Das genaue Motiv wird wohl nie geklärt werden - angeblich hinterließ die 35-jährige dreifache Mutter keinen Abschiedsbrief. Doch ihre Mutter soll vor zwei Wochen eine schreckliche Diagnose erhalten haben: Bauchspeicheldrüsenkrebs.

Diese Erkrankung gekoppelt mit den Schulden auf dem erst im Vorjahr gekauften Haus und die damit ungewisse Zukunft der drei Kinder könnten die Bluttat ausgelöst haben.

Die Kinder und der Bruder der Frau wurden tot im ersten Stock des Hauses aufgefunden - erschossen in ihren Betten. Die 59-Jährige und die mutmaßliche Täterin lagen in einem Zimmer im Parterre. Dort war auch der Familienhund getötet worden.

Betroffenheit im Ort

Nach der Bluttat mit sechs Toten in Böheimkirchen (Bezirk St. Pölten-Land) haben sich Bürgermeister Abg. Johann Hell (SPÖ) und die Direktorin der Volksschule, Silvia Riedler, am Freitag in einem Pressegespräch "tief betroffen" gezeigt. Die Kinder in der Volksschule wurden von einem Krisenteam psychologisch betreut.

"Wir trauern um die Familie", sagte Hell, die Marktgemeinde sei "tief bestürzt". Die sechs Personen waren laut Hell im April 2015 von der Nachbargemeinde Kirchstetten in den Ortsteil Schildberg in ein ehemaliges Gasthaus gezogen, das sie gekauft hatten. "Die Familie hat sehr ruhig gelebt", so der Bürgermeister. Kontakt mit der Gemeinde habe es nur bei der Anmeldung nach dem Umzug gegeben, später nicht mehr. "Sie haben sich nicht in das gesellschaftliche Leben eingebracht", berichtete Hell, deshalb seien sie "nach außen nicht aufgefallen".

Vor der Volksschule im Zentrum von Böheimkirchen wehte am Freitag die schwarze Fahne, im Inneren des Gebäudes wurden die Kinder psychologisch betreut. "Wir sind alle zutiefst bestürzt und betroffen. Viele Kinder haben geweint", betonte die Direktorin. Auch kommende Woche werde das Team "immer wieder vor Ort sein", sagte Andrea Richter, Leiterin der Abteilung Schulpsychologie in NÖ.

Mutter entschuldigte Kinder

Die Mutter (35) - und mutmaßliche Täterin - hatte ihre Kinder (7, 9 und 10) am Montag vergangener Woche in der Schule für einige Tage entschuldigt: mit der Begründung, dass die Großmutter verstorben sei, sagte die Direktorin. Die 35-Jährige habe von einem großen Schock für die Familie gesprochen, "deshalb haben wir uns gar nichts dabei gedacht", betonte Riedler.

"Gut integriert"

Das getötete Mädchen besuchte die erste, ihre beiden Brüder gingen in die dritte und vierte Klasse. Die Kinder waren laut Direktorin "gut integriert", es handelte sich um eine "ganz normale Familie". Es habe ein "guter Kontakt zwischen der Mutter und den Lehrerinnen geherrscht", erzählte Riedler. "Die Kinder waren sehr behütet". Die 35-Jährige habe das Mädchen und die Buben manchmal bis zur Tür begleitet.

Krisenteam

Am Freitag war ein Krisenteam aus drei Schulpsychologinnen und einem Beratungslehrer zur Betreuung in der Volksschule. Sie "unterstützen die Kinder, damit diese die Erlebnisse einordnen können", erklärte Richter. Es bestand die Möglichkeit für Schüler, Einzel- und Gruppengespräche zu führen. Es handle sich um Erlebnisse, "die nicht dem Alltag entsprechen und die den Kindern Angst machen", erklärte die Schulpsychologin.

