Ein Drittel aller Anzeigen, die im Vorjahr bei den heimischen Strafverfolgungsbehörden angefallen sind, hat die Staatsanwaltschaft (StA) Wien bearbeitet. Von österreichweit 210.708 angefallenen Verfahren, die die Zuständigkeit eines Landesgerichts begründeten, entfielen 69.337 auf die StA Wien, wo sie von 123 Staatsanwältinnen und Staatsanwälten bearbeitet wurden. Ein spezielles Augenmerk galt dabei auch der Jugendkriminalität, wie Behördenleiterin Michaela Obenaus betonte.
Die Anklagebehörde sei aufgrund steigender Anzeigen und neuer Kriminalitätsformen - vor allem im Bereich des Cyber-Crime - mit Herausforderungen konfrontiert, stellten Obenaus und Mediensprecherin Nina Bussek am Donnerstag bei einem Medientermin vor Journalistinnen und Journalisten fest. „Im Bereich der Jugendkriminalität beobachten wir seit einiger Zeit, dass Raub, Erpressung, schwere Gewaltdelikte zunehmen. Die Gewaltbereitschaft ist in diesem Bereich gestiegen. Während wir früher vor allem minderschwere Raube hatten, sind es nun oft Raubüberfälle mit Waffen und in organisierter Form“, sagte die Behördenleiterin.
Auch unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen gebe es immer mehr Vergehen und Verbrechen im digitalen Raum. Die Staatsanwaltschaft Wien trägt diesem Trend mit 13 ausschließlich auf Jugendkriminalität spezialisierten Staatsanwältinnen und Staatsanwälten Rechnung, die auch Präventionsarbeit und Bewusstseinsbildung leisten. Monatlich nehmen die Anklagevertreterinnen und -vertreter an Workshops in Schulen teil und stehen für Fragen zu Cyber-Mobbing, körperlicher bzw. sexueller Gewalt und anderen Themen zur Verfügung.
Aufruf zu „seriöser, richtiger Berichterstattung“
Bezogen auf jüngste, schlagzeilenträchtige Fälle - den mutmaßlichen Missbrauch einer Zwölfjährigen durch eine Gruppe Jugendlicher in Favoriten sowie ein in einer Wohnung in Simmering tot aufgefundenes 14-jähriges Mädchen - ließ Obenaus mit einer Bemerkung aufhorchen. Der Staatsanwaltschaft sei teilweise eine „Diskrepanz“ zwischen der medialen Berichterstattung „und der Faktenlage“ aufgefallen. Das erschwere einerseits die Ermittlungsarbeit und verletze andererseits höchstpersönlichen Lebensbereich von Betroffenen und Verdächtigen. Obenaus rief daher zu einer „seriösen, richtigen Berichterstattung“ auf.
Im Bereich des Cyber-Crime wird die Staatsanwaltschaft Wien mit 1. Juni 2024 eine eigene Sondergruppe installieren, „um die immer komplexer werdenden Verfahren spezialisiert führen zu können“, wie die Leiterin der Wiener Anklagebehörde ausführte. Im diesem Bereich gehe es vor allem darum, neue Kriminalitätsphänomene frühzeitig zu erkennen, wofür zeitgemäße technische Hilfsmittel und Expertenwissen vonnöten seien. „All diese Verfahren haben einen Auslandsbezug. Die Tätergruppen sind gut organisiert“, erläuterte Behördensprecherin Bussek anhand zweier konkreter Beispiele.
Im so genannten Finlink-Verfahren deuten erste Spuren zu Tatverdächtigen in Holland. Diese hatten per SMS Opfern eine vermeintliche Schuld ans Finanzamt vorgemacht und eine angebliche Pfändung in den Raum gestellt. Mittels eines angehängten Links wurden die Betroffenen aufgefordert, die Schuld zu begleichen. Laut Bussek sind seit Februar vergangenen Jahres 1.500 Personen diesem Schwindel auf den Leim gegangen. Im so genannten Second-Hand-Verfahren gibt es wiederum 2.000 Opfer, der angerichtete Schaden macht 2,5 Millionen Euro aus. Die Betrüger, die im Baltikum und in der Ukraine vermutet werden, hatten auf Verkaufsplattformen wie Willhaben mit gefälschten Screenshots und Fake-Identitäten per Chat oder E-Mail die Bankdaten der Geschädigten erlangt und von deren Konten Geld abgezogen.
Das Internet werde aber nicht nur für Vermögensdelikte genutzt, gab Obenaus zu bedenken: „Man findet dort fast alle Kriminalitätsformen. Es gibt auch Mordaufträge im Darknet.“ Auch Suchtgift-Geschäfte würden verstärkt übers Darknet abgewickelt.
Steigender Antisemitismus
Im Bereich Staatsschutz und Terrorismusbekämpfung zeigte sich die Chefin der StA Wien über den steigenden Antisemitismus besorgt: „Wir halten es für sehr wichtig, diese Verfahren mit eigenen Spezialistinnen und Spezialisten zu führen, um eine professionelle Arbeit gewährleisten zu können.“ Die Zusammenarbeit mit der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) funktioniere „ausgezeichnet“.
Was Delikte gegen Leib und Leben anlangt, ist der Mangel an Gerichtsmedizinern im Sprengel der StA Wien ein Thema. Bei Gewaltdelikten gebe es mitunter „Probleme mit der Beweissicherung“, weshalb Obenaus die Einrichtung von Gewaltambulanzen begrüßte: „Das ist der richtige Schritt, um den Rechtsschutz auszuweiten und dem Opferschutz gerecht zu werden.“