Das System des Maßnahmenvollzugs, an dessen Reformierung gearbeitet wird, sieht vor, dass Straftäter in Anstalten für geistig abnorme oder entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher untergebracht werden können oder in Anstalten für gefährliche Rückfalltäter. Die Zahl der Einweisungen in Anstalten für geistig abnormen Rechtsbrecher sind, wie Graupner nun darlegte, massiv gestiegen: von rund 300 Anfang der 80er-Jahre auf jetzt fast 1.000.

Rund die Hälfte der Insassen solcher Anstalten seien zurechnungsfähig und erhalten für ihr Delikt eine Strafe. Eine Einweisung ist potenziell lebenslänglich. Die Notwendigkeit einer weiteren Anhaltung muss laut Gesetz einmal pro Jahr gerichtlich geprüft werden. Laut Oberstem Gerichtshof (OGH) genügt es, wenn das Gericht das Überprüfungsverfahren innerhalb der Ein-Jahres-Frist einleitet, die Entscheidung kann später gehen, "Diese Judikatur erwies sich als menschenrechtswidrig", erklärte Graupner. Im Fall seines Mandanten dauerte es nach Angaben des Anwalts 16 Monate von der letzten bis zur darauf folgenden rechtskräftigen Entscheidung über die weitere Anhaltung. Das war nach Ansicht des EGMR kein zügiges Überprüfungsverfahren mehr wie es die Europäische Menschenrechtskonvention garantiert.

Kritik an mehreren Punkten

Der EGMR übte in Zusammenhang mit diesem Fall in mehreren Punkten Kritik am österreichischen System des Maßnahmenvollzugs. Unter anderem wurde bemängelt, dass immer mehr Einweisungen in Anstalten für geistig abnormen Rechtsbrecher aufgrund bloßer Vergehen erfolgen und das Prinzip "Therapie statt Strafe" faktisch in sein Gegenteil verkehrt werde. Der "Etikettenschwindel" der Einstufung von Straftätern als geistig abnorm diene dazu, die restriktiven gesetzlichen Anforderungen an die Unterbringung als gefährliche Rückfalltäter zu umgehen und potenziell lebenslänglich einzuweisen.

Graupner wies zugleich darauf hin, dass die von Justizminister Wolfgang Brandstetter eingesetzte Arbeitsgruppe Maßnahmenvollzug in ihrem im Jänner präsentierten Bericht festhält, dass zumindest vier von fünf Personen zu Unrecht in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen würden.

Wesentlichste Empfehlung in dem Bericht ist die Anhebung der Strafdrohung auf mehr als drei Jahre als Voraussetzung für die Verhängung des Maßnahmenvollzugs. Dazu kommt, dass die Vollziehung nicht mehr in Justizanstalten, sondern in therapeutischen Zentren erfolgen soll. Bei Jugendlichen soll die Einweisung nicht mehr "bis zu lebenslang" erfolgen können. Das Justizministerium will Mitte Oktober ein neues Konzept für Strafanstalten präsentieren, in dem es auch um den Maßnahmenvollzug geht.