Anmerkung: Dieser Artikel ist zuerst in der Washington Post erschienen.
Übersetzung: Claire Herrmann
Eine der größten Hürden, um den globalen Klimazusammenbruch zu vermeiden, ist, dass viele Menschen denken, dass man ohnehin nichts dagegen tun könne. Sie verweisen darauf, dass die Rekord-Hitzewellen, Feuer und Stürme bereits jetzt verheerend für die Gemeinden und Volkswirtschaften überall auf der Welt sind. Lange wurde ihnen erzählt, dass die Temperaturen die kommenden Jahrzehnte ohnehin weiter steigen — egal, wie viele Bohrinseln durch Solarmodule ersetzt oder wie viele Fleischesser zu Vegetariern werden würden. Kein Wunder also, dass diese Menschen denken, dass wir dem Untergang geweiht sind.
Tatsächlich sagt die Klimawissenschaft das in der Form aber nicht. Ganz im Gegenteil, die beste Forschungsnachricht der Klimawissenschaft — von der vermutlich die Wenigsten bisher gehört haben — legt nahe, dass die Menschheit den Schaden noch immer auf einen Bruchteil der schlimmsten Vorhersagen begrenzen kann, wenn — und ja, das ist zugegebenermaßen ein großes 'wenn' — Regierungen, Unternehmen und wir alle sofort beginnen energisch zu handeln.
Statt 30 bis 40 Jahre: Verzögerungszeit von 3 bis 5 Jahren
Viele Jahre lang galt die wissenschaftliche Faustregel, dass ein beträchtlicher Teil des Temperaturanstiegs im Klimasystem der Erde bereits vorprogrammiert sei. Forschende glaubten — und das gaben sie so auch an Politikerinnen und Politiker sowie Journalistinnen und Journalisten weiter — dass selbst wenn die Menschheit hypothetisch von einem auf den nächsten Tag alle Treibhausgas-Emissionen unterbräche, dass dann die globalen Temperaturen durch die lange Lebenszeit des Kohlendioxid (CO2) in Kombination mit den schwerfälligen thermischen Eigenschaften der Meere für die nächsten dreißig bis vierzig Jahre dennoch weiter ansteigen würden. Und, nachdem der Umstieg auf eine CO2-freie Weltwirtschaft mindestens ein oder zwei Jahrzehnte bräuchte, würden die Temperaturen mindestens ein halbes Jahrhundert weiterhin steigen.
Doch diese Verzögerungszeit hat die Wissenschaft auf Basis weiterführender Forschung drastisch nach unten korrigiert: nämlich auf nur drei bis fünf Jahre. Das ist ein enormer Unterschied, der einen Paradigmen-Wechsel und dahingehend Hoffnung mit sich bringt, wie Menschen, insbesondere junge Menschen über den Klima-Notstand denken.
Diese überarbeitete Forschung bedeutet, dass die Globaltemperatur fast sofort aufhören wird zu steigen, wenn die Menschheit die Emissionen auf Null herunterfährt. Aber: Das ist keine "Kommen Sie aus dem Gefängnis frei"-Karte. Die globalen Temperaturen würden nicht sofort fallen, wenn die Emissionen auf Null heruntergefahren werden — das Eis unseres Planeten würde dennoch weiter schmelzen und der Meeresspiegel weiter ansteigen. Die globale Temperatur würde aber nicht weiter unbarmherzig nach oben klettern. Damit würde das der Menschheit Zeit verschaffen, Möglichkeiten zu entwickeln, mit solchen unvermeidlichen Auswirkungen fertig zu werden.
Kurz gesagt: Wir sind nicht unwiderruflich verloren — oder zumindest müssen wir das nicht sein, wenn wir schnell und mutig handeln.
Die Sache mit der 12-Jahres-Zeitachse
Die Wissenschaft, auf die wir hier verweisen, kam im letzten Sachstandbericht des UN-Weltklimarats (August 2021) vor — unbeabsichtigter Weise allerdings tief vergraben. Tatsächlich wurde das aber auch bereits 2018 im IPCC-Bericht mit dem Titel "1,5°C globale Erwärmung" vorgestellt. Die Schlüsselkenntnis des Reports — nämlich, dass die globalen Emissionen bis 2030 um 45 Prozent sinken müssen, um katastrophale Klimastörungen zu verhindern — hat damals zu Schlagzeilen geführt wie "Noch zwölf Jahre um den Planeten zu retten".
