Im Fall um einen nunmehr 14-Jährigen, der von seiner Mutter im Waldviertel in eine Hundebox gesperrt und gequält worden sein soll, hat Opferanwalt Timo Ruisinger Amtshaftungsansprüche gegen das Land Niederösterreich außergerichtlich geltend gemacht. In einem Schreiben vom Montag werden 150.000 Euro Schmerzengeld und eine Haftung für sämtliche zukünftige Schäden des Buben gefordert. Das Land hat nun drei Monate Zeit, sich zu äußern.
Hausbesuche bei Mutter
In dem der APA vorliegenden Schreiben stützt der Opferanwalt seine Forderungen darauf, dass die betreffenden Mitarbeiter der Bezirkshauptmannschaft (BH) Waidhofen an der Thaya „völlig unzureichend, somit rechtswidrig und schuldhaft auf die dramatische und lebensgefährliche Situation“ des Buben reagiert hätten. „Durch die nicht adäquate Reaktion“ sei ein Schaden entstanden, der sich „einerseits auf seine körperliche Unversehrtheit, insbesondere jedoch auf seine psychische Gesundheit ausgewirkt“ habe.
Bezug nimmt Ruisinger vor allem auf die Rolle der Kinder- und Jugendhilfe in der Causa, die auch Ende Februar im Laufe eines Geschworenenprozesses am Landesgericht Krems beleuchtet worden war. Am 28. Oktober und am 18. November 2022 (vier Tage, bevor das Kind ins Koma fiel) gab es unangekündigte Hausbesuche bei Mutter und Sohn. Binnen 17 Tagen seien zuvor zwei Gefährdungsmeldungen von verschiedenen Institutionen bei der BH eingelangt, „die unterschiedliche Problemfelder aufzeigten“, wird betont. Darüber hinaus sei am 11. November 2022 aufgrund von gehäuften Fehltagen des damals Zwölfjährigen durch die Schule des Buben eine Anzeige wegen eines Verstoßes gegen das Schulpflichtgesetz eingebracht worden.
Bei den beiden Hausbesuchen wurden vom federführenden Mitarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe zwar Auffälligkeiten geortet, es wurde aber keine Veranlassung für eine sogenannte Gefahr-im-Verzug-Maßnahme gesehen. Besonders die diesbezügliche Entscheidung des Beamten vom 18. November wird vom Opferanwalt als „gravierende Fehleinschätzung“ gesehen. Sie habe zur Folge gehabt, dass der Bub „nur vier Tage später in einem lebensbedrohlichen Zustand in das Spital eingeliefert wurde und nur knapp dem Tod entkommen ist“. Gestützt ist die These auf Ausführungen eines Sachverständigen im Prozessverlauf, wonach es medizinisch auszuschließen sei, dass der Zwölfjährige am 18. November noch fit bzw. gesund gewesen sei. Bemängelt wird im Schreiben außerdem, dass der ebenfalls obsorgeberechtigte Kindsvater seitens der BH nicht über die eingelangten Gefährdungsmeldungen informiert worden sei.
Mutter wegen versuchten Mordes verurteilt
Medial war von Ruisinger zuletzt eine Amtshaftungsklage angekündigt worden. Die nun erfolgte und an das Land gerichtete schriftliche Aufforderung zur Anerkennung der Ansprüche ist eine im Amtshaftungsgesetz vorgesehene Vorstufe. Das Land Niederösterreich hat drei Monate Zeit um eine Erklärung abzugeben, ob die Ansprüche anerkannt werden oder nicht. Auf APA-Anfrage gab es am Montag diesbezüglich keine Äußerung. Verwiesen wurde im Büro von Landesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ) darauf, dass man bisher von den Ankündigungen des Opferanwalts nur aus den Medien erfahren habe.
Bereits im Vorjahr war der Fall Grund für das Zusammentreten einer Expertengruppe. Ein entsprechender Kommissionsbericht, der sieben allgemeine Empfehlungen umfasst, wurde Anfang März präsentiert. Mit dem konkreten Sachverhalt beschäftigte man sich nicht, Bestimmungen des Datenschutzes und berufsrechtliche Verschwiegenheiten standen dem entgegen.
Die Kinder- und Jugendhilfe hatte nach Bekanntwerden des Falls 2023 betont, dass eine sofortige Prüfung der internen Abläufe ergeben habe, dass „alle rechtlichen und fachlichen Vorgaben eingehalten wurden“. Aufgrund von im Gerichtsverfahren bekanntgewordenen Details wurde seitens des Landes eine nochmalige Prüfung des Falls veranlasst. Untersucht werden soll von der Fachaufsicht, „ob alle rechtlichen und fachlichen Standards“ eingehalten wurden. „Diese Prüfung befindet sich in Finalisierung“, hieß es am Montag aus dem Büro von Königsberger-Ludwig. „Ich werde in vollem Umfang zur Klärung beitragen, sollte es zu einer Klage kommen. Die restlose Untersuchung des Falls ist auch für mich im höchsten Interesse“, wurde die SPÖ-Landesrätin zitiert.
Der Anlassfall sorgte über die Landesgrenzen hinweg für Aufsehen. Die 33-jährige Mutter soll ihren Sohn geschlagen, gefesselt, geknebelt und ihn wiederholt über Stunden in eine Hundebox eingesperrt haben. Am 22. November 2022 hatte sich das Kind in akut lebensbedrohlichem Zustand befunden. Der Zwölfjährige überlebte wegen des Einschreitens einer Sozialarbeiterin, die der Familie aufgrund einer Beratung bekannt war. Als Komplizin der Kindsmutter soll eine damalige Freundin der Waldviertlerin fungiert haben.
Die 33-Jährige hatte in dem Geschworenenprozess wegen versuchten Mordes, Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen sowie wegen Freiheitsentziehung 20 Jahre Haft erhalten. Ihre ehemalige Freundin fasste wegen fortgesetzter Gewaltausübung als Beitrags- oder Bestimmungstäterin 14 Jahre aus. In beiden Fällen wurde zudem die Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum ausgesprochen. Beide Urteile sind nicht rechtskräftig, weil die Verteidiger Rechtsmittel eingebracht haben.
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