Der Geruch steigt beißend in die Nase. Aldin Selimovic trägt blaue Handschuhe, er hat die Kotprobe aus dem Plastiksackerl genommen und zieht jetzt ein Haar heraus. „Wildschwein“, stellt der Wildbiologe fest. Das erkennt er daran, dass die Borsten der Säugetiere an der Spitze gespalten sind. Damit wäre die erste Mahlzeit des Wolfs geklärt.

Um die 2200 Proben hat Aldin Selimovic ins Forschungsinstitut für Wildtierkunde am Wiener Wilhelminenberg im Vorjahr zugeschickt bekommen, Jahr für Jahr werden es mehr. Kot - gekühlt oder in Alkohol eingelegt -, Haare in Tupper-Dosen, Wattestiel-Tupfer mit DNA in Plastikröhrchen, Sichtungsprotokolle und jede Menge Fotos und Videos. Es gibt Tage, da kommt Selimovic überhaupt nicht von seinem Bildschirm weg, weil seine geschulten Augen die teils arg verschwommenen Wildkameraaufnahmen studieren und nach dem graubraunen Fell Ausschau halten.

Aldin Selimovic ist dem Wolf auf der Spur. Und damit dem Tier, das derzeit wohl am meisten polarisiert in Österreich. Erst in dieser Woche ist in Salzburg ein weiterer Wolf erlegt worden, nachdem er zum Abschuss freigegeben worden war, weil er im Pinzgau mindestens 23 Schafe gerissen hat. Tierschützer kritisieren den Abschuss scharf. Gleichzeitig tauchen laufend Videos von Wölfen auf Straßen und neben Häusern auf. „Durchziehende junge Wölfe, denen Erfahrung fehlt“, beurteilt Selimovic trocken.

Ein Wolf, gesichtet in Niederösterreich
Ein Wolf, gesichtet in Niederösterreich © FIWI (Vetmed)/Agatha Salceanu

Fehlendes Wissen

In all der Aufregung sieht er es als oberster Wolfsbeauftragter nüchtern. „Das Zusammenleben mit dem Wolf kann grundsätzlich funktionieren, aber es muss klare Grenzen geben. Man kann nicht pauschal sagen, der Wolf hat keinen Platz bei uns, er war vor uns da und breitet sich auf natürliche Art und Weise aus. Aber Wölfe, die sich unpassend verhalten, sollte man auch entnehmen können.“

Nur: Für ein gutes Wolfsmanagement braucht es gutes Monitoring, sagt Selimovic. 96 Wölfe hat man letztes Jahr nachweisen können, es dürften aber viel mehr sein. Wo hält sich der Wolf in Österreich auf, was frisst er, ist er Teil eines Rudels oder ein junger Durchreisender, wie verhält er sich? „Da sind wir in den Kinderschuhen. Wir wissen viel zu wenig“, sagt Selimovic. Im April hat das „Österreichzentrum Bär Wolf Luchs“ das in einem Bericht festgehalten. Und den zuständigen Bundesländern dringend empfohlen, aktiv, regelmäßig und mit Plan nach Hinweisen auf Wölfe zu suchen. Das geschieht nämlich bisher nur kleinräumig und im Rahmen von Forschungsprojekten wie jenes am Truppenübungsplatz Allentsteig in Niederösterreich, wo ein Wolfsrudel besendert wurde.

Größtenteils gibt es in Österreich ein Zufallsmonitoring, Selimovic nennt es „opportunistisch“. Wird etwa ein Tier gerissen, kommt ein Begutachter zum Einsatz, der Proben dann an Selimovic schickt. Ist der Rissbegutachter sich unsicher, dann wird gleich das ganze Tier nach Wien geschickt. Ein Schaf oder ein Reh zum Beispiel.