Diese 12-Jahres-Zeitachse sowie das damit verbundene Konzept eines "Kohlenstoff-Budgets" (die Kohlenstoffmenge, die verbrannt werden kann, um den Temperaturanstieg auf 1,5° Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen): Beides war in der überarbeiteten Forschung verwurzelt. Dennoch haben die Öffentlichkeit und die Politik diese jüngere Forschung, welche die neuen Schätzungen ermöglicht hat, weitgehend ignoriert.
Warum wurde die Klima-Forschung korrigiert?
Nicht-Wissenschaftlerinnen und -wissenschaftler könnten nun aus gutem Grund fragen: Warum haben die Forschenden ihre Meinung geändert? Warum sollten wir ihren neuen Einschätzungen einer Verzögerungszeit von drei bis fünf Jahren glauben, wenn ihre vorherigen Schätzungen von 30 bis 40 Jahren mittlerweile als inkorrekt gelten? Und muss die Welt ihre Emissionen bis 2030 nach wie vor um die Hälfte reduzieren um eine Klimakatastrophe zu verhindern?
Die kurze Antwort auf die letzte Frage ist: Ja. Die Temperaturen werden erst aufhören zu steigen, wenn die globalen Emissionen auf Null sinken. Derzeit sinken die Emissionen aber nicht. Stattdessen pumpt die Menschheit weiterhin circa 36 Milliarden Tonnen Kohlendioxid im Jahr in die Atmosphäre. Je länger es dauert, diese 36 Milliarden auf null zu reduzieren, desto höher wird der Temperaturanstieg sein, mit dem die Menschheit konfrontiert sein wird. Und wie der IPCC-Bericht von 2018 eindringlich klar gemacht hat: Eine Erwärmung um mehr als 1,5 Grad würde entsetzliches menschliches Leid, wirtschaftliche Verluste und einen gesellschaftlichen Zusammenbruch verursachen – und würde womöglich nachhaltig unwiderrufliche Folgen haben.
Forschung = stetige Weiterentwicklung
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben ihre Forschung angepasst, weil zusätzliche Studien ihnen ein sehr viel besseres Verständnis davon vermittelt hat, wie das Klimasystem funktioniert. Ihre ursprünglichen Schätzungen von 30 bis 40 Jahren basierten auf relativ einfachen Computermodellen, welche die CO2-Konzentration in der Atmosphäre als eine Art "Kontrollknopf" betrachteten, der darüber bestimmt, wie hoch die Temperatur ist. Die lange Verzögerung des Erwärmungseffektes hat damit zu tun, dass sich die Meere weiterhin aufwärmen – noch lange, nachdem der Kontrollknopf gedrückt wurde.
Neuere Klima-Modelle erfassen hingegen die dynamischere Natur der Kohlendioxid-Emissionen. Weil ja, CO2 drückt die Temperaturen nach oben, aber sogenannte "Kohlestofsenken" wie zum Beispiel Wälderoder insbesondere die Meere, absorbieren fast die Hälfte des ausgestoßenen CO2. Das führt dazu, dass das CO2-Level in der Atmosphäre sinkt.
Game Changer
Zu wissen, dass weitere dreißig Jahre steigender Temperaturen nicht unausweichlich sind, kann ein "Game Changer" sein: Dahingehend, wie Menschen, Regierungen und Unternehmen auf die Klimakrise reagieren. Zu verstehen, dass wir unsere Zivilisation noch retten können, wenn wir nur schnell und stark handeln, kann außerdem die Verzweiflung vertreiben, die Menschen lähmt, und sie stattdessen zum Handeln motivieren. Die Veränderung des Lebensstils kann dabei helfen, aber dennoch braucht es auch politisches Engagement.
Um Emissionen bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren, braucht es den schnellstmöglichen Übergang, weg von den heutigen, fossil-befeuerten Volkswirtschaften zugunsten von Wind-, Solar- und anderen kohlenstofffreien Alternativen. Das aber kann nur passieren, wenn Regierungen verschiedene drastische Strategien erlassen. Wenn die Bürgerinnen und Bürger verstehen, dass die Dinge nicht hoffnungslos sind, können sie die gewählten Amtsträgerinnen und -träger besser dazu drängen, solche Änderungen vorzunehmen.