Frische Blumen am Grab der Angehörigen, ein bisschen Normalität, zwei Tage vor Allerheiligen. Die Frau, die gerade mit einem Kübel voller bunter Blumen über den Friedhof marschiert, kennt den Doppelmörder gut. „Er war früher Jäger in unserem Revier“, sagt sie. Was passiert ist, sei fürchterlich und tragisch, aber Angst habe sie keine. „Warum denn? Es ist eh so viel Polizei da“, sagt sie. Und sie hätte ja kein Thema mit ihm.

Die Suche nach Roland Drexler (56) ist auch vier Tage nach dem Doppelmord in vollem Gange. Bei der derzeit größten Fahndung Österreichs durchkämmen hunderte Polizisten den Bezirk Rohrbach. Der mutmaßliche Doppelmörder, der am Montag zuerst Franz Hofer, den Bürgermeister der nahen Gemeinde Kirchberg ob der Donau und danach den pensionierten Polizisten Josef H. in seinem Wohnzimmer erschossen hat, schien bis Freitagvormittag wie vom Erdboden verschluckt. Nun wurde nach einem Hinweis eines Spaziergängers das Auto des Flüchtigen entdeckt - an einer Stelle, die zuvor bereits von der Polizei durchsucht worden war. Der Verdächtige scheint also noch am Leben, ein weiterer Großeinsatz läuft.

Suche nach Drexler für die Polizisten ein Horrorszenario

Seit Montag schon wird fieberhaft nach Drexler gesucht. Bei einem Lokalaugenschein der Kleinen Zeitung Mitte der Woche zeigte sich schnell: Ganze Gruppen von Streifenwagen fahren aus Altenfelden aus oder kehren zurück – zur Kommandozentrale in der Feuerwehrhalle, die von zwei Uniformierten mit schweren, kugelsicheren Westen bewacht wird. In der Einfahrt parken die beiden gepanzerten Fahrzeuge der Cobra, eines mit aufgesetztem Maschinengewehr. Ein Salzburger Polizist, mit seiner Einheit hierher beordert, erzählt: „Für uns ist das ein absolutes Horrorszenario. Überall dichter und teilweise steiler Wald. Der kann mit seinem Jagdgewehr aus einem Kilometer Entfernung treffsicher auf uns schießen. Wir treffen mit unseren Sturmgewehren nur auf 100 Meter gut“. Laufend gehen Hinweise aus der Bevölkerung ein und jeder dieser Möglichkeiten wird nachgegangen. Man sucht die berühmte Stecknadel im Heuhaufen. Zumindest wurde inzwischen das Auto gefunden.

„Es gibt wenige, die den Bezirk Rohrbach so gut kennen“

Roland Drexler sei ein guter Schütze und ein ausgezeichneter Jäger. Das weiß Bürgermeister Klaus Gattringer (ÖVP). Der Chef des 2500-Einwohner-Dorfs findet gerade in seine neue Rolle als Krisenmanager. Mediale Erfahrung bringt der Kfz-Mechaniker mit – vor neun Jahren, als das Asylzentrum hier brannte, saß er danach in der ORF-Sendung „Im Zentrum“. „Die Lage ist für mich angespannt, weil wir keine Ahnung haben, wo der Drexler sein könnt“, sagt der Mann mit weißem Haar, weißem Bart, Trachtenjacke und kräftigen Mechaniker-Händen. „Es gibt wenige, die den Bezirk Rohrbach so gut kennen. Er ist ein fanatischer Jäger“, sagt Gattringer, der selbst Waidmann ist. Eines der Opfer war ihm nahe, das treffe ihn persönlich. „Der Bürgermeister von Kirchberg war mein Freund“, erzählt er. Aber jetzt hieße es standhaft sein, weil von Schwäche hätte niemand was. Er appelliert an seine Bevölkerung: „Niemand muss Angst haben. Es ist so viel Exekutive da.“

Bürgermeister Klaus Gattringer appelliert an sein Dorf: „Niemand muss Angst haben“
Bürgermeister Klaus Gattringer appelliert an sein Dorf: „Niemand muss Angst haben“ © KLZ / AER

An diesem Spätherbsttag kann man erahnen, was Normalität in Altenfelden eigentlich heißt. Sonne, blauer Himmel, die ländliche Idylle der Gegend präsentiert sich in den schönsten Herbstfarben. Ein älterer Herr drängt sich durch eine Gruppe Polizisten am Gemeindeamt vorbei. „Angst? Woher!?“, ruft er ganz erstaunt. Namen will er, wie so viele hier, keinen nennen, aber es sei halt eine „Jaga-Gschicht“ gewesen. Über diese „Jaga-Gschicht“ scheint jeder ein bisschen, aber niemand so richtig etwas zu wissen.

