Selbst hinter Gittern streckt Martha Krumpeck Zeige- und Mittelfinger in die Höhe. Das „Peace“-Zeichen ist so etwas wie ihr Markenzeichen. Weil sie sich auf der Straße mit Superkleber festgeklebt und damit den Verkehr blockiert hat, sitzt die 32-Jährige derzeit die sechste Woche im Polizeianhaltezentrum Roßauer Lände in Wien fest. Am Montag nach Heiligabend soll sie frei kommen. Und dann?
Martha Krumpeck hat die „Letzte Generation“ mit aufgebaut. Sie ist so etwas wie die Galionsfigur der umstrittenen Organisation, die sich für Klimaschutz einsetzt. Vor Kurzem wurde aber bekannt, dass die gebürtige Burgenländerin und ihr Team sich aus leitenden Positionen zurückziehen. „Klima-Kleber-Mastermind gibt jetzt auf“ titelte eine Boulevard-Zeitung. Doch davon kann keine Rede sein, wie seitens der „Letzten Generation“ und Krumpeck selbst betont wird. Sie habe schon eine Zeit lang an der Spitze gestanden, nun wolle sie übergeben. Dem leitenden Team stehe sie dennoch mit „gutem Rat“ zur Seite.
Neue Protestformen?
Sie habe aktuell ganz bestimmte Ziele, sagt Krumpeck. Das eine in nächster Nähe: wieder festkleben. Laut Gesetz muss Krumpeck nach sechs Wochen Ersatzhaft sechs Monate auf freiem Fuß bleiben, bevor sie erneut eine Ersatzhaft wegen etwaiger offener Verwaltungsstrafen antreten könnte. „Die sechs Monate kann ich nutzen“, sagt Krumpeck. Dass sie damit wieder riskiert, eingesperrt zu werden, sei ihr egal. „Sechs Wochen Haft, dann sechs Monate Freiheit, das ist die maximale Sanktion, die sie mir geben können. Und es macht mir reichlich wenig.“ In diesem Sinne wolle sie ein Vorbild sein. Es brauche mehr Menschen, die die Haft – das „Sechs-Sechs-Prinzip“ – in Kauf nehmen, die „Letzte Generation“ ist ständig auf der Suche nach neuen Mitgliedern.
„Wir müssen mehr Menschen zum friedlichen Protest bringen“, sagt Martha Krumpeck. Sie ist nicht das erste Mal in Haft, trat für den Klimaschutz auch schon 44 Tage in Hungerstreik. Derzeit bilde die „Letzte Generation“ eine „kleine, entschlossene Minderheit“ ab, die schon geschafft habe, dass Tempo 100 und der Klimarat diskutiert werden. Schon jetzt ist die „Letzte Generation“ gut organisiert, Aktivisten in Pension treffen auf Studierende, die sich gemeinsam festkleben. „Aber da ist noch viel Luft nach oben.“ Krumpeck möchte einen neuen Fokus setzen und sich verschiedenen Bürgerprotestbewegungen zuwenden, mehr Menschen mobilisieren, die sich für die Umsetzung rascher Klimaschutzmaßnahmen einzusetzen und andere Protestformen etablieren. Sie spricht von „wirtschaftlichen Druckkampagnen“, in deren Rahmen Menschen etwa Produkte boykottieren, oder von „ganzen Dörfern, die sich gegen ein lokales Ärgernis wehren“. Krumpeck will Aufmerksamkeit erregen und „das ganze Arsenal des friedlichen Widerstands nutzen“. In der Haft habe sie dazu Bücher gewälzt. So soll der Protest fürs Klima wirksamer werden.
Im Fokus der Exekutive
Schon jetzt beschäftigen sich Polizei und Staatsanwaltschaft intensiv mit der „Letzten Generation“. Insgesamt hat es heuer bei Klebe-Protesten etwa 650 Festnahmen gegeben, die Polizei hat 80 Strafanzeigen und 3015 Verwaltungsanzeigen erstattet, heißt es aus dem Innenministerium. Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt wie berichtet gegen mehrere Aktivisten auf Basis des „Mafia-Paragrafen“ wegen des Verdachts auf eine kriminelle Vereinigung. Mit der Begründung, dass bei Protestaktionen Autobahnen und Verkehrsknotenpunkte als Teile der kritischen Infrastruktur schwer beschädigt worden seien. Denn die Aktivistinnen und Aktivisten hätten sich mit einer Sand-Kleber-Mischung festgeklebt. Die Polizei hätte sie mit schwerem Gerät herausschneiden müssen – mitsamt Teilen des Bodens. Die „Letzte Generation“ widerspricht: Die Sand-Kleber-Mischung ließe sich mit Nagellackentferner oder Speiseöl lösen, die Ermittlungen seien eine „Kriminalisierung friedlicher Proteste“. Auch Experten wie Jurist Christoph Bezemek von der Uni Graz halten die Ermittlungen für aussichtslos. Der Paragraf sei nicht für eine Organisation wie die „Letzte Generation“ geeignet. Wenn auch verfassungsrechtlich härtere Strafen wahrscheinlich „gangbar“ wären, vermutet Bezemek. Seit Monaten stehen solche im Raum. „Man könnte strafrechtlich tiefer in den einfachen Tatbestand der Sachbeschädigung reingehen oder in den Widerstand gegen die Staatsgewalt“, so Bezemek. Auch wenn er persönlich nicht findet, dass es im Fall der Klimaaktivisten ein Sonderstrafrecht brauche.
Jedenfalls könne man nicht beliebig ins Grundrecht eingreifen, „die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut“. Ebenso wie das Recht auf Freiheit generell, man könne die Klimaaktivisten natürlich nicht einfach ewig festhalten oder einsperren.
Die Polizei spricht von drei taktischen Grundprinzipien. Erstens, das „konsequente Einschreiten durch Festnahmen und Strafanzeigen, wenn der Verkehr gestört wird, auch unter Verwendung von schwerem technischen Gerät“. Zweitens werde auch Pfefferspray eingesetzt, wenn Menschen gefährdet werden, wie das bei der Gas-Demo im März in Wien der Fall gewesen sei. Und drittens: „Schließlich auch Kleben und Kleben lassen, wenn niemand behindert oder gestört wird“, so Innenminister Gerhard Karner. Ein Entwurf zu einer Novelle des Versammlungsgesetzes liege seit mehreren Monaten beim Koalitionspartner.
„Sonst werden die nächsten Jahre die Hölle“
Martha Krumpeck scheint sich von alledem nicht beeindrucken zu lassen. Die Zeit im Polizeianhaltezentrum vertreibe sie sich nicht nur mit Büchern, sie schreibt auch Briefe und grübelt darüber, wie es weitergehen könnte. Von Kanzler Nehammer (ÖVP) fordern sie und ihre Kolleginnen und Kollegen der „Letzten Generation“, die Klimaratsempfehlungen umsetzen. „Sonst werden die nächsten Jahre die Hölle. Ich bin jederzeit bereit, wieder brave Bürgerin zu werden, wenn die Wissenschaft ernst genommen wird und man warnende Stimmen nicht wegsperrt“, betont die 31-Jährige.