdienten Medaille in einer berührenden Zeremonie statt. Der langjährige Freund und Wegbegleiter Rothers, Gregor Hartmann, hielt eine Laudatio.

Als der ÖLV-Generalsekretär Harald Rother die Medaille überreichte, strahlte dieser über das ganze Gesicht und kämpfte gleichzeitig mit den Tränen: "Sie haben keine Vorstellung, wie viel mir diese Medaille bedeutet!"

Harald Rother mit einem Artikel  aus dem Jahr 1976, in dem über die verweigerte Medaille berichtet wird
Harald Rother mit einem Artikel aus dem Jahr 1976, in dem über die verweigerte Medaille berichtet wird © Dirnberger/Hilfsgemeinschaft

"Es tut gut", diese Medaille nach so vielen Jahren doch noch erhalten zu haben, sagt Rother. Besonders freut es ihn, dass sich in den letzten Jahrzehnten in Österreich sehr viel im Umgang mit Behinderung getan hat. Die Akzeptanz sei gestiegen - auf gesellschaftlicher aber auch auf sportlicher Ebene. Rother selbst, der eine Ausbildung zum Masseur hat, konnte in seinem Beruf nie arbeiten. Das Problem damals war, dass er im Zuge der Arbeit auch die Patientenakten hätte führen müssen, was ihm aufgrund seiner Sehbehinderung nicht möglich war. Aber das hat ihn nicht gehindert, sich selbst eine Beschäftigung zu suchen: "Auch wenn man mir keine Arbeit gegeben hat, bin ich nicht arbeitslos gewesen". Der 60-Jährige ist sozial sehr engagiert. Er ist in der Behindertenbetreuung und Sterbebegleitung aktiv, wie er erzählt.

Eigenen Laufstil entwickelt

An Wettbewerben nimmt Rother nicht mehr teil, das Laufen hat er aber nicht aufgegeben. Im Gegenteil: Statt mit einem, für Blinde üblichen Begleiter zu laufen, hat Rother seine eigene Technik entwickelt. Er läuft, indem er sich ganz auf seinen Blindenstock verlässt. Diese Technik erfordert aber noch Perfektionierung, wie er selbst sagt. Denn er hat dadurch nur eine Hand frei, die sich an den Laufrhythmus der Beine anpassen kann. Die zweite Hand ist durch den Stock blockiert. Aus diesem Grund möchte Rother mit einarmigen Athleten in Kontakt treten, um sich Tipps für diesen Laufstil zu holen.

Auch seine Augen haben sich nach einem Unfall mit Kopfverletzung im Jahr 2012 noch einmal massiv verschlechtert - auf nur noch 0,5 Prozent Sehleistung. Wie die Welt für ihn aussieht? Harald Rother beantwortet diese Frage mit Humor: "Wenn ich mich im Spiegel anschaue, sehe ich ein abstraktes Gemälde à la Picasso. Andere müssen Millionen zahlen dafür, ich muss nur in den Spiegel schauen", scherzt Rother. "Ich nehme alles sehr humorvoll".