Um die Messehalle im niederösterreichischen Tulln haben die Unwetter der vergangenen Tage keine Spuren hinterlassen. Am Dienstag scheint die Sonne, die nassen Straßen trocknen allmählich. Von außen deutet nichts auf die Hochwasserkatastrophe hin, die Niederösterreich seit dem Wochenende im Griff hat und bis Dienstag fünf Todesopfer gefordert hat.
Die Menschen, die aktuell in der Halle untergebracht sind, haben diese hautnah miterlebt. Das Rote Kreuz hat eine Notunterkunft für jene eingerichtet, die in den vergangenen Tagen und Stunden aus den umliegenden Ortschaften evakuiert werden mussten und nicht bei Freunden und Familie untergekommen sind. Rund 200 sind es am Dienstagnachmittag, bis zu 1000 hätten Platz, erklärt Andreas Zenker vom Roten Kreuz Niederösterreich. „Der jüngste Gast, den wir haben, ist wenige Wochen alt, der älteste ist eine nette Dame mit 92.“ Auch mehrere Hunde und Katzen sind mitgekommen. „Es ist ein ziemliches Miteinander. Die Kinder, die Hunde, die Katzen – jeder verhält sich wunderbar.“
„Gibt keine Worte für sowas“
Heftig getroffen hat es ein Paar aus Asparn, wenige Kilometer von Tulln entfernt. Sie seien gerade mit dem Wohnmobil in Spanien unterwegs gewesen, als sie Nachricht über die drohenden Unwetter erreicht hat, erzählt die Frau. „Wir sind zweieinhalb Tage durchgefahren“, sagt sie, nun parkt man mit dem Wohnmobil auf dem Messegelände. Der Keller ihres Hauses sei bis „zehn Zentimeter unter dem Türstock“ überschwemmt, berichtet der Mann und zeigt auf seinem Handy Fotos von den schlammig braunen Wassermassen. Auch der erste Halbstock des Hauses sei geflutet worden. Die Schäden dürften groß sein, das Paar hatte „alles Elektrische“ im Keller stehen, von der Tiefkühltruhe bis zur Waschmaschine. Auch eine Sauna gibt es. Wann die beiden in ihr Haus zurückkehren können, ist unklar. „Es ist surreal, es gibt keine Worte für sowas“, sagt die Frau. „Manchmal schwitzen die Augen.“
In der Halle sind Feldbetten und Sitzgelegenheiten aufgebaut, eine Küche versorgt die Menschen mit warmem Essen, der Geruch von Gulasch liegt in der Luft. Gerade sei eine große Lieferung Wasser eingetroffen, sagt Zenker, und zeigt auf tausende Flaschen, die sich im vorderen Bereich der Halle auf Paletten stapeln. Auch Hygieneartikel stehen zur Verfügung, ein Arzt sorgt dafür, dass Menschen nötige Medikamente bekommen – denn teilweise konnten die Hochwasserbetroffenen auch ihre Dauermedikation nicht mitnehmen, als sie überstürzt ihre Häuser verlassen mussten.
„Wir stellen uns auf Bleiben ein“
Die Versorgung in der Halle sei „bestens“, erzählt ein Mann, der vor der Halle in der Sonne sitzt und raucht. Doch die Unsicherheit sei groß. Er kommt aus dem besonders stark von Überschwemmungen betroffenen Rust im Tullnerfeld. „Wir waren im Haus eingeschlossen“, sagt er, schließlich sei er mit einem Feuerwehrboot aus seinem Haus geholt und mit einem Feuerwehrauto und einem Bundesheer-LKW in die Bezirkshauptstadt gebracht worden. Mittlerweile könnte er theoretisch wieder zurückkehren, doch derzeit funktioniere die Stromversorgung in Rust noch nicht. „Es sind x Trafostationen unter Wasser“, weiß der Mann, bis die Elektrizität in seine Heimatgemeinde zurückkehrt, wird er in Tulln ausharren. Einige Orte in der Umgebung von Tulln werden von der Feuerwehr im Laufe des Tages wieder freigegeben, in anderen können dagegen weitere Evakuierungen nicht ausgeschlossen werden.
In der Halle seien Menschen untergekommen, die vorsorglich evakuiert wurden, aber auch solche, „die mit dem Hubstapler aus dem ersten Stock geborgen wurden und wissen, dass sie ihr Zuhause jetzt nicht mehr so haben, wie sie es vielleicht jahrzehntelang gewohnt waren. Das ist hart“, sagt Zenker. Die Notunterkunft werde jedenfalls so lange zur Verfügung stehen, wie sie gebraucht wird. „Heute Abend werden Duschcontainer geliefert. Wir stellen uns auf Bleiben ein.“