Sieben getötete Frauen in zwei Monaten. Die mutmaßlichen Täter sind Männer. Die erste Frau - eine pflegebedürftige 72-Jährige - ist im Zillertal offenbar von ihrem Mann (78) erstickt worden, er beging danach Suizid. Letzten Freitag kamen dann gleich vier Frauen und ein Mädchen binnen 24 Stunden um: In einer Wiener Wohnung fand die Polizei eine 51-Jährige und ihre 13 Jahre alte Tochter tot vor. Der verdächtige, 53-jährige Vater wird gesucht. Am Abend desselben Tages fielen drei Frauen in einem Bordell in Wien einer Messerattacke eines 27-Jährigen zum Opfer, er wurde in der Nähe festgenommen. Und am Montag dürfte ein 93-Jähriger in Eschenau in Niederösterreich seine 84-jährige Partnerin erschossen haben, nach einem Suizidversuch wurde er festgenommen.
Die Fälle sind nicht zu vergleichen, die Gründe womöglich immer ganz andere. Gewaltforscherin Birgitt Haller geht von einer zufälligen Häufung in kurzer Zeit aus. Auch ein Nachahmungs-Effekt dürfte keine Rolle spielen, meint die Expertin von Institut für Konfliktforschung an der Uni Innsbruck.
Doch es bleiben sieben - offenbar von Männern - getötete Frauen. Im ganzen letzten Jahr waren es laut dem Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) 26 Frauen, die getötet wurden, weil sie Frauen waren. Österreich sei das einzige Land in der Europäischen Union, in dem mehr Frauen als Männer von Männern getötet würden, sagt Maja Markanović-Riedl von AÖF. Gewalt betreffe in Österreich jede dritte Frau.
Warum ist das so? Woher kommt die Gewalt? Und kann man denn nicht endlich etwas dagegen tun?
Die Gründe
Hinter getöteten Frauen stecken fast immer patriarchale Strukturen. Die meisten Tötungsdelikte finden im Beziehungskontext statt. „Es geht häufig um Dominanzansprüche, das Gekränkt sein, vorgestrige Beziehungsvorstellungen des Mannes und Rollenbilder. Generell sind es aber sehr disparate Gründe, aus denen Männer Frauen töten“, sagt Gerichtspsychiaterin Heidi Kastner. Die gefährlichste Situation für Frauen sei die Trennung. „Es ist Wahnsinn, dass man in Österreich im Jahr 2024 glaubt, dass man eine Trennung mit einer Tötung bestrafen muss“, sagt Kastner. Oft stecke Besitzdenken dahinter, sagt Andrea Brem von den Wiener Frauenhäusern. „Die Männer denken: Wenn ich dich nicht haben kann, dann darf dich niemand haben“, führt die Expertin aus.
Die Emanzipation kann Gewalt „befeuern“, sagt die Kärntner Gerichtspsychiaterin Sigrun Roßmanith. Dass Frauen immer selbstständiger und unabhängiger sind, würden manche Männer „als Bedrohung sehen“. Besonders dann, wenn die Männer ein veraltetes Bild von Frauen und Beziehungen haben. Es könne sein, dass sie sich dann als Männer „in Frage gestellt und als Loser fühlen“. Und mit Gewalt reagieren.
Die Soziologien Laura Wiesböck sieht im Feminismus eine zentrale Rolle: „Feminismus setzt sich dafür ein, dass sich der Wert von Männern in unserer Gesellschaft nicht primär durch Leistung, Überragung, Kontrolle und Besitz definiert.“ Männer sollten „demnach Fürsorge, Verletzlichkeit und gleichberechtigte Partnerschaften ausleben können, ohne dafür als ‚unmännlich‘ abgewertet zu werden“, sagt Wiesböck. Doch: „Das ist aktuell nicht der Fall. Und solange sich das nicht ändert, wird sich auch am Gewaltaufkommen nichts ändern.“
Das Milieu
Die Gewalt zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten. Es sei nicht nur eine bestimmte Gruppe an Tätern und die Morde könne man auch auf kein Milieu zurückführen, sagt Psychiaterin Heidi Kastner. Wobei Menschen mit Migrationshintergrund in Relation zu der Zahl an Menschen mit Migrationshintergrund, die hier leben, überrepräsentiert sind. „Das kann auch mit importierten, tradierten Rollenbildern zu tun haben, die archaischer sind.“ Gewaltforscherin Birgitt Haller fügt hinzu: Betrachtet man die Tötungsdelikte, seien Milieus, die der Ober- oder Mittelschicht angehören, weniger auffällig.
Die Aufmerksamkeit
Wo bleibt der Aufschrei? Warum gehen in Österreich nicht Menschenmengen auf die Straßen so wie in Italien letzten Dezember? Im Nachbarland ist die Politik nach dem Mord einer Studentin geeint aufgetreten und hat zur Demo aufgerufen. In Österreich trudelten die politischen Reaktionen nur langsam ein. Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) zeigte sich erst am Sonntag in einem Statement auf Facebook „tief erschüttert“ über die jüngsten Fälle. Würde die Politik in Österreich lauter reagieren und würden mehrere Stellen zum großen Protest rufen, würde es wahrscheinlich auch dazu kommen, sagt Haller.
Die Maßnahmen
Die „eine Lösung gibt es nicht“, sagt Andrea Brem von den Wiener Frauenhäusern. Es braucht einen gesellschaftlichen Wandel; Politik, Zivilbevölkerung, einzelne Stellen - alle müssten zusammenarbeiten.
Grundsätzlich bewerten die Expertinnen die Gesetze und die Rahmenbedingungen in Österreich als nicht ganz so schlecht. Von Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) heißt es, dass sich die sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen in den Bundesländern seit 2020 mehr als verzehnfacht und die Zahl der Gewaltpräventionsbeamten in der Polizei verdoppelt haben. Der Ausbau von Schutz- und Übergangswohnungen schreite weiter voran, ebenso die österreichweite Einrichtung von Gewaltambulanzen.
Die Hilfsangebote müssten aber noch niederschwelliger und offensichtlicher sein, betont Gewaltforscherin Birgitt Haller. Denn Frauen suchen sich in den wenigsten Fällen vorher Hilfe. Kriminologin Katharina Beclin sieht an einzelnen Stellen Verbesserungsbedarf: „Es braucht mehr finanzielle Unterstützung bei einer einstweiligen Verfügung.“ Oft würden sich Frauen dagegen entscheiden, weil dann etwa der Mann nicht mehr die gemeinsame Wohnung mitzahlt. Alle Expertinnen plädieren für mehr Burschenarbeit. Männer müsste man von vornherein davon abhalten, Täter zu werden.
Brem fordert, dass „ein multiprofessionelles Team“ nach jedem Tötungsdelikt an einer Frau den Einzelfall analysiert, um Lösungen zu erarbeiten. Zur aktuellen Tragödie, bei der ein junger afghanischer Asylwerber im Verdacht steht, drei Frauen im Bordell getötet zu haben, meint Brem etwa: „Wir müssen uns um junge Männer kümmern, die traumatische Fluchterfahrungen gemacht haben und aus patriarchalen Strukturen kommen.“ Sie dürften nicht abgekapselt werden, das sei derzeit oft der Fall.