Vor ein paar Monaten bekommt Elena Schirenc auf Facebook eine Nachricht: Eine junge Frau fragt sie, wie es ihr geht, und erzählt, dass sie es endlich geschafft hat. Sie verletzt sich nicht mehr selbst, sie hat Kontakt zu ihrer Familie, beginnt jetzt eine Lehre. Elena Schirenc hat die junge Frau vor Jahren in der Grazer Mädchen WG kennengelernt, ist ihr als Psychotherapeutin zur Seite gestanden. Es sind Nachrichten wie diese, die sie weiter an ihrem Job festhalten lassen, die ihr immer wieder Hoffnung geben.
Elena Schirenc hat vor zehn Jahren als Sozialarbeiterin angefangen, wurde dann zur Psychotherapeutin bei SOS-Kinderdorf. In der Mädchen-WG finden Jugendliche, die eine schwere Vergangenheit hinter sich haben – meist Krisen in Familien –, ein vorübergehendes Zuhause. Sie bekommt die Sorgen der Jungen hautnah mit, weiß, wie es ihnen geht. Mit der Welt im Krisenmodus wachsen die Herausforderungen, erzählt sie. Wobei es neben Krieg und Klimawandel eher auch Dinge wie Schule, Liebe und Beziehungen sind, die die Jugendlichen beschäftigen. „Sie wollen im Hier und Jetzt leben und sich auch ablenken.“
Nicht genug Plätze
Doch die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen findet in Österreich zu wenig Beachtung, findet Schirenc. „Ja, im Akutfall werden die Kinder in Krisenunterbringungen oder Pflegefamilien aufgenommen, aber es gibt lange Wartelisten. Auch für Therapieplätze“, sagt sie. Die Ressourcen seien nur begrenzt. Gerade erst war von einer „prekären Situation“ und „dringend“ benötigten Plätzen in Einrichtungen und bei Krisenpflegeeltern in einem Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Murtal an die Soziallandesrätin die Rede, das der Kleinen Zeitung zugespielt wurde. Vor wenigen Wochen zeigte die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (ÖGKJP) einen „alarmierenden“ Anstieg von Suizid bei Kindern und Jugendlichen auf. Demnach sind suizidale Gedanken und Handlungen bei unter 18-Jährigen seit 2018 um das Dreifache gestiegen. Die Versorgung der Patienten gilt als kritisch. Österreichweit sind von etwa 800 Betten, die auf der Kinder- und Jugendpsychiatrie laut Österreichischem Strukturplan Gesundheit verfügbar sein sollten, nur 432 vorhanden.
„Wie können wir uns das leisten? Die Kinder sind unsere Zukunft, da dürfen wir nicht sparen. Wir sind dazu verpflichtet, aufmerksam zu sein“, warnt Schirenc. Die Problematik müsse man sich jetzt anschauen. Es brauche mehr Unterstützungsmöglichkeiten, mehr Bewusstsein für die Angebote, die es gibt, und leichteren Zugang, etwa in den Regionen und für Familien, die finanziell schlechter aufgestellt sind.
Therapiehund Dino
Aus ihrer Erfahrung weiß Schirenc, dass die durch Krisen gebeutelten Kinder und Jugendlichen viel Zeit und Unterstützung brauchen. „Es geht darum, die Sorgen ernst zu nehmen und die Jungen zu schützen, damit sie in einem sicheren Rahmen aufwachsen können.“ In der Mädchen-WG begegnen ihr „oft sehr, sehr traurige Geschichten“, Schirenc spricht von Depressionen, Selbstverletzung, Traurigkeit, Angstzustände, Schuld- und Schamgefühle und Essstörungen. Die betroffenen Jugendlichen kommen zu Schirenc, wenn sie reden wollen. Therapiehund Dino hilft dabei oft, das Eis zu brechen. „Allein dadurch, dass er da ist, fühlen sich viele wohler. Die Mädchen bringen ihm Tricks bei, was ihr Selbstwertgefühl steigert.“ Der Hund stammt aus der Slowakei, wurde von seinen Besitzern geschlagen. „Es kommt vor, dass sich Mädchen leichter tun, ihre Geschichte zu erzählen, wenn sie Dinos Geschichte kennen. Nach der Devise: Das ist ihm passiert und das ist mir passiert.“ Dino kennt die WG und seine Bewohnerinnen mittlerweile so gut, er klopft zum Beispiel mit seiner Schnauze an eine Tür, wenn dahinter ein Mädchen weint.
Gerade erst ist ein Mädchen aus der WG ausgezogen, sie hat sich gefreut auf den neuen Lebensabschnitt, erzählt Schirenc. „Uns bleibt die Hoffnung, dass sich die Mädchen hier aus der Zeit etwas mitnehmen können.“ Viele der betroffenen Jugendlichen würden sich dann tatsächlich nach Monaten oder Jahren wieder beim Team der Mädchen-WG melden und aus ihrem Leben erzählen. „Da sieht man, wie wichtig es ist, dass jemand da war und sie aufgefangen hat.“