Nur sechs Wochen nach Schulbeginn haben Wiener Pflichtschullehrergewerkschafter für Donnerstag um 17 Uhr zu einer Kundgebung vor der Bildungsdirektion aufgerufen, danach gab es eine Demo zum Bildungsministerium und Ballhausplatz. „Wir schaffen das nicht mehr!“, beklagte die Fraktion Christlicher Gewerkschafter (FCG) im Demoaufruf Überlastung, Personalmangel, Bürokratie und steigende Anforderungen. Mehrere hundert Lehrerinnen und Lehrer sind dem Aufruf gefolgt.

Lehrerinnen und Lehrer permanent an der Belastungsgrenze

Die Schulen seien am Kipppunkt, der Betrieb sei an vielen Standorten nur noch eingeschränkt möglich, warnte Wiens oberster Lehrervertreter Thomas Krebs (FCG) im Vorfeld der Kundgebung. Die Schulen seien konstant unterbesetzt, Lehrerinnen und Lehrer deshalb permanent an der Belastungsgrenze. Dazu komme ein Mangel beim Unterstützungspersonal, Lehrer würden teilweise in Freizeitgruppen oder für fehlende Schulwarte einspringen. Gleichzeitig berichtete zuletzt in einer Umfrage die Hälfte der Wiener Pflichtschullehrer, dass mindestens die Hälfte ihrer Klasse zu wenig Deutsch spricht, um dem Unterricht folgen zu können. Täglich erhalte er Berichte über Respektlosigkeiten und Übergriffe durch Schüler, Sanktionsmöglichkeiten fehlten. Die Bildungsdirektion sei wiederum notorisch unterbesetzt, technische Probleme beim Bewerbungstool hätten den Lehrermangel noch verschärft.

Eine FCG-Vertreterin berichtete von einer Lehramtsstudentin, die statt wie geplant 11 Stunden als Begleitlehrerin zu arbeiten nun eine eigene, noch dazu extrem heterogene Klasse führe und damit völlig überfordert sei. Eine andere Kollegin fühlt sich ihrem Bericht zufolge derart alleingelassen mit den Herausforderungen in ihrer Klasse, dass sie kurz vor der Pension darüber nachdenke, auszusteigen. Auch bei den Demonstranten war der Lehrermangel Thema. „Leerermangel gäferdet unsäre Zugunvt“, wurde auf einem Schild gewarnt. Eingefordert wurde außerdem wieder mehr Zeit für das eigentliche Unterrichten (“100 Testungen machen Kinder nicht besser“).

Von den Entscheidungsträgern verlangte Lehrergewerkschafter Krebs eine nachhaltige Entlastung, gerechte Arbeitsbedingungen und einen Schulsozialarbeiter und -psychologen an jedem Standort, damit das Lehrpersonal seine Arbeit weiter auf hohem Niveau erledigen könne. In den Kindergärten seien kleinere Gruppen und mehr Sprachförderung notwendig, in der Lehrerausbildung müssten die Studierenden wieder besser auf die Praxis vorbereitet werden.

„Deine Stimme für eine starke Stimme“

Man habe seit dem Frühjahr immer wieder gewarnt, dass die Lehrerinnen und Lehrer am Limit seien, so Krebs. Die Standkundgebung vor der Bildungsdirektion, die bewusst außerhalb der Unterrichtszeit angesetzt wurde, sei als „lautes Zeichen der Solidarität“ gedacht. Unter dem Motto „Deine Stimme für eine starke Stimme“ wurde auf der Einladung auch gleich um Unterstützung für die FCG bei den Ende November anstehenden Personalvertretungswahlen geworben. Sollte der Protest keinen Effekt zeigen, sind laut Krebs auch weitere Maßnahmen vorstellbar, die den Unterricht durchaus beeinträchtigen würden.

Nach der Standkundgebung zogen die Lehrer auf Initiative der Unabhängigen Lehrergewerkschafter der ÖLI-UG an Wiens Pflichtschulen noch weiter zum Bildungsministerium und - als Zeichen gegen die von der FPÖ geforderte „Meldestelle“ gegen „politisierende Lehrer“ - zum Ballhausplatz. Die ÖLI-UG verlangen etwa genügend Ressourcen und Unterstützung durch multiprofessionelle Teams, transparente Verträge und höchste Priorität für Bildungspolitik bei den Regierungsverhandlungen.

„Volle Unterstützung“ von der ÖVP

„Volle Unterstützung“ für die Lehrerkundgebung kam per Aussendung von der ÖVP, gleichzeitig übte sie Kritik an der rot-pinken Koalition. Lehrer würden immer mehr ausbrennen, es gebe zu wenig Unterstützungspersonal, von Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr kämen nur „teure, pinke PR-Projekte“. Die FPÖ warf Wiederkehr „bildungspolitische Misswirtschaft“ vor. Die Klassen seien überfüllt, es gebe zu wenig Lehrer und Unterstützungspersonal und gleichzeitig immer mehr Schüler, die zu wenig Deutsch sprechen um dem Unterricht folgen zu können. Wiederkehr müsse sofort zurücktreten, forderte Bildungssprecher Maximilian Krauss. Die Grünen verlangten Maßnahmen für eine bessere Durchmischung der Schulen, einen Schulsozialarbeiter und eine Elternfachkraft an jeder Schule und deutlich mehr Deutschkurse in den Kindergärten anstelle von „Beschwichtigungen und halbherzigen Scheinlösungen“. Die Wiener NEOS-Klubobfrau Bettina Emmerling zeigte ebenfalls Verständnis für den Unmut des Lehrpersonals, sah die Schuld jedoch bei ÖVP-Bildungsminister Martin Polaschek. Dieser habe Reformen blockiert und verschleppt, während Wiederkehr „alles im Rahmen seiner Möglichkeiten“ getan habe, verwies sie auf Maßnahmen wie Gratis-Jobticket, digitalen Endgeräten für Lehrer und School Nurses.

Weil im Bereich der Sonderpädagogik die Arbeitssituation und Belastung bereits zu hoch sei, hat der überfraktionelle Dienststellenausschuss der Fachspezifischen Sonderpädagogik unter dem Vorsitz der ÖLI-UG für nächsten Montag (21. Oktober) außerdem für 13 Uhr eine Dienststellenversammlung für die rund 1.500 Bediensteten einberufen, die an Schulen etwa für körper-, sinnes-, schwer- oder mehrfach behinderte Kinder arbeiten. An den betreffenden Schulen wird nur ein Journaldienst stattfinden bzw. der Unterricht entfallen.