Jäger fordern Klarheit

Selimovic öffnet den Hals von dem Wildtier, das auf seinem Tisch liegt. „Da war ein Fuchs dran, aber kein Wolf.“ Die Bissspuren fehlen bei dem Reh, es dürfte einen natürlichen Tod gestorben und dann von einem Fuchs gefunden worden sein. Auch jede Menge falsche Hinweise gelangen bei Selimovic ein. „Die Leute wollen einen Wolf gesehen haben, beschreiben die Begegnung und dann war es ein Hund oder ein Fuchs.“ Es herrsche „viel Unwissen, Angst und Panikmache“, sagt Selimovic, der persönlich „sehr viel mehr Respekt vor einem Wildschwein als vor einem Wolf“ hätte. Auch was die Scheuheit angeht, wird oft missinterpretiert: „Die Leute berichten von Wölfen, die sich bei Begegnungen nur langsam zurückziehen und dabei immer wieder zurückschauen. Aber das ist normal für den Wolf, er flüchtet nicht blitzartig, sondern behält bei seinem Rückzug gern die Störungsquelle im Auge.“

Das Forschungszentrum bemüht sich um Aufklärung. Mit den Jägern arbeitet man hier eng zusammen. Wenn es nach Selimovic geht, sollen die Jäger auch die Hauptrolle beim Monitoring spielen. Sie könnten aktiver auf die Suche gehen und etwa Kot einsammeln, den der Wolf praktischerweise ohnehin auf Wegen ablegt, weil er sich selten im Dickicht bewegt, um Energie zu sparen.

Ein umherstreifender Wolf in Niederösterreich
Ein umherstreifender Wolf in Niederösterreich © FIWI (Vetmed)

Die Jäger sehen sich dazu schon in der Lage. Bereits jetzt rufe man als Verband die einzelnen Jägerinnen und Jäger immer wieder dazu auf, Hinweise zu sammeln und zu melden, sagt Bundesjägermeister Max Mayr-Melnhof. Das funktioniere gut, wenn auch eben noch nicht flächendeckend. Die Jäger wollen zuerst aber vor allem Klarheit in der Wolfsfrage, am besten eine Zahl, wie viele Wölfe in Österreich sein dürfen. „So macht es Schweden.“ Mayr-Melnhof ist überzeugt: „Ein Zusammenleben mit dem Wolf kann nur mit massiven Einschränkungen funktionieren“, er befürchtet, dass sonst die Bauern ihre Tiere nicht mehr auf die Almen treiben werden. In Salzburg, wo er sein Revier hat und auch Flächen an Landwirte verpachtet hat, trauen sich die Bauern jetzt schon nicht mehr, ihre Schafe aufzutreiben. Laut Zahlen der Landwirtschaftskammer sind 2023 insgesamt 1128 Nutztiere durch den Wolf getötet, verletzt oder verscheucht worden, 2022 waren es 1780.

Emotionale Diskussion

Weil der Wolf aber EU-weit geschützt ist, behelfen sich die Länder mit Abschussverordnungen. Zuletzt hat man in Kärnten zusätzlich 1800 Almgebiete unter Schutz gestellt, in denen der Wolf noch leichter entnommen werden kann. Tierschutzorganisation wie der WWF und der Naturschutzbund verurteilen das, die Abschussverordnungen seien auch EU-rechtswidrig. Nachdem der Wolf in Österreich lange ausgestorben war, sei er nun als Bestandteil der Artenvielfalt und als Waldpolizei wichtig. Die Tierschützer fordern mehr Herdenschutz. Für Jäger Mayr-Melnhof wiederum ein Affront: Viel zu teuer und auf vielen Almen nicht umsetzbar. Deshalb fördert etwa auch das Land Kärnten keinen Herdenschutz. Das Klimaministerium wiederum rügt das Landwirtschaftsministerium, dass es keine bundesweit einheitlichen Förderungen gibt. Die Landwirtschaftskammer sieht die Almwirtschaft mittlerweile mehr gefährdet als den Wolf.

Die Frage nach dem Monitoring geht also in der Emotionalität schnell unter. Das hat Folgen, warnt Selimovic. Die Frage ist drängend. Der schlaue und anpassungsfähige Wolf wird sich in Österreich weiter ansiedeln, das sehe man in ganz Europa. Und auch für den Fall, dass der EU-Schutzstatus aufgehoben wird (viele Stimmen sind dafür, doch der Weg dorthin ist lang), bleibt die Frage, wie das Wolfsmanagement im Land aussehen soll. Umso wichtiger wäre eine weniger emotionale Diskussion – die aber vor allem auch datenbasiert ist. Dafür brauche es eben Monitoring. „Da müsste man jetzt dringend investieren.“