Gestern – drei Tage nach dem Hungertod ihres dreijährigen Sohnes – erhielten die Eltern die Gelegenheit, das Unfassbare zu erklären. Wie Hansjörg Mair, Sprecher der Innsbrucker Staatsanwaltschaft, bestätigte, wurden der Vater und die Mutter am Nachmittag einvernommen. Vom Ergebnis wird wohl auch abhängen, ob die beiden Ebbser (25 und 26 Jahre) enthaftet werden. Oder ob die Staatsanwaltschaft die Verhängung der Untersuchungshaft beantragt. Die Entscheidung soll spätestens heute fallen. Falls die Staatsanwaltschaft die U-Haft beantragt, hat das Gericht 48 Stunden Zeit, um darüber zu entscheiden. Weitere Informationen zu den Ermittlungen und dem Ergebnis der Einvernahme wurden am Donnerstag nicht verlautbart.

Verdacht auf Mord

Wie berichtet, ist der Dreijährige am Montagvormittag in seinem Bett gestorben. Wie die Obduktion ergab, war Mangelernährung die Ursache – das Kind ist in der Obhut der Eltern verhungert. In der Folge hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen Verdacht des Mordes eingeleitet – am Mittwoch wurden die Eltern festgenommen. Auffällig: Die drei Schwestern des Buben sind wohlgenährt.

„Kindlicher Überlebenstrieb“

Für Thomas Müller, Direktor der Innsbrucker Kinderklinik, ist der Fall „in unserer westlichen Industriewelt auch außergewöhnlich. Ich kenne keinen ähnlichen.“ Der erfahrene Arzt hat den Dreijährigen nie behandelt. Er weist aber darauf hin, dass „ein gesundes Kind nicht so einfach verhungert. Es wehrt sich, fordert Nahrung, will seine Grundbedürfnisse gestillt haben. Das gehört zum Überlebenstrieb.“

Fehlende Diagnose

Dass Menschen an Unterernährung sterben, passiert nicht von heute auf morgen. „Das sind Prozesse, die sich über Wochen oder gar Monate ziehen“, sagt Müller. Vorausgesetzt, der oder die Betroffene leide nicht unter Vorerkrankungen. „Dann kann es nämlich schneller gehen, das kann Mangelzustände fördern. Gewisse Leiden senken nämlich den Appetit und erhöhen den Kalorienverbrauch.“ Ob der Dreijährige an so einer Vorerkrankung litt, ist noch unklar. „Durchaus denkbar, dass diese einfach nicht diagnostiziert wurde“, meint der Klinikleiter.

„Bei der Geschichte aus dem Tiroler Unterland stellt sich für mich auch die Frage, wann der Kleine das letzte Mal bei einem Arzt war“, sagt Müller. „Das Eltern-Kind-Pass-Programm sieht ja regelmäßige Untersuchungen vor. Dort wäre aufgefallen, dass das Gewicht nicht nur stagniert, sondern abnimmt.“ Für den Innsbrucker Mediziner gibt es zwei mögliche Gründe, die dazu geführt haben können, dass der Bub starb: „Entweder die Eltern haben ihn tatsächlich über lange Zeit isoliert, weggesperrt und misshandelt. Oder aber es wurde bei ihm eine Vorerkrankung nicht erkannt oder negiert.“

Behörde kann nur reagieren

Petra Sansone ist Geschäftsführerin der Tiroler Kinder und Jugend GmbH und eine Expertin, wenn es darum geht, die Kleinsten in der Gesellschaft vor Misshandlungen zu beschützen. „Behörden können nur dann reagieren, wenn es eine Meldung gibt“, sagt Sansone. „Und der Fall damit bekannt wird.“ Sansone weiß von dem, was in Ebbs passierte, nur über Medienberichte Bescheid. Zu den konkreten Ereignissen möchte sie sich jedenfalls nicht äußern.

Bei Kleinkindern ist Zivilcourage gefragt

Ganz generell sei aber bekannt, „dass sich manche Eltern aufgrund sozialer und wirtschaftlicher Probleme nicht um die Bedürfnisse ihrer Kinder kümmern. Dass manche Eltern sehr früh Unterstützung brauchen, wissen wir auch.“ In Ländern wie Tirol würden gravierende Fälle von Misshandlung etwa in Schulen oder Kindergärten auffallen. Bei Kleinkindern, die noch nicht in den Kindergarten gehen, sei die Lage verzwickter. „Wenn die Einbindung in das System nicht vorhanden ist, braucht es vor allem Zivilcourage von Nachbarn, Verwandten und Bekannten. Sie können solche Fälle ansprechen.“ Und wenn nötig melden.