Judo-Doppelolympiasieger Peter Seisenbacher, der sich ab Montag unter anderem wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen im Wiener Straflandesgericht verantworten hätte müssen, hat den Prozess platzen lassen. Der 56-Jährige tauchte unentschuldigt nicht auf - offenbar auch zur Überraschung seines Verteidigers Bernhard Lehofer: "Ich weiß nicht, warum er nicht gekommen ist."
"Vielleicht hat er den Flieger versäumt. Vielleicht ist er erkrankt", mutmaßte der Anwalt. Er habe zuletzt "vor einigen Tagen" Kontakt mit Seisenbacher gehabt und sei davon ausgegangen, dass dieser wie zugesichert erscheinen wird. Telefonisch sei der Ex-Judoka "nicht erreichbar". "Ohne den Angeklagten tun wir uns schwer", vertagte Richter Christoph Bauer schließlich die Verhandlung auf unbestimmte Zeit - "zur Ausforschung und Stelligmachung des Angeklagten", wie er formulierte.
Ex-Judoka muss mit Haftbefehl rechnen
Wie die Justiz auf das unentschuldigte Fernbleiben von Peter Seisenbacher reagieren wird, war am Montagvormittag noch unklar. Sollte der Judo-Olympiasieger keine plausiblen Gründe für sein Nichterscheinen nachliefern, könnte ihm passieren, dass er mit einem Europäischen oder Internationalen Haftbefehl zur Festnahme ausgeschrieben wird.
Dem Vernehmen nach lagen dem Gericht vorerst keine Informationen vor, ob Seisenbacher, der derzeit als Judo-Trainer der Herren-Nationalmannschaft in Aserbaidschan tätig ist, überhaupt die Reise nach Wien angetreten hat. Wo er sich aktuell befindet, konnte auch sein Verteidiger Bernhard Lehofer nicht beantworten, der - was eher ungewöhnlich erscheint - unmittelbar vor dem Verhandlungstermin offenbar keinen Kontakt mit seinem Mandanten hatte. Weder die Staatsanwaltschaft Wien noch das Landesgericht für Strafsachen waren auf APA-Anfrage zu einer offiziellen Stellungnahme bereit, aber sollte es weiter kein Lebenszeichen von Seisenbacher geben, ist davon auszugehen, dass sich die Justiz zum Handeln veranlasst sehen wird.
Hinter vorgehaltener Hand hatten sich einige Rechtsexperten schon bei der Anklageerhebung gewundert, dass seitens der Justiz eine mögliche U-Haft für Seisenbacher nicht angedacht wurde. Immerhin liegen zumindest seine beruflichen Interessen im vorderasiatischen Aserbaidschan. Dass Seisenbacher auf die Idee kommen könnte, sich bei einer Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren der Strafverfolgung zu entziehen, wies die Wiener Anklagebehörde Anfang Oktober zurück. "Es gibt keinen Anhaltspunkt für Fluchtgefahr", meinte damals Behördensprecherin Nina Bussek auf Anfrage der APA.
Nur weil ein Tatverdächtiger beruflich viel im Ausland unterwegs sei, könne nicht angenommen werden, dass er sich nicht dem Verfahren stellen wird. Bisher habe Seisenbacher Ladungen übernommen und keinen Anlass zur Vermutung gegeben, er könnte sich einer allfälligen Verhandlung entziehen wollen. Außerdem sprachen auch seine in Wien lebende betagte Mutter, um die sich Seisenbacher kümmert, und der Umstand, dass er als Trainer der Nationalmannschaft darauf angewiesen ist, sich auch außerhalb von Aserbaidschan frei bewegen zu können, dagegen, dass er einen Haftbefehl riskieren wird.
Sollte tatsächlich ein Haftbefehl ausgestellt werden, ist die Frage, ob dieser vollzogen werden kann. Ein Auslieferungsabkommen mit Aserbaidschan besteht seit Anfang 2006.