„Spannung unter den Jägern, seit mehr als 20 Jahren“

Im Ristorante Luciano, keine 100 Meter von der Polizei-Kommandozentrale entfernt, gibt es nur ein Gesprächsthema. „Kennst du den Spruch ‚A Schilling allein schebert net‘“, sagt einer der Männer an der Bar – auch er will anonym bleiben. Die schreckliche Geschichte hätte mehrere Seiten, ist er jedoch überzeugt. Den Drexler kennt er, kennen alle. Wie man sich eben kennt in einem Dorf, vom Sehen. Man hätte schon mitbekommen, dass sich unter den Jägern die Spannung aufbaute, und das wohl seit mehr als 20 Jahren. Dabei sei der mutmaßliche Doppelmörder eigentlich ein geselliger Typ, nicht nur Jäger, auch Schürzenjäger. Über seinen Verbleib wird viel spekuliert. Kollege Fridolin R. weiß: „Keiner kennt das Gebiet so gut wie er. Der versteckt sich hier irgendwo.“ „Rambo-Roland“ sei im Wald schwer zu finden, heißt es an der Theke.

Jäger-Stammtisch beim Wildparkwirt

Beim Wildparkwirt trifft sich die Jägerschaft. Das Gasthaus etwas außerhalb von Altenfelden gilt auch als Stammwirt von Roland Drexler. Am Weg ist der Nebel so dicht, dass die schmale Straße nur Schritttempo zulässt, dennoch fällt das zivile Polizeiauto am Rand der Auffahrt auf. Auch hier könnte der Flüchtige auftauchen. Die Jäger, mit denen sich Roland Drexler angeblich bis aufs Blut verkracht hat, haben dort ihren Stammtisch. In der holzvertäfelten Stube in einem Winkel sitzen vier ältere Herren am „Stammtisch der Jägerschaft“, wie auf einem Bild eines Wildschweins zu lesen ist. Das Gasthaus typisch österreichisch, die Sitzbezüge bunt und noch aus den 1980er-Jahren, getrunken wird Bier, gegrüßt wird jeder der einkehrt.

Am Abend beim Wildparkwirt, dem Stammgasthaus von Roland Drexler. Dichter Nebel umhüllt das Mühlviertel
Am Abend beim Wildparkwirt, dem Stammgasthaus von Roland Drexler. Dichter Nebel umhüllt das Mühlviertel © KLZ / AER

„Der Roland ist keine Gefahr für die Allgemeinheit“

Gleich vorweg stellen sie klar: „Der Roland ist keine Gefahr für die Allgemeinheit“. Einer, der Drexler als seinen Freund bezeichnet, sagt: „Dass er aggressiv war, das stimmt einfach nicht. Das war er so nicht, auch dann nicht, wenn er was gesoffen hat.“ Ein anderer stimmt zu. „Nur bei der Jagd, da ist er leicht grantig geworden. Einmal habe ich bei einem Fuchsbau daneben geschossen, da ist er fast ausgeflippt“.

Ehrgeizig sei er, der Roland. Und ein ausgezeichneter Jäger. Am Freitag habe der Freund das letzte Mal mit ihm telefoniert, für den 31. Oktober hätten die beiden etwas ausgemacht. „Da hätte ich mir nie gedacht, dass er sowas machen würde“, sagt er.

Aber wo liegt jetzt eigentlich das Problem, das der Drexler mit anderen Jägern hat. Der Streit, der sei schon länger da gewesen, sagen sie. Seit Jahren schwelt das, was lapidar als Jagdneid subsumiert wird. Roland Drexler war nicht nur ein leidenschaftlicher Jäger, Drexler hätte für die Jagd gelebt. Besonders für die Raubwild-Jagd, auf Dachse und auf Füchse. Aber er hätte die Regeln oft sehr gedehnt, hätte es mit dem „Ankirren“ (Anm.: der Anfütterung von Wild) auch übertrieben, hätte sich zu oft in andere Reviere ausgebreitet. Dafür sei er oft angezeigt worden, unter anderem von den beiden Opfern.

„Der Roland hat abgeschlossen“

Dass er sich was antun wolle, wenn sie ihm die Jagdkarte nehmen, hätte er vor einem halben Jahr schon zu einem von ihnen gesagt. Dann mache er was und bringe sich um. Dass er zwei Menschen ermorden würde, damit hätte jedoch niemand gerechnet. „Den Roland kriegen sie sicher nicht lebend“, sind sich die Anwesenden einig. „Der hat sich entweder schon umgebracht, oder er wartet noch, bis er endgültig in die Enge getrieben ist. Anders kommt der da nicht mehr raus. Der hat abgeschlossen.“

Klare Worte findet Pfarrer Rupert Granegger: „Niemand muss Angst haben. Angst führt zu Hysterie, das brauchen wir nicht“. Das Allerheiligen-Fest werde man ganz normal begehen und er lade die Bevölkerung ausdrücklich auf den Friedhof ein. „Währenddessen muss die Polizei ihre Arbeit machen. Danach folgt unsere Arbeit – nämlich heilend zu wirken und das Geschehene aufarbeiten“, sagt der Pfarrer.

*Der Artikel wurde am 31.10. veröffentlicht und am 1.11. mit neuen Erkenntnissen nach der Auffindung des Fluchtfahrzeugs ergänzt*