Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall der Klage der Schweizer „Klimaseniorinnen“ gegen die Klimapolitik ihres Landes schlägt europaweit Wellen. Der 2016 gegründete Verein hatte der Schweizer Regierung vorgeworfen, nicht genug gegen den Klimawandel zu tun. Auch auf Österreich könnte sich das Urteil, das in Straßburg gefällt wurde, in Zukunft auswirken. In Zukunft müsse der Verfassungsgerichtshof Klimaschutzorganisationen den Zugang zu Gericht in Klimafragen erleichtern, wie Walter Obwexer, Rechtswissenschafter und Experte für Europa- und Völkerrecht an der Universität Innsbruck im Gespräch mit der Kleinen Zeitung sagt.
„Dass Klimaschutzorganisationen auf nationaler Ebene ein Beschwerderecht eingeräumt wird, ist durchaus eine unerwartete Entwicklung“, so Obwexer. Völlig neu sei dies für Österreich allerdings dennoch nicht, „denn der Staat kennt das bereits auf Ebene des EU-Rechts.“ Weniger unerwartet kam für den Experten die Entscheidung, Klimaschutz zu einem Menschenrecht zu machen: „Schließlich handelt es sich dabei um eine lebende Konvention, die mit der Entwicklung mitgehen muss.“
Verschiedene Voraussetzungen
Damit in Österreich allerdings Klagen beim Verfassungsgerichtshof eingebracht werden dürfen, müssen laut Obwexer verschiedene Voraussetzungen erfüllt werden. „Vom Klimawandel betroffen sind wir als Menschheit alle, deswegen müssen Kläger ganz besonders, und stärker als andere, betroffen sein“, so der Experte. „So könnten zum Beispiel Bewohner einer Küstenstadt klagen, die zu versinken droht, wenn in Sachen Klimaschutz nichts getan wird.“ Zusätzlich müsse zudem das Erfordernis bestehen, jetzt sofort Hilfe zu bekommen, erklärt Obwexer.
Eine speziellere Ausgangslage gilt für Vereine, die sich dem Klimaschutz verschrieben haben. „Diese Vereine vertreten viele Personen, die nicht alle gleich stark betroffen sind. Wenn sie bereits länger bestehen und nicht nur für eine Klage gegründet worden sind, spielt es aber keine Rolle, ob manche Personen innerhalb des Vereins vielleicht nicht direkt von Auswirkungen betroffen sind.“ Wie und wo sich der Rechtsschutz zu Gunsten der Klimaorganisationen in Österreich ändere, müsse noch geprüft werden.
Klagen wegen nicht eingehaltenem Zeitplan
Durch die EU-Mitgliedschaft Österreichs sei man hierzulande im Allgemeinen mit einer anderen Ausgangslage konfrontiert als in der Schweiz. „Durch das EU-Klimaschutzgesetz gibt es bereits klar festgelegte Ziele, die Österreich in einem gewissen Zeitrahmen erreichen muss.“ Ähnliches gelte für Österreich als Mitglied der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte (EMRK), auch hier sind die Staaten verpflichtet, Ziele und einen dazugehörigen Zeitplan im Hinblick auf den Klimaschutz festzulegen. „Das Vermessen, wie und mit welchen Maßnahmen dies geschieht, ist aber sehr breit“, so Obwexer. „Österreich ist nicht verpflichtet, ein eigenes Klimaschutzgesetz zu beschließen, es kann auch nur ein Klimaplan sein, und so einen gibt es ja bereits.“
Die politische Auseinandersetzung rund um die Umsetzung des österreichischen Energie- und Klimaplans könne allerdings in Zukunft dazu führen, dass heimische Klimaschutzorganisationen ihr Klagerecht geltend machen. „Ich nehme an, dass es dazu kommen wird, dass Organisationen klagen, weil Österreich mit dem Erreichen seiner Ziele im Verzug ist.“ In weiterer Folge könnte dies Druck auf die Regierung ausüben, Lecks zu schließen.