Man könnte sie als Sterbebegleiterin der heimischen Gletscher bezeichnen, und auch sie selbst kann dieser Beschreibung etwas abgewinnen, „weil es tatsächlich eine Phase des Abschiednehmens ist“. Allerdings sieht die Innsbrucker Glaziologin Andrea Fischer in dieser Sterbephase der Gletscher, die in den Ostalpen voraussichtlich bis 2050 verschwunden sein werden, auch die „Möglichkeit der Wiedergeburt“, wie die „Wissenschafterin des Jahres 2023“ gegenüber der APA erklärte.
Denn gelinge es, den mittleren globalen Temperaturanstieg auf 1,5 bis zwei Grad Celsius zu begrenzen, sei es durchaus denkbar, „dass sich zu Ende dieses Jahrhunderts die Temperaturen wieder senken könnten und eine Neubildung der Gletscher möglich wird“. Den Klimawandel verharmlosen will die 50-jährige stellvertretende Leiterin des Instituts für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Innsbruck damit nicht - im Gegenteil: Angesichts der Dimension der sich fortlaufend verstärkenden Erderwärmung, die sie vor wenigen Jahren noch nicht für möglich gehalten habe, warnt sie vor derzeit noch unbekannten Effekten im gesamten Klimasystem, die „uns besonders vorsichtig werden lassen sollten“.
Geboren am 3. September 1973 in St. Johann in Tirol studierte Fischer an der Universität Graz Physik und Umweltsystemwissenschaften und schloss beide Studien mit dem Magister ab. Für ihr Doktoratsstudium wechselte sie zu Helmut Rott, damals Professor für Meteorologie und Geophysik an der Universität Innsbruck, weil die begeisterte Bergsteigerin „das Thema Umwelt mit wirklich guter Physik verknüpfen und im Gelände forschen wollte“.
Staatsmeisterin im Eisklettern
Ihre Liebe zu Bergen und Eis („ich neige zu einem gewissen Enthusiasmus, wenn mir etwas Spaß macht“) schlug sich auch in sportlichen Erfolgen nieder: 2002 wurde Fischer Staatsmeisterin im Eisklettern. Ihrer wissenschaftlichen Arbeit tat der Bergsport keinen Abbruch: 2003 wurde sie mit einer Dissertation über die mittels Satelliten-Fernerkundung analysierte Eisdynamik des isländischen Gletschers Vatnajökull promoviert.
Nach der Promotion blieb die Forscherin noch einige Jahre an der Uni Innsbruck, ehe sie 2010 an das Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Innsbruck wechselte, wo sie heute die Forschungsgruppe „Mensch-Umwelt-Beziehung, Hochgebirge“ leitet. 2011 habilitierte sie sich an der Uni Innsbruck, wo sie seither als Privatdozentin unterrichtet.
Von 2009 bis 2016 war Fischer für die Erstellung der alljährlich vom Österreichische Alpenverein herausgegebenen Gletscherberichte verantwortlich. Forschungsreisen führten sie aber auch nach Asien, Afrika und Südamerika. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen neben der Glaziologie in den Bereichen Gebirgsforschung, Permafrost, Hydrologie und Klimatologie, wobei die Ergebnisse ihrer Arbeit nicht nur in der Fachwelt, sondern auch in internationalen Medien breit rezipiert werden.
Von der Physik her seien Gletscher so einfach wie Newtons berühmter fallender Apfel, meint die Glaziologin. Spannend wird es für sie durch das Wetter als chaotisches, dynamisches System und die sehr variablen Materialeigenschaften als treibende Kräfte. Dazu komme „die Verbindung beängstigend weniger Messpunkte durch eine wunderbare Theorie“, wodurch sich „systemtheoretisch sehr spannende Fragen ergeben“.
Nächstes Abenteuer
Vom Eisklettern hat Fischer „viel fürs Leben gelernt“: Man müsse einen Eisfall wochenlang beobachten, um dann zu entscheiden, dass nun der richtige Zeitpunkt zum Klettern sei, mit der richtigen Temperatur, der richtigen Eiskonsistenz und dem richtigen eigenen Zustand. „Wenn man einen dieser Faktoren falsch einschätzt, endet das rasch fatal.“
Diese Sportart habe sie aber schon seit längerem ad acta gelegt, jetzt gehe sie gerne langlaufen und widme sich ihrer Familie. Und Fischer ist sich sicher, „dass in den nächsten Jahren wieder etwas völlig Neues daherkommt, mich zieht es immer in neue Abenteuer. Ich weiß noch nicht, wo das nächste liegt, aber ich bin sicher, es wartet schon auf mich.“ Bis dahin findet sie es wunderbar zu beobachten, wie sich ihre achtjährige Tochter die Welt erschließt und erobert. „Ich glaube fest daran, dass es die jungen Menschen sind, die die Welt retten können. Es liegt an uns, ihnen das nötige Handwerkszeug mitzugeben.“
Fischer, 2013 von der Tageszeitung „Die Presse“ als „Österreicherin des Jahres“ in der Kategorie „Forschung“ ausgezeichnet, ist ordentliches Mitglied der ÖAW (seit 2022) und vertritt Österreich als nationale Korrespondentin des World Glacier Monitoring Service. 2020 erschien unter dem Titel „Alpengletscher“ ihre gemeinsam mit dem Fotografen Bernd Ritschel verfasste „Hommage an die hochalpine Welt aus Eis und Firn - ehe sie verschwindet“ in Buchform (Tyrolia).