In der Bundeshauptstadt ist das Schuljahr zu Ende. Es war herausfordernd, sagen Lehrkräfte und Direktoren. Familiennachzug, fehlende Deutschkenntnisse, Konflikte und psychische Probleme haben die Schulen schwer beschäftigt. Und die Containerklassen für die große Schülerinnen- und Schülerzahl sind der Ausblick für den Herbst. Doch zuvor schauen fünf Lehrkräfte auf das Schuljahr zurück. Drei von ihnen wollen anonym bleiben, zu angespannt sei die Situation, zu sehr fürchten sie sich vor Konsequenzen in ihrem Berufsleben.

Volksschullehrerin (41): „Es hakt an so vielen Ecken“

Ich bin seit 20 Jahren Lehrerin, 18 davon klassenführend. Im letzten Schuljahr gab es keine Kontinuität, ich habe permanent andere Schülerzahlen gehabt. Für die Dynamik ist das herausfordernd, jede Woche war anders und die Planung unfassbar schwierig. Schließlich waren in der Klasse 26 Schüler, zehn davon können gar kein Deutsch. Die Schere klafft gewaltig auseinander. Das Jahr war eine Herausforderung. Es ist fast unmöglich, sich um einzelne Schüler zu kümmern. Die Frustration im Kollegium ist irrsinnig hoch. Wir sagen immer, wir überleben gemeinsam das Schuljahr. Wir haben große Schwierigkeiten mit Familien, die sich nicht integrieren möchten. Gott sei Dank gibt es jetzt einmal einen Stopp bei der Familienzusammenführung. Von jungen Lehrerinnen und Lehrern weiß ich, dass sie sich unvorbereitet und überfordert fühlen, sie satteln meist um. Wir haben eine riesige Abgängerquote bei den Jungen. Es hakt an so vielen Ecken. Es gibt so viele Lehrer, die nicht mehr können. Unser Bildungssystem kippt ins Bodenlose. Es braucht vor allem kleinere Klassenzahlen. Viel Hoffnung habe ich nicht. Man schenkt uns wenig bis gar kein Gehör, eine Ansprechperson bei der Bildungsdirektion für uns ist utopisch. Ich mache noch weiter, weil ich jeden Tag etwas Gutes an die nächste Generation weitergeben kann. Ich bin unfassbar stolz, wenn ich Bilder von Absolventinnen und Absolventen aus bildungsfernen Familien sehe.

Direktor Michel Fleck: „Manche Schulen haben eine verlorene Gesellschaftsschicht“

Ich bin seit zehn Jahren Direktor. Was ich beobachte: Die Unsicherheit und die Belastung der Kinder werden immer größer. Globale Krisen und Krieg hinterlassen Spuren, die Zukunftsvisionen werden immer düsterer und die digitalen Medien bringen Cybermobbing, Pornografie, Gewaltvideos und TikTok-Challenges ins Leben der Kinder. Die Eltern sind immer hilfloser und machtloser. Immer öfter haben sie überhaupt keinen Überblick darüber, was ihre Kinder tun. So ist auch die Belastung an den Schulen groß. Dazu kommt, dass die Segregation immer ärger wird. Die ärmsten Kinder, die nirgends genommen werden, sammeln sich in den Mittelschulen in den Städten. Die Schulen haben dann eine verlorene Gesellschaftsschicht. Und die Familiennachzügler landen auch noch dort. Es kracht an allen Enden und Ecken in diesen Schulen. Man hat viel verabsäumt, allein bei dem Platz kommt man nicht nach und auch beim Unterstützungspersonal gibt es große Baustellen. Die Kinder haben mehr psychische Probleme, Schüler ritzen sich, es bräuchte massive Hilfe. Wir selbst haben an der Schule alle zwei Wochen halbtags eine Psychologin – für mehr als 1000 Schülerinnen und Schüler. Auch KI erfordert, dass sich die Schule radikal ändern muss. Es gibt immer nur Mini-Änderungen, wir hinken hinterher. Ich bin für Gesamtschulen mit mehr Durchmischung und Integration. Die Zeit drängt: Die Probleme, die man jetzt nicht abfängt, manifestieren sich später umso mehr.

Michel Fleck
Michel Fleck © Trotz

Volksschullehrerin Susanne Wiesinger: „Der Zerfall dieses Schulsystems geht sehr rapide“

