Mit Schuldsprüchen für die beiden angeklagten Frauen hat am späten Donnerstagabend in Krems der Prozess um einen nunmehr 13-Jährigen geendet, der von seiner Mutter im Waldviertel in eine Hundebox gesperrt und gepeinigt worden sein soll. Die 33-jährige Hauptangeklagte muss 20 Jahre in Haft, ihre Komplizin (40) für 14 Jahre. In beiden Fällen wurde zudem die Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum ausgesprochen. Die Entscheidungen sind nicht rechtskräftig.
Verurteilt wurde die Mutter wegen versuchten Mordes, Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen sowie wegen Freiheitsentziehung. Die Hauptfrage nach versuchtem Mord wurde von sieben der acht Geschworenen nach rund siebenstündiger Beratung bejaht, die beiden weiteren Punkte einstimmig. Die ehemalige Freundin der Waldviertlerin, die Aufträge zu den Misshandlungen des Buben gegeben haben soll, wurde wegen fortgesetzter Gewaltausübung als Beitrags- oder Bestimmungstäterin belangt. Hier fiel das Votum der Laienrichter ebenfalls einstimmig aus.
Die Höhe der Strafen sei erforderlich, um deutlich vor Augen zu führen, dass die Beschuldigten „mit ihren Handlungen ein Leben fast zerstört hätten“, führte die vorsitzende Richterin aus. Auf psychischer Ebene sei der Bub, den es vorher gegeben habe, „auf jeden Fall zur Gänze zerstört“ worden. Die beiden Frauen müssen dem Kind zudem gemeinsam insgesamt 80.000 Euro bezahlen.
„Schwere emotionale Störung“
Im von Peter Hofmann erstellten psychiatrischen Gutachten wird der 33 Jahre alten Mutter eine „schwerwiegende und nachhaltige psychische Störung“ attestiert. Das Stadium der Unzurechnungsfähigkeit sei aber nicht erreicht, die Frau habe auch „nicht unter einem Wahninhalt“ gehandelt. Die Steuerungsfähigkeit sei im Tatzeitraum zwar erheblich eingeschränkt, jedoch nicht aufgehoben gewesen.
Vorliegend war laut Hofmann bei der Mutter zudem eine „schwere emotionale Störung“, die 33-Jährige habe „kein Empfinden mehr für die Absurdität dieser Situation“ gehabt. Der Sachverständige sprach von einer „monströsen kriminellen Handlung über langen Zeitraum“. Es bestehe eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass die 33-Jährige in absehbarer Zeit erneut schwere Körperverletzungsdelikte begehen werde.
Ähnlich verhält es sich in Sachen Gefährlichkeit mit der 40-jährigen möglichen Komplizin. Die Beschuldigte sei aber stets zurechnungsfähig gewesen, konstatierte Hofmann. Falls sich die Zweitangeklagte tatsächlich wie in der Anklage vorgeworfen verhalten hat, deute das eindeutig auf „innerlich große Abgründe“ und „mangelnde Empathie“ hin. Für beide Frauen beantragte die Staatsanwaltschaft Krems zusätzlich zum Strafausspruch eine Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum gemäß Paragraf 21 Absatz 2 Strafgesetzbuch.
Mutter entschuldigte sich unter Tränen
Die Aussagen der beiden Angeklagten hatten einander im Prozessverlauf in vielen Teilen widersprochen. Am Donnerstag zeigte sich die Mutter zerknirscht und gab an, dass ihr „schrecklich leid tut, was passiert ist“. Sie wisse nicht, „wie es so weit kommen hat können“ und bereute die Kontaktaufnahme mit der Zweitangeklagten.
Die 40-Jährige räumte dezidiert ein, einmal dabei gewesen zu sein, als der Bub in die Hundebox gesperrt worden war. Zudem unterstrich sie jedoch, dass ihr das gesamte Ausmaß der Handlungen nicht bewusst gewesen sei. „Den Fehler kann ich leider nicht mehr rückgängig machen, ich hätte da selber eingreifen müssen.“ Sie entschuldigte sich unter Tränen beim 13-Jährigen und bei dessen Vater. Die Staatsanwältin ortete bei der 40-Jährigen indes widersprüchliche Aussagen. „Warum sollten wir Ihnen ein Wort glauben?“, stellte die Vertreterin der Anklagebehörde in den Raum.
Anwältin sprach von „Jahrhundertfall“
„Die beiden Frauen“ hätten den Buben „zerstört - zumindest seelisch“, betonte die Staatsanwältin dann in ihrem Schlussvortrag. „Es hat einige Wochen und Monate gedauert, bis auch wir als Ermittlungsbehörden das volle Ausmaß dieser Tat erkannt haben.“ Die Kindsmutter habe auch den Tod des damals Zwölfjährigen in Kauf genommen. Opferanwalt Timo Ruisinger vermisste bei beiden Angeklagten echte Reue. Das nun 13-jährige Opfer wisse vom heutigen Prozesstag und wünsche sich Gerechtigkeit.
