Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sieht sich mit immer komplexeren Verfahren konfrontiert. So stoße man etwa im Bereich Cybercrime auf technische, praktische und rechtliche Herausforderungen, so der Leiter der Cybercrime-Kompetenzstelle, Matthias Purkart, bei einer Pressekonferenz am Mittwoch.
Mittlerweile rund ein Drittel der Großverfahren betreffen Cybercrime, so Purkart. Bei diesen Delikten ist die WKStA zuständig, wenn eine bestimmte Schadenshöhe erreicht wird oder kriminelle Organisationen dahinter stehen. Grob gesprochen gebe es hier drei Gruppen: Den Anlagebetrug etwa mit Pyramidenspielen, den Notlagebetrug etwa durch falsche Polizisten oder Fake-Behörden-SMS oder sogenannten CEO-Fraud, bei dem Betrüger in großen Unternehmen Datenkommunikation ausspähen und dann Mitarbeiter dazu bringen, etwa nach einem vermeintlichen Auftrag vom Chef Geld zu überweisen.
Gemeinsam ist all diesen Fällen, dass die Herausforderungen komplexer sind als bei „normalen“ Verfahren. Technisch laufe alles digital, Zahlungsströme über Kryptowährungen, Daten würden oft nicht in Österreich liegen, so Purkart. Rein praktisch stehe man hochprofessionellen Strukturen gegenüber, die unternehmensähnlich aufgebaut sind und vom kleinen Mitarbeiter im Callcenter, der vielleicht nur ahne, dass etwas illegal sein könnte, über ein mittleres Management bis zum Mastermind dahinter reiche.
Durch die rasante Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) erwartet die Behörde neue Chancen für die hoch professionellen Täter. Künftig werde es etwa kein Problem sein, täuschend echte Stimmenkopien oder sogar gefakte Videos von Freunden, Enkeln oder Kindern einzusetzen, um deren Angehörige zu täuschen und große Geldsummen herauszulocken. Dadurch werde es nicht mehr nur Leichtgläubige als Opfer erwischen.
Zahl der IT-Experten soll aufgestockt werden
Purkerts Appell: „Es gibt noch immer viel zu wenig Skepsis gegenüber den Gefahren von Cybercrime.“ Die Zeiten mit dem nigerianischen Prinzen und der Erbschaft seien vorbei. Der Gang zur Polizei dürfe nicht als Schande empfunden werden, denn dies könne den Unterschied ausmachen, „ob Sie Ihre Lebensersparnisse noch haben oder nicht“.
Rechtlich stoße man oft auf Grenzen, weil die Strafprozessordnung nach wie vor Offline-Delikte vor dem Auge habe, so Purkart. Das betreffe etwa die nationalen Zuständigkeiten, aber auch die internationale Komponente. Täter würden oft in osteuropäischen Staaten sitzen, wo die Rechtshilfe-Möglichkeiten eingeschränkt sind. Gleiches gelte für Geld auf ausländischen Konten.
Derzeit verfügt die WKStA über 45 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, die von zehn Wirtschaftsfachleuten unterstützt werden. Dazu kommt ein Team von 15 IT-Expertinnen und -Experten in der Justiz, die man sich mit anderen Staatsanwaltschaften teilt. Diese Zahl soll demnächst aufgestockt werden.
230 anhängige Verfahren, davon 70 Prozent reine Wirtschaftssachen
Derzeit sind bei der WKStA rund 230 Verfahren anhängig. 70 Prozent betreffen reine Wirtschaftsstrafsachen, 12 Prozent reine Korruptionsdelikte und der Rest eine Kombination aus beiden. Rund ein Drittel der Causen sind Großverfahren mit zwei- bis dreistelligem Millionenschaden bzw. Tausenden Geschädigten und entsprechend hohem Ermittlungs- bzw. Managementaufwand. 2023 wurden rund 770 Verfahren abgeschlossen bzw. sind rund 1.000 neue angefallen. Die „prominentesten“ WKStA-Causen sind derzeit etwa der Casag-Komplex rund um Ex-Finanzministeriums-Generalsekretär Thomas Schmid, die Causa Commerzialbank Mattersburg, das Straßenbau-Kartell oder das gerade in Klagenfurt abgehandelte Cybercrimeverfahren um den EXW-Anlagebetrug.
Behördenleiterin Ilse Vrabl-Sanda sieht die WKStA primär als „Sachverhaltsaufklärungsbehörde“. Wenn aufgrund einer Anzeige ein Anfangsverdacht vorliege, müsse sie ein Ermittlungsverfahren einleiten. Dann erst könne entschieden werden, ob angeklagt, eingestellt oder das Verfahren etwa durch Diversion beendet werde. Die WKStA werde aber grundsätzlich nicht aufgrund von Medienberichten tätig. „Berichterstattung allein reicht nicht für ein Verfahren.“ Dafür brauche es schon eine Verdichtung der Verdachtslage. „Wir scannen nicht alle Medien, um zu schauen, ob es eventuell einen Anfangsverdacht geben könnte.“
Eine positive Bilanz zog WKStA-Staatsanwältin Elisabeth Täubl über das vor zehn Jahren eingerichtete anonyme Whistleblower-System. Seit dessen Bestehen habe es rund 16.000 Meldungen gegeben, man habe dadurch rund 1.000 Verfahren eingeleitet bzw. in knapp 200 Fällen weitere Ermittlungsansätze zu schon anhängigen Verfahren verfolgen können. Insgesamt mündeten die Hinweise in knapp 150 Anklagen, die in 93 Verurteilungen, 35 Diversionen und 36 Freisprüchen mündeten.