Mehr als drei Wochen nach einem mutmaßlich vereitelten Terror-Anschlag auf ein Konzert von Taylor Swift in Wien sieht Werner Tomanek, der Verteidiger des Hauptverdächtigen, den 19-Jährigen entlastet. „Die Arbeitshypothese der DSN ist vom Tisch“, behauptete Tomanek Freitagmittag im Gespräch mit der APA. Er stützte sich dabei auf ein von ihm in Auftrag gegebenes Gutachten eines renommierten Sachverständigen für Waffen, Munition und Sprengmittel.
„Die Expertise kommt zum Schluss, dass es auf Basis des sichergestellten Materials nicht möglich war, bei den Konzerten vom 8. bis 10. August ein Sprengstoffattentat durchzuführen“, zitierte Tomanek aus einem vorläufigen Gutachten-Entwurf, dessen Endversion der Verteidiger am kommenden Mittwoch in einer Pressekonferenz präsentieren will. Das Gutachten widerlege, was die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) und das Innenministerium behauptet hätten. Sein Mandant habe „nicht über die Kapazitäten für einen Sprengstoffanschlag verfügt“. Gegenüber der APA kündigte Tomanek an, er werde nun zeitnah einen Enthaftungsantrag einbringen, um den 19-Jährigen auf freien Fuß zu bekommen.
Anwalt: Terrorpläne hätten sich nicht in „Ausführungsnähe“ befunden
Der junge Mann aus Ternitz (Bezirk Neunkirchen) soll der radikalislamistischen Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) angehört und einen Selbstmordanschlag auf die Taylor Swift-Konzertreihe im Ernst-Happel-Stadion im Sinn gehabt haben. Nach einem Hinweis des US-Geheimdiensts CIA wurden er und ein mutmaßlicher Komplize festgenommen. Der 19-Jährige und der 17-Jährige sitzen wegen terroristischer Vereinigung und krimineller Organisation in U-Haft. Zuletzt hatte DSN-Direktor Omar Haijawi-Pirchner weitere belastende Indizien gegen den 19-Jährigen bekannt gegeben. Der mutmaßliche IS-Anhänger soll im Internet auch nach einer Möglichkeit gesucht haben, an Waffen - darunter eine AK-47 - zu kommen.
Sein Rechtsvertreter bestreitet allerdings, die dem 19-Jährigen unterstellten Terrorpläne hätten sich „in Ausführungsnähe“ befunden. Der Verteidiger zog daher den bekannten Gutachter Ingo Wieser, der im Gerichtsauftrag die Sprengung der 1977 im Indischen Ozean versenkten „Lucona“ geklärt und seither für die Justiz zahlreiche Gutachten abgeliefert hat, und zusätzlich einen Experten für die labormäßige Untersuchung von Explosivstoffen bei und ließ die beiden ein Gutachten erstellen. Tomanek wollte klären lassen, ob die im Zuge einer Hausdurchsuchung beim 19-Jährigen sichergestellten Materialien geeignet waren, einen Sprengkörper anzufertigen und welche Wirkung ein solcher entfaltet hätte.
Chemikalien zur Herstellung von Sprengstoff „ungeeignet“
Anhand des Sicherstellungsprotokolls, des polizeilichen Einsatzberichts und von Aktenteilen kam Wieser zum Schluss, dass die vorgefundene pyrotechnische Zündausrüstung prinzipiell ausreichend war, um einen Sprengkörper auf Basis von Triacetontriperoxid (TATP) zur Umsetzung zu bringen. Die sichergestellten Chemikalien waren wiederum zur Herstellung von TATP grundsätzlich geeignet. Ohne „anreichernde Zwischenschritte“ wären mit der sehr verdünnten schwefeligen Säure, zwölfprozentigem Wasserstoffperoxid und acetonhaltigem Nagellackentferner aber „keine hohen Ausbeuten erwartbar“ gewesen, heißt es in dem vorläufigen Gutachten-Entwurf, der der APA vorliegt.
Spannend lesen sich Wiesers Ausführungen zu einer von den Ermittlern im Kühlschrank gefundenen, als „flüssiges TATP“ bezeichneten Flasche. Im Einsatzbericht wird die Menge mit 45 Gramm angegeben, die aus Sicherheitsgründen in weiterer Folge an Ort und Stelle - im Garten des elterlichen Wohnhauses des 19-Jährigen - „notvernichtet“ wurde. Wieser weist darauf hin, dass TATP ein „weißer Feststoff“ sei und die vorgefundene flüssige Substanz daher entweder eine Lösung von TATP oder ein Reaktionsgemisch zu dessen Herstellung war. In der Flasche hätte sich somit eine TATP-haltige Lösung befunden, wobei die Menge an TATP in der Substanz nach Wiesers Dafürhalten maximal vier Gramm und nicht 45 Gramm ausmachte.
Vernichtung des Beweismittels soll nicht nötig gewesen sein
Die Vernichtung des Beweismittels wäre aus Wiesers Sicht übrigens nicht erforderlich gewesen. Es habe „sicher kein Anlass zu einer Notvernichtung“ bestanden, „da es für den Transport von Explosivstoffmengen in der Größenordnung von unter zehn Gramm sichere Transportgefäße gibt“, hält der Sachverständige fest. Bis zu vier Gramm TATP wären „eigentlich in einem Sicherheitsbehälter gefahrlos transportierbar gewesen“.
Gestützt auf ein von US-Behörden herausgegebenes Datenblatt heißt es im Gutachten-Entwurf, für eine Rohrbombe würden 2,5 Kilogramm TATP benötigt, für einen Selbstmordattentäter zehn Kilogramm. Im gegenständlichen Fall hätte die vernichtete TATP-haltige Lösung nach Einschätzung des Privatgutachters allenfalls für die Herstellung von ein bis zwei Sprengkapseln gereicht, wobei deren Präparierung „sicher noch mehrere Tage in Anspruch genommen hätte“.
Anwalt: „Beschuldigter verfügte nicht über Kapazitäten für Sprengstoffanschlag“
Auf Basis der zur Verfügung stehenden Unterlagen könne „abschließend festgestellt werden, dass der Beschuldigte nicht über die Kapazitäten für einen Sprengstoffanschlag verfügte. Ob er mit anderen Wirkmitteln ein allfälliges Attentat hätte durchführen können, war nicht Gegenstand dieses Gutachtens“, heißt es in der Expertise zusammenfassend. Mit den bei der Hausdurchsuchung sichergestellten Ausgangsmaterialien „hätten unter Zukauf von zwei weiteren Fläschchen Nagellackentferner bei fachkundiger Bearbeitung maximal 200 Gramm TATP produziert werden können“.