Am Wiener Landesgericht ist am Dienstag die mutmaßlich „rechte Hand“ des im Dezember 2023 in Wien zu lebenslanger Haft verurteilten angeblichen Mafia-Paten Dario D. alias „Dexter“ abgeurteilt worden. Der 29-jährige Dejan S. wurde zu elf Jahren Haft verurteilt, weil er innerhalb von nur zwei Monaten - nämlich zwischen Ende März und Ende Mai 2021 - 43 Kilogramm Kokain und 39 Kilogramm Heroin nach Österreich geschafft und sieben Kilogramm Suchtgift in Verkehr gesetzt haben soll.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. „Was machen Sie da? Sie haben keine Beweise!“, rief der 29-Jährige während der Urteilsverkündung dazwischen. Verteidiger David Jodlbauer meldete Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an. Der Staatsanwalt legte daraufhin Berufung gegen die Strafhöhe ein.
Starke Sicherheitsvorkehrungen
Die Verhandlung fand unter am Landesgericht bisher nie da gewesenen Sicherheitsvorkehrungen statt. Der gesamte Trakt, der zum Verhandlungssaal führte, war gesperrt. Wer passieren und zur Verhandlung wollte, musste sich per Ausweis legitimieren, wobei die Daten von Beamtinnen und Beamten des Bundeskriminalamts schriftlich erfasst wurden. Durchgelassen wurde man nur, nachdem man sich neuerlich einer Durchsuchung auf verdächtige Gegenstände gestellt hatte - eine erste eingehende Überprüfung hatte es bereits im Eingangsbereich des Gerichts gegeben. Fotografen und Kameraleute wurden nicht durchgelassen - das Präsidium hatte ein absolutes Fotografier- und Filmverbot verhängt. Die anwesenden Medienvertreter und sonstigen Besucherinnen und Besucher hatten im Gerichtssaal unter der Androhung, ansonsten den Saal verlassen zu müssen, ihre Handys abzuschalten.
Der Angeklagte selbst wurde in Hand- und Fußfesseln von schwerbewaffneten, mit Schutzhelmen und -westen versehenen Beamtinnen und Beamten der Sondereinsatzgruppe der Justizwache in den Saal eskortiert. Fünf bis sechs durchaus furchteinflößende Sicherheitskräfte der Justizwache blieben durchgehend im Saal, zugleich waren Wega-Beamte, verkabelte Vertreter des Bundeskriminalamts und weitere Polizeikräfte präsent.
Dem Angeklagten wurden für die Dauer der Verhandlung zwar die Hand-, aber nicht die Fußfesseln abgenommen. Außerdem war der 29-Jährige angeleint: Er trug einen Gürtel um den Bauch, der mit einer großen Schlaufe versehen war, deren Ende ein Beamter, der hautnah neben dem Angeklagten saß, gewissenhaft in der Hand hielt. Die Journalistinnen und Journalisten wurden aufgefordert, die am Verfahren Beteiligten in ihren Berichten nicht namentlich zu erwähnen.
Dejan S. gilt als hochgefährlich
Der Angeklagte hatte bestritten, in „Dexters“ kriminelle Organisation überhaupt eingebunden gewesen zu sein. Er habe nicht - wie ihm von der Anklage vorgeworfen wird - von Thailand aus für den mutmaßlichen Banden-Boss Drogen nach Österreich geschafft, sondern in Phuket in einer Pizzeria gearbeitet, behauptete er. Ein zeugenschaftlich vernommener informierter Vertreter des Bundeskriminalamts widersprach dem diametral. Der Angeklagte habe unter dem Pseudonym „Funnynative“ in „Dexters“ krimineller Organisation eine „sehr hohe Position“ inne gehabt: „Ein absoluter Hochkaräter. Es gibt ganz wenige, die in diesem Stil Drogen nach Österreich importiert haben.“
Das nach Österreich gebrachte Kokain wies laut Anklage mit einem Reinheitsgehalt von 70 Prozent eine erstklassige Qualität auf. Der Staatsanwaltschaft zufolge wurde die Ware in Zehn-Kilo-Lieferungen nach Österreich geschafft und gewinnbringend an den Mann gebracht. Dejan S. gilt als hochgefährlich. Er befindet sich in der Justizanstalt (JA) Josefstadt in Isolationshaft und wird bei Spaziergängen im Innenhof des Gefängnisses strengstens bewacht. Vor wenigen Wochen wurde in seiner Zelle eine Razzia durchgeführt und dabei ein illegales Handy beschlagnahmt. Auf diesem fanden sich Textnachrichten bzw. Hinweise, die auf ein konkretes Bedrohungsszenario gegen einen am Verfahren Beteiligten hindeuten.
Die Anklage sei „überhaupt nicht richtig“, sagte Dejan S. in seiner Beschuldigteneinvernahme. Er beschwerte sich außerdem über die Haftbedingungen: „Seit ich eingeliefert wurde, werde ich wie ein Terrorist behandelt.“ Er müsse seine Hofspaziergänge mit zu lebenslanger Haft verurteilten Anhängern der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) bestreiten: „Warum werde ich mit den Leuten ins selbe Eck gedrängt?“
Europäische Strafbehörden ermittelten
Während „Dexter“ im Sommer 2021 im Zuge der Operation „Achilles“ festgenommen wurde, bei der Ermittler im Bereich der Organisierten Kriminalität (OK) mafiöse Strukturen dank der Auswertung von Chats in Kryptomessenger-Diensten zerschlagen hatten, hatte sich Dejan S. bereits 2017 nach Thailand abgesetzt. Zuvor soll er in Serbien an einer tödlichen Schießerei beteiligt gewesen sein - in einer Bar wurde im Zuge einer mutmaßlichen mafiösen Auseinandersetzung ein Mann per Kopfschuss getötet. Gegen Dejan S. alias „Funnynative“ wird deswegen von den serbischen Behörden wegen Beteiligung am Mord ermittelt.
