Brisante Erkenntnisse haben die Ermittlungen gegen den 16-jährigen mutmaßlichen Anhänger der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) zutage gefördert, der am 11. September am Wiener Hauptbahnhof mit einem Kampfmesser einen Terror-Anschlag verüben wollte. Er kannte seinen Angaben zufolge den Attentäter von Wien persönlich und betrachtete diesen als „Vorbild“. Er wollte in Verfolgung seiner Terror-Pläne auch eine Pistole kaufen, bekam aber in einem Waffengeschäft in Wien keine.
Bisher war bekannt, dass der Bursch am Hauptbahnhof im Namen des IS auf Menschen einstechen und diese töten wollte, um anschließend von der Polizei erschossen zu werden. Er machte dann allerdings einen Rückzieher und verließ das Bahnhofsgelände wieder, weil ihn – wie er dazu später erklärte – der Mut verließ. Er wurde am nächsten Tag festgenommen: Die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) war von einem ausländischen Partnerdienst gewarnt worden und so auf die Spur des 16-Jährigen gekommen. Dieser hatte in einem Telegram-Kanal, in dem 19 junge IS-Anhänger versammelt waren, den Anschlag angekündigt.
Wie nun Recherchen der APA ergaben, hatte der 16-Jährige in diesem Kanal unmittelbar vor dem geplanten Anschlag auch ein Selfie gepostet, das er im Keller seines Wohnhauses aufgenommen hatte und mit dem er deutlichen Bezug auf den Wien-Attentäter nahm, der am 2. November 2020 in der Innenstadt vier Menschen tötete, ehe er von der Polizei erschossen wurde. Angelehnt an den Attentäter, der vor dem von ihm verübten Terror-Anschlag ein ähnliches Foto von sich online gestellt hatte, posierte der 16-Jährige in einem T-Shirt in Tarnfarbe sowie mit ausgestrecktem, gen Himmel erhobenem Zeigefinger, dem Erkennungszeichen des IS. Mit der anderen Hand präsentierte er das gezückte Kampfmesser, wobei an einem Finger ein Siegelring des Propheten Mohammed auffiel. Weiters bekleidet war der 16-Jährige mit einem Gilet, das als Sprengstoffgürtel-Attrappe erscheinen sollte.
Wien-Attentäter als „Vorbild“
Der mittlerweile in U-Haft befindliche Jugendliche, gegen den von der Staatsanwaltschaft Wien wegen terroristischer Vereinigung und krimineller Organisation ermittelt wird, hat vor Kurzem in einer Beschuldigteneinvernahme angegeben, er habe den späteren Attentäter, kurz nachdem dieser aus dem Gefängnis entlassen worden war, persönlich kennengelernt. Der HTL-Schüler mit nordmazedonischen Wurzeln hatte sich in Syrien dem IS anschließen wollen und dafür 22 Monate Haft ausgefasst. Im Dezember 2019 wurde der spätere Attentäter enthaftet. Wie der 16-Jährige nun darlegte, habe er kurz danach gemeinsam mit anderen den damals 20-Jährigen zufällig in der Millennium-City in Wien-Brigittenau getroffen, wobei der spätere Attentäter der Gruppe von seiner Festnahme und der anschließenden Haft erzählt habe.
Diese Begegnung dürfte auf den zu diesem Zeitpunkt 13-Jährigen nachhaltigen Eindruck gemacht haben. Der IS-Teenie fühlt sich seiner Schilderung zufolge seit seinem 14. Lebensjahr dem IS verbunden. Der Wien-Attentäter sei sein „Vorbild“. Er habe ebenfalls vorgehabt, sich eine Schusswaffe zu besorgen, habe aber zu wenig Geld für ein Gewehr gehabt, schilderte der Bursch unlängst dem Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT). Daher sei er wenige Wochen vor dem September 2023 mit 500 Euro in ein Waffengeschäft an einer U-Bahn-Station gegangen, um sich eine Glock oder eine Beretta zu kaufen. Der Verkäufer habe ihm allerdings erklärt, dass er zu jung für eine Pistole sei und er überdies einen Waffenpass benötigen würde.
Er hätte vorgehabt, seinen Anschlag „genauso zu machen“ wie der Attentäter vom 2. November 2020, „wenn ich die Möglichkeiten, also die Waffen gehabt hätte“, betonte der 16-Jährige gegenüber dem Wiener LVT. Mangels Schusswaffen habe er sich in weiterer Folge in einem Shop um 20 Euro ein Feldmesser mit einer Klingenlänge von 16,5 Zentimeter besorgt. Damit wollte der IS-Teenie gemäß seiner protokollierten Aussage am Hauptbahnhof mehreren Menschen in den Hals stechen: „Es hätten für mich mehr als drei oder vier Opfer sein sollen. Diese sollten nicht nur verletzt sein, sondern getötet werden. Ich wollte dadurch zeigen, dass Menschen Allah fürchten sollen. Ich hätte, während ich die Personen erstochen hätte, auch Allahu Akbar (Gott ist groß, Anm.) gerufen, damit alle wissen, warum sie sterben. Durch dieses Töten komme ich ins Paradies, dort ist es sehr schön und ich entgehe der Streiterei mit meinem Vater.“ Er habe „keinen Zorn auf die Menschen allgemein, aber Polizisten, Soldaten und Homosexuelle sollten sterben“, merkte der IS-Anhänger noch an.