Ich arbeite an einer Volksschule im Bezirk Favoriten, also an einer Brennpunktschule. Wenn ich an das Schuljahr zurückdenke, dann fällt mir auf, dass der Zerfall dieses Schulsystems sehr rapide vonstattengeht. Schneller, als ich gedacht habe. Das spüren alle, aber Brennpunktschulen noch dramatischer. Es sind mehrere Herausforderungen: Der Lehrermangel – ständig gibt es Kündigungen – und der Familiennachzug zum Beispiel. Es gibt keinerlei Durchmischung mehr in den Schulen, alles wird zusammengestopft, wir haben hauptsächlich arabischsprechende, muslimische Kinder. Ich frage mich, wenn ich an das Schuljahr zurückdenke: Hat das überhaupt noch etwas mit dem Lehrberuf zu tun? Es ist mehr Erziehen und nur noch vereinzelt Fördern. Wir erleben täglich ethnische Konflikte, die zu lösen, ohne auf Deutsch zurückgreifen zu können, ist unmöglich. Übersetzer sind rar. Es sind zu viele Baustellen. Am dringendsten wäre, den Überhang an Kindern, die nicht Deutsch sprechen, an Brennpunktschulen nicht entstehen zu lassen. Es braucht einen Plan zum Durchmischen und Verteilen. Die Verteilung klappt nicht einmal in Wien. Die politischen Streitereien, dieses Hickhack, machen mich wirklich wütend. Es ist völlige Planlosigkeit. Die Kinder können am wenigsten dafür. Die Masse macht es aus. Wir versuchen, das Beste draus zu machen, wir tun, was wir können. Es braucht Sozialarbeiter, Übersetzer und mehr Lehrerinnen und Lehrer. Ich habe keine Hoffnung mehr, etwas zu verändern. Ich kann es nur bei einzelnen Kindern. Ich arbeite für den Moment.

Susanne Wiesinger
Susanne Wiesinger © APA

Volksschullehrer (53): „Das Niveau rattert in den Keller“

Ich arbeite in einem Wiener Brennpunktbezirk. Seit 30 Jahren bin ich Lehrer. Am Anfang des letzten Schuljahres habe ich mir gedacht, es kann nicht schlimmer werden, aber da bin ich falsch gelegen. Es sind noch mehr Kinder in den Klassen und es gibt noch mehr Verwaltungsprobleme. Der Familiennachzug stellt uns vor große Herausforderungen, wir haben letztens in der Schule einen Musikraum auflösen müssen, da kommt jetzt eine Klasse rein. Der Raum für die Freizeit fehlt. Wir Lehrerinnen und Lehrer sind ausgelaugt, das „normale“ Unterrichten wird einem nicht vergönnt. Es herrscht Personalmangel. Die Lehrerinnen und Lehrer sind am Zahnfleisch. Sie sind zwar voller Ideen, aber das System lässt nichts zu. Für die Kinder ist das extrem frustrierend. Man hat noch gemerkt, sie wollen lernen, sie waren wissbegierig, aber sie können nicht, sie bekommen von Zuhause keine Unterstützung und in der Schule fehlen die Ressourcen. Man merkt jetzt fast eine Apathie. Das Niveau rattert in den Keller. Wir ziehen eine Generation auf, die es sehr schwer haben wird. Viele Kinder kommen auch mit einem großen Rucksack in die Schule, Schulpsychologen sind Mangelware. Das Kommunizieren mit den Eltern fällt oft sehr schwer. Es fehlen Lehrer und Räume. Ich habe schon noch Hoffnung, es steht so viel am Spiel.

Mittelschullehrer (46): „Die Polizei ist oft bei uns“

Ich bin Klassenvorstand einer zweiten Klasse in einer Wiener Mittelschule. 25 Dienstjahre habe ich hinter mir. Wie die meisten Klassen haben auch wir sehr viel Ausländeranteil, es sind viele Syrer und Afghanen. Ich habe in meiner Klasse zwei Österreicher. Es sind viele Sprachen pro Klasse und viele Schüler, die schon einmal die Klasse wiederholen mussten. Wir haben große Gewaltprobleme, oft ist die Polizei da. Ich glaube, das ist kulturell bedingt, viele Kinder erleben in archaischen Familienstrukturen zu Hause Gewalt und die sozialen Medien spielen sicher auch rein. Die Gewalt nimmt zu, die Grenzen sind ganz andere. Klar gab es früher auch Prügeleien, aber da hat man zum Treten aufgehört, wenn einer am Boden gelegen ist. Was mir auffällt, ist, dass es immer mehr sehr religiöse – ins Extremistische gehende – junge Männer gibt. Ich versuche, Religion aus der Klasse zu verbannen. Oft sind die Elternhäuser nicht mehr zu Kooperation bereit. Wenn der Minister sagt, dass wir den Zuzug leicht stemmen, dreht sich mir der Magen um. Wir können das nicht stemmen. Wir brauchen sehr viele Ressourcen, wir sollten die jungen Menschen begleiten können. Von jenen Junglehrern oder Quereinsteigern, die kommen, halten es viele nicht aus. Viele, die bei uns waren, sind ins Gymnasium, in die Privatschule oder nach Niederösterreich gegangen. Ich arbeite immer noch sehr gerne. Trotz der Herausforderungen möchte ich nichts anderes machen. Aber es kommt null Unterstützung von oben. Wenn ich einen Wunsch frei hätte: Es bräuchte eine Art Krisenteam aus Schulpsychologen, Sozialarbeitern und Beratungslehrerinnen. Wir müssten auch mehr zusammenarbeiten, es braucht eine bessere Verzahnung von Kindergarten, Volksschule und Sekundarstufe.