„Es ist einer der schwierigsten Fälle, die man sich vorstellen kann. Es ist eigentlich ein Jahrhundertfall“, führte Astrid Wagner, die Verteidigerin der Mutter, in ihrem Plädoyer aus. Ihre Mandantin habe in „verzerrter Wahrnehmung“ nicht erkannt, dass das Kind in Lebensgefahr war. Versuchter Mord liege daher nicht vor. Der Anwalt der Zweitangeklagten, Sascha Flatz, sagte: „Ich bin überzeugt davon, dass meine Mandantin nicht wusste, dass das in der Form stattfindet.“ Die 40-Jährige habe dem Kind mit ihrem Einschreiten vielmehr sogar das Leben gerettet.
Vorgeworfen wird der 33-jährigen Mutter und Alleinerzieherin, dass sie ihren Sohn zumindest von Juli bis November 2022 u.a. geschlagen, gefesselt, geknebelt und ihn wiederholt über Stunden in eine Hundebox eingesperrt haben soll. Zudem soll sie das Kind hungern haben lassen.
Komplizin gab Anweisungen zu Misshandlungen
Festgenommen wurde die Frau am 24. November 2022. Anfang März 2023 klickten dann für die 40-jährige mögliche Komplizin die Handschellen. Sie und die Kindesmutter waren über Jahre hinweg sozusagen ziemlich beste Freundinnen. Die Waldviertlerin soll der Erstangeklagten darüber hinaus wiederholt detailreiche Anweisungen zur Misshandlung des Kindes gegeben haben. Auch der Vorschlag, den Buben in die Hundebox zu sperren, soll von der 40-Jährigen gekommen sein. Von der Frau wurde das allerdings bestritten.
Zugespitzt hat sich die Sachlage von 20. bis 22. November 2022, auf diesen Zeitraum bezieht sich auch der Vorwurf des versuchten Mordes. Die Mutter dürfte den damals Zwölfjährigen bei geöffneten Fenstern mit kaltem Wasser übergossen haben. Die Körpertemperatur des abgemagerten Burschen senkte sich auf 26,8 Grad ab, der Zustand war lebensbedrohlich.
Sozialarbeiterin alarmierte die Behörden
Die beiden Frauen telefonierten mehrmals, abends nahm die Zweitangeklagte schließlich Kontakt mit einer an sich nicht in den Fall involvierten Sozialarbeiterin auf und fuhr mit ihr gemeinsam zum Wohnort der Hauptbeschuldigten. An Ort und Stelle alarmierte die Mutter schließlich die Rettung, allerdings erst nach mehrfacher und eindringlicher Aufforderung der Sozialarbeiterin. Das Kind wurde in ein Krankenhaus gebracht und auf der Intensivstation behandelt.
Körperlich geht es dem Buben nun wieder gut, er lebt bei seinem Vater. Eine Gutachterin sah beim 13-Jährigen aber die „Wahrscheinlichkeit stark erhöht, dass er zukünftig in seiner Persönlichkeit verformt bleiben wird“. Vorliegend sei eine posttraumatische Belastungsstörung.
Kinder- und Jungendhilfe im Fokus
Beleuchtet wurde im Prozessverlauf auch die Rolle der Kinder- und Jugendhilfe. Nach zwei Gefährdungsmeldungen gab es am 28. Oktober und am 18. November 2022 unangekündigte Hausbesuche bei Mutter und Sohn. Geortet wurden zwar Auffälligkeiten, es wurde aber keine Veranlassung für eine sogenannte Gefahr-im-Verzug-Maßnahme gesehen. Die Kinder- und Jugendhilfe betonte im Vorjahr, dass eine sofortige Prüfung der internen Abläufe nach Bekanntwerden des Falls ergeben habe, dass „alle Vorgaben eingehalten wurden“. Eine sechsköpfige, unabhängige Expertengruppe wurde eingesetzt.
Am Donnerstag bestätigte das Büro von Niederösterreichs Landesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ) auf Anfrage, dass aufgrund neuer aus dem Gerichtsverfahren bekannt gewordener Details, die sich in der bisherigen Aktenlage nicht abgebildet hätten, eine neuerliche Prüfung des Falls veranlasst worden sei. Auch wurde mitgeteilt, dass der Bericht der Kommission Kinderschutz nun vorläge und über die Ergebnisse in der nächsten Sitzung der Landesregierung am kommenden Dienstag berichtet werde. Im Anschluss solle die Öffentlichkeit entsprechend informiert werden.