Sechs Tote in Niederösterreich: Bestürzung in Böheimkirchen

Internationales Medieninteresse

Vor dem Haus im Ortsteil Schildberg  war es am Freitag ruhig. Schaulustige gibt es ebenso nicht wie Absperrungen. Auch Polizeibeamte sind nicht zu sehen. Lediglich zwei TV-Übertragungswagen haben am Tatort Position bezogen. Der Fall stößt auch auf internationales Medieninteresse. Am Stiegenaufgang zum ehemaligen Gasthaus stehen drei rote Grabkerzen. Der starke Wind hat sie ausgeblasen. Die Zeitungsbox an der Hinterseite des Hauses scheint seit einigen Tagen nicht mehr geleert worden zu sein.

Motiv unklar

Dass die Mutter die Täterin ist, wollte Schnell "so nicht bestätigen": "Das ist Stand der Ermittlung", meinte sie. Die Tat dürfte aber bereits mehrere Tage zurückliegen. "Der Arbeitgeber eines Opfers hat die Behörden verständigt, weil die Person länger nicht zur Arbeit erschienen ist", sagte die Leiterin. Auch der Hund der Familie wurde tot aufgefunden.

Frau tötete ihre Kinder, Mutter und Bruder

Die Bluttat "dürfte sich nach dem 20. November 2016 ereignet haben", teilte die Landespolizeidirektion Niederösterreich mit. Die Erhebungen durch das Landeskriminalamt - auch zum genauen Zeitpunkt - würden fortgesetzt. Die verwendete Faustfeuerwaffe war auf die 59-jährige Mutter der mutmaßlichen Täterin (35) registriert. 

Eine "unauffällige" Familie

Das Gebäude in Böheimkirchen, das zum Schauplatz der Bluttat wurde, war früher einmal ein Wirtshaus. Nach der Schließung der Gastwirtschaft sei die Familie - drei Generationen - eingezogen, habe aber sehr zurückgezogen gelebt, sagte die Nachbarin.

20 Jahre lang hatte er das nahe der Westbahn gelegene Gasthaus geführt, ehe er das Gebäude vor gut einem Jahr an die aus der Umgebung stammende Familie verkaufte, erzählte der vormalige Gastronom, dessen Tochter noch im Nachbarhaus wohnt, der APA. Er beschrieb die Familie als "unauffällig". Es seien keine Streitereien vorgefallen bzw. bekannt geworden.

Nach seinen Angaben hatte der ehemalige Hauseigentümer am Donnerstag um 11.00 Uhr einen Anruf von der Polizei erhalten. Er wurde nach dem Zugang zu dem Gebäude gefragt, weil die Beamten das Haus überprüfen wollten. Die drei schulpflichtigen Kinder seien nämlich bereits seit drei Tagen vermisst worden.

Unter der Bevölkerung herrschte Fassungslosigkeit. Bürgermeister Johann Hell (SPÖ) zeigte sich über die Tragödie erschüttert: "Wir sind alle betroffen." Er habe die in die Katastralgemeinde zugezogene Familie nicht persönlich gekannt. Es sei nichts über sie bekannt gewesen, sprach Hell gegenüber der APA von einer scheinbar "ganz normalen Familie" - hineinschauen, hinter Mauern und in die Menschen, könne man nirgends.

Er wisse nicht einmal den Namen, meinte ein Mann, der seit 17 Jahren hier wohnt: "Sonst kennen sich hier alle." "Nicht einmal vom Sehen" hatten drei Berufstätige die Familie gekannt. Sie kamen gerade von der Arbeit zurück und meinten, es sei ein "Wahnsinn", was da passiert ist. Eine Frau, die mit ihrem Hund spazieren war, empfand es als etwas "sonderbar", dass die Familie offenbar gar keinen Kontakt wollte. Die Familie sei auch nie draußen gewesen, sondern immer im Haus gewesen - auch die Kinder, meinte sie. Ihre neunjährige Tochter kannte die Kinder von der Schule.

"Es ist so schrecklich", sagte ein älterer Herr. Er hatte gehört, dass die Mutter - und mutmaßliche Täterin - ihre Kinder in der Früh immer mit dem Bus zur Schule begleitet hatte. Am Nachmittag habe die Frau die Kleinen dann von der Bushaltestelle abgeholt und direkt nach Hause gebracht.

© APA/HELMUT FOHRINGER