Der mit internationalem Haftbefehl Gesuchte war im Dezember 2021 in Thailand festgenommen und von Zielfahndern des Bundeskriminalamts nach Österreich gebracht worden - mit erheblichen Schwierigkeiten. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, schilderte der Zeuge vom Bundeskriminalamt dem Schöffensenat. Es habe ein Privatflugzeug gechartert werden müssen, nachdem der Mann sich in einer Linienmaschine mit massiver Gewalt und Selbstverletzungen - er soll seinen Kopf gegen den Boden geschlagen haben - gegen das Außer-Landes-Bringen gewehrt hatte. Der Pilot der Linienmaschine hätte sich geweigert, mit dem renitenten Passagier den Flug von Thailand nach Europa anzutreten. Detail am Rande: im Privatjet wurde Dejan S. zwar an seinen Sitz gefesselt transportiert, seine Hände waren allerdings frei. Während des Langstreckenflugs las er die Biografie des kolumbianischen Drogenbarons Pablo Escobar.
Die Anklage stützte sich - wie bereits im Prozess gegen „Dexter“ - auf Text- und Audionachrichten, die die beiden in vermeintlich abhörsicheren Chats geteilt hatten. Die Gruppierung um „Dexter“ nutzte Krypto-Handys, bei denen nicht ein Mal eine Standort-Peilung möglich war. Man konnte mit den Geräten auch nicht telefonieren, dafür aber Bilder, Videos und Audio-Nachrichten verschicken. Über die Dienste Sky ECC - ein in Frankreich entwickeltes Apple-Gerät mit einer fix installierten App und einer gefinkelten Verschlüsselungstechnologie - bzw. Anom - vom FBI entwickelt und als „verdeckte Maßnahme“ gezielt unter Kriminellen verbreitet, um deren Machenschaften nachvollziehen zu können - hatte der mutmaßliche Banden-Boss seine Geschäfte dokumentiert.
Europäischen Strafverfolgungsbehörden war es allerdings gelungen, die Kommunikation der Kriminellen um „Dexter“ zu knacken und die Inhalte, die über Server in Kanada und Frankreich liefen, zu sichern. In weiterer Folge wurden die Chats mit Hilfe des FBI entschlüsselt. Bei den von „Dexter“ genutzten Geräten traten dokumentierte Drogen-Lieferungen, Anweisungen an seine Untergebenen und sogar eine Art Buchhaltung zutage. Letzten Endes wurde er auf Basis dieser Beweise vor knapp drei Monaten für über 300 Drogen-Deals, die nach Ansicht des Erstgerichts die Einfuhr und das Inverkehrsetzen von hunderten Kilogramm Heroin und Kokain belegten, zur Höchststrafe verurteilt. „Dexters“ Verurteilung zu lebenslanger Haft ist allerdings nicht rechtskräftig - ein dagegen eingebrachtes Rechtsmittel ist beim Obersten Gerichtshof (OGH) anhängig.
Für Verteidiger David Jodlbauer war die Heranziehung der Chats unzulässig. „Der Staat verpflichtet sich, sich an strenge Regeln zu halten. So funktioniert der Rechtsstaat“, meinte der Anwalt. Im vorliegenden Fall wisse man schlicht nicht, wie die Chats zustande kamen und wo diese aufgezeichnet wurden, und vor allem sei Österreich gar nicht im Besitz der vom FBI ausgelesenen Unterhaltungen: „In Österreich hat aber ein Angeklagter das Recht, diese Chats zu sehen.“ Werde seinem Mandanten dies verwehrt, „wird ihm das fundamentalste Recht genommen, sich zu verteidigen. Auf dieser Grundlage kann man kein Verfahren führen“.
Die ausgewerteten Chats belegen unter anderem, dass „Dexter“ ausgesprochen brutal und mit einer eigenen „Gerichtsbarkeit“ reagierte, wenn er sich von Mitgliedern seiner Gruppe hintergangen fühlte. Er galt bis zu seiner Inhaftierung als der in Wien lebende Statthalter des montenegrinischen Kavac-Clans, dem neben Drogen- und Waffenhandel auch zahlreiche Morde zugeschrieben werden. Die ausgelesenen Chats manifestierten Folterungen, darunter auch das Abschneiden von Körperteilen für angebliche „Verfehlungen“ von Banden-Mitgliedern.
„Dexter“ wurde nach einer kurzen Pause im Verfahren gegen seine mutmaßliche „rechte Hand“ als Zeuge vernommen - allerdings im Weg einer Videokonferenz mit der im selben Gebäudetrakt untergebrachten JA Josefstadt. Ausschlaggebend dafür waren wiederum Sicherheitsgründe. Der 35-Jährige behauptete, er kenne den Angeklagten nicht. Somit war nach wenigen Minuten die Befragung des mutmaßlichen Mafia-Bosses auch schon wieder beendet, der sich in einem Vintage-Trainingsanzug vor die Kamera gesetzt hatte.