Bedrückende Lebenssituation
Der 16-Jährige wuchs als jüngstes Kind einer Familie mit türkischen Wurzeln in Wien auf. Seine Mutter starb, als er sechs Jahre alt war. Der Bursch besuchte eine sonderpädagogische Schule, die er im Sommer 2023 abschloss. Danach war er beim AMS als Arbeit suchend gemeldet. Freunde hatte er seinen Angaben zufolge keine, in der Schule wurde er gemobbt. Einmal musste er sogar mit einer Kopfverletzung in ein Spital gebracht werden, nachdem ihn ein Mitschüler gegen eine Eisenstange geschleudert hatte.
In dieser bedrückenden Lebenssituation fand der Jugendliche zum Islam. Er begann fünfmal am Tag zu beten und lehnte aus religiösen Gründen Alkohol und Nikotin ab. Er besuchte schließlich wöchentlich eine Moschee in Wien-Meidling, in der unmittelbar nach dem Anschlag vom 2. November 2020 eine Razzia stattgefunden hatte und die danach vorübergehend geschlossen wurde. Der Wien-Attentäter hatte diese Moschee ebenfalls frequentiert und dürfte sich dort radikalisiert haben.
Der Vater des 16-Jährigen trat den zunehmend strenggläubigen Tendenzen seines Sohnes entgegen. Er verbot ihm, seine Hosen über die Knöchel hochzukrempeln und einen Bart zu tragen. Als der Bursch auf Letzteres nicht reagierte, rasierte er diesem sogar den Bart ab. Der Vater verbot dem Jugendlichen auch den Besuch der Moschee in Meidling. Daraufhin soll ihn ein dort tätiger Koranlehrer in seiner Wohnung aufgesucht haben, wie der Vater in einer Zeugenbefragung dem Verfassungsschutz berichtete: Der Vertreter der Moschee habe ihm erklärt, er wolle seinem Sohn „helfen“, da dieser „den Koran gut lesen könne“. Er habe den Besucher aus der Wohnung gewiesen, da dieser offensichtlich „kein guter Umgang für meinen Sohn“ gewesen sei, hielt der Vater fest, wobei er laut schriftlichem Einvernahmeprotokoll auf den „zotteligen Bart“ und die „unangebrachte“ Bekleidung des Besuchers verwies.
Der 16-Jährige dürfte zu diesem Zeitpunkt jedoch längst eine fortgeschrittene radikalislamistische Gesinnung aufgewiesen und diese auch in seiner Schule an den Tag gelegt haben, wie jüngste Handy-Auswertungen belegen. Am 20. Februar 2023 hatte er in einer für seine Schulklasse erstellten WhatsApp-Gruppe IS-Propaganda-Videos geteilt. Am 7. Mai ließ er einem Mitschüler einen Kampfgesang des deutsch-marokkanischen Extrem-Salafisten Monir Chouka zukommen. Und am 7. Juli verbreitete er drei Lichtbilder, die offenbar in den Klassenräumlichkeiten aufgenommen worden waren. Sie zeigen den grinsenden 16-Jährigen mit ausgestrecktem erhobenem rechten Zeigefinger vor der Schultafel, auf der mit Kreide das IS-Logo und Symbole des IS aufgemalt sind.
Nicht aufgefallen
Weder die Lehrerinnen und Lehrer noch die Schulleitung hatten bis zur Festnahme des Burschen eine Ahnung von dessen Gesinnung. Dass er 2022 mit einem Messer in der Klasse erschienen war, wofür er für zwei Wochen vom Unterricht suspendiert wurde, führte man auf seine Schwierigkeiten mit Mitschülern zurück. Der Jugendliche war bis zu seiner Festnahme auch nicht polizeilich vorgemerkt oder als potenzieller Gefährder aufgefallen. Eine Lehrerin erinnerte sich allerdings im Nachhinein an einen Schulausflug auf den Schneeberg: Als im Tal Kirchenglocken läuteten, habe der 16-Jährige einen Gebetsteppich aus seinem Rucksack geholt und darauf bestanden, seiner Pflicht zum Gebet nachzukommen.
Unklar ist weiterhin, was den Jugendlichen dazu gebracht hat, den Hauptbahnhof wieder zu verlassen, ohne das an seiner Hüfte angeclippte Messer in die Hand zu nehmen. Ursprünglich hatte er dazu angegeben, er habe aus Angst sein Vorhaben nicht durchgezogen, wobei er damit argumentierte, er habe befürchtet, den Anschlag zu überleben und festgenommen zu werden, statt als Märtyrer ins Paradies zu kommen. Zuletzt meinte der Jugendliche, ihm habe „eine innere Stimme irgendwie gesagt, das nicht zu machen“. Möglicherweise spielte aber auch der Umstand eine Rolle, dass er einen Gegenstand in der Wohnung vergessen hatte, der Bestandteil seines Planes war: Seinen Angaben zufolge wollte der IS-Anhänger zunächst einen Böller in die Menschenmenge werfen und in der damit verursachten Aufregung auf Menschen einstechen. Den pyrotechnischen Gegenstand hatte er zu Hause liegen gelassen.