Abgase wabern über den Asphalt, ein Auto rast am Dom vorbei. Auf der dritten Spur hält ein Bus, in der Kärntner Straße staut es sich schon wieder. Ein Polizist fuchtelt mit den Händen in seiner Kabine am Stephansplatz herum und versucht den Fahrern zu verstehen zu geben, wo sie hinsollen. Verkehrschaos im ersten Wiener Bezirk.

Dort wo heute Passanten shoppen, Touristinnen für Selfies posieren und Geschäftsleute Kaffee trinken, erobern in den 50er- und 60er-Jahren die fortschrittlichen Spritschlucker den Platz. Für Fußgängerinnen und Fußgänger wird die Gegend immer unwirtlicher. 120.000 Autos fahren Tag für Tag durch die Kärntner Straße über den Graben bis hin zur Augustinerstraße. „Das war in der Größenordnung Südosttangente“, weiß Hermann Knoflacher. Der heute 84-Jährige arbeitet damals als Verkehrsplaner. Aufgewachsen nahe Villach war seine Kindheit so gut wie autofrei. Als die Stadt Wien 1969 auf ihn zukommt und ihn fragt, wie man den ersten Bezirk autofreier machen könnte, ist er sofort dabei.

Fußgängerzone anstatt Autos? Aufstand der Kaufleute

Doch mit so starkem Gegenwind hatte er nicht gerechnet. „Wo sollen die Autos denn sonst fahren?“, kommt von den Lenkern. „Und wer soll noch bei uns einkaufen?“, haben die Kaufleute schon den Ruin vor Augen. Knoflacher tüftelt trotzdem ein Jahr lang. Mit einem Modell der Firma Siemens namens Venus und in der Nacht im Rechenzentrum in München. Denn einen Rechner zum Modellieren gibt es in Österreich noch nicht.

Im Rathaus stellt er in Zusammenarbeit mit Architekt Viktor Ruen die Pläne vor. Die Diskussionen sind „heftig“, sogar Uniprofessoren wettern dagegen. Zweifel hat der junge Verkehrsplaner aber keine. „Ich hab gewusst, dass ich nichts falsch mache. Ich habe gesehen, wie ein Bereich ohne Autos blüht.“ Seine Argumente für die Kaufleute: Gibt es mehr Raum für Fußgänger, sind mehr Umsätze möglich. „Denn Fußgänger brauchen nur ein 20stel des Platzes eines geparkten Autos. Und im Auto ist ja überhaupt keine Brieftasche.“ Knoflacher sollte später zur Demonstration das „Gehzeug“ erfinden: Ein Rahmen in der Autogröße, den er sich umhängte, um den Platzverbrauch zu zeigen.

Hermann Knoflacher mit seinem Gehzeug
Hermann Knoflacher mit seinem Gehzeug © TU Wien

Der Widerstand gegen die Fußgängerzone Kärntner Straße bleibt aber bis zum Schluss groß. Die Austria Presse Agentur schreibt von einem Protest: „Der beabsichtigte Protest einer Boutique, deren Junior-Chef seinem Missfallen und seiner Kritik am Trinkwasserbrunnen und an den Kandelabern durch eine Kranzniederlegung Ausdruck geben wollte, wurde durch die polizeiliche Beschlagnahmung des ‚Demonstrationsgeräts‘ erstickt.“

Schließlich nutzt die Stadt Wien einen Trick: Man richtet 1971 einen Weihnachtskorso auf dem Graben ein, in einer „Schule des Gehens“ mit Installationen wird den Städtern das Zu-Fuß-Gehen neu vertraut gemacht. Am 6. August 1974 eröffnet man dann die erste Fußgängerzone Wiens. Heute ist sie eine der umsatzstärksten Gegenden.

So sieht die Kärntner Straße heute aus
So sieht die Kärntner Straße heute aus © Starpix/Tuma

Die Stadtentwicklung steckt fest: „Totale Stagnation“, so Knoflacher

Knoflacher zählte lange zu den umstrittensten Verkehrsplanern Österreichs. Ginge es nach ihm, würden Autos, wenn überhaupt, am Rand der Städte stehen und der öffentliche und Radverkehr würde ausgebaut. „Noch besser wäre natürlich, wenn jeder Mensch gleich von Zuhause aus in die Bahn oder aufs Rad steigen würde.“ Er selbst besitzt seit 25 Jahren kein Auto mehr, pendelt mit den Öffis von seinem Wohnort Klosterneuburg nach Wien.

Der emeritierte Professor der Technischen Uni Wien sieht allerdings eine „totale Stagnation in den letzten 30 Jahren“, was autofreie Städte angeht. „Ich habe in meiner Naivität angenommen, dass sich die Geschichte dynamisch weiterentwickeln wird. Ich dachte dass Mitte der 80er Jahre der erste Bezirk autofrei sein wird.“ Das ist bis heute nicht der Fall.

Nach wie vor gebe es in ganz Österreich Angst und Widerstände, wenn es um Fußgängerzonen geht. „Kaufleute fürchten eine Veränderung, weil ihnen der Autoverkehr heute viel Kaufkraft nach außen absaugt für die Shoppingcenter. Das ist berechtigt. Aber dagegen kann man sich nur wehren, wenn man die Stadt attraktiv macht. So wie wir das in Graz, Klagenfurt, Villach gemacht haben. Ich würd sagen, die Wirtschaft muss man eigentlich zu ihrem Glück zwingen.“ Knoflacher ist auch gegen die Reichsgaragenverordnung, die immer noch in Kraft ist und bei Neu- und Umbauten Stellplätze vorschreibt. „Das ist das Gegenteil von dem, was wir begonnen haben damals mit den Fußgängerzonen, nämlich die Städte den Menschen zurückzugeben.“