Entgegen dem alten Sprichwort spürt Stefan Yazzie Herbert sehr wohl Schmerz. Und wenn er von Halblustigen aufgefordert wird, einen Regentanz aufzuführen, packt er gerne aus Protest seine Techno-Moves aus. Der 31-Jährige ist Navajo-Österreicher; sein Vater ist aus Österreich, seine Mutter ist Indianerin, wie er selbst erklärt. Die Navajos sind einer der größten Stämme in den USA.

In Kalifornien aufgewachsen, kam Stefan Yazzie Herbert im Alter von 13 Jahren mit seiner Familie nach Vorarlberg. Seit mehr als zehn Jahren lebt der Filmemacher und Designer in Wien. Wie er die aktuelle Debatte rund um die "Winnetou"-Romane von Karl May erlebt, warum er nichts von Verboten hält, aber Federschmuck zu Fasching trotzdem respektlos ist. 

Du selbst verwendest das I-Wort. Das war einst eine Fremdbezeichnung. Ist sie inzwischen zur Selbstbezeichnung geworden?
STEFAN YAZZIE HERBERT: Ich persönlich verwende Indianer, aber ich kann natürlich nicht für alle sprechen. Ich verwende das Wort, weil es eine gute Selbstbezeichnung im Deutschen ist. Die Verwechslungsgefahr zwischen Indern und Indianern ist nicht da und es gibt keine gescheite Alternative. Das Wort "indigen" wird auch oft verwendet, aber das umfasst eine wesentlich größere Bevölkerungsgruppe.

Welche Rolle spielt die Navajo-Kultur in deinem Leben?
Unser Stamm ist hauptsächlich in Arizona, Colorado und New Mexico zu finden. Als Kind war ich ein paar Mal im Jahr dort und mir wurde beigebracht, was diese Kultur genau für uns bedeutet. Nichtsdestotrotz: Ich kann diese Frage nicht so leicht beantworten. Es sind so viele verschiedene Gefühle, wenn ich daran denke: Stolz, Zugehörigkeit nach Amerika, gleichzeitig aber auch Einsamkeit, weil ich hier in Österreich keine Community habe, mit der ich mich austauschen kann. Als ich älter geworden bin, habe ich viel mehr über die Verbindung der deutschsprachigen Kultur zur Indianerkultur erfahren, die großteils auf Winnetou und der Romantisierung der Kultur basiert. Ich habe dann angefangen, meine Identität zu hinterfragen, was es bedeutet, Österreicher und Indianer zu sein. Das ist eine sehr spezifische Kombination.

Wie sieht der Umgang mit der Kultur in Österreich aus?
Es ist grundsätzlich Interesse an unserer Kultur da, das finde ich sehr schön. Aber es ist oft das falsche Interesse. Leute kommen zu mir und sagen mir random ihren "Indianernamen". Es gab auch Leute, die mir erklärt haben, dass sie während eines spirituellen Drogenerlebnisses ihre Berufung gefunden haben, das Land meines Stammes zurückzukaufen. Das sind so komische Geschichten, wo ich denn nicht genau weiß, wie ich damit umgehen soll. Wenn ich erkläre, was mein Stamm tatsächlich braucht, dann ist oft viel weniger Wille da, Energie und Aufklärungsarbeit in tatsächliche aktivistische und politische Arbeit reinzustecken. 

Wie stehst du dazu, wenn Konzepte und Symbole deiner Kultur von der breiten Masse verwendet werden?
Ich kann nur für mich persönlich und nicht für alle Indianer sprechen, aber der Begriff "Spirit Animal" ist ein gutes Beispiel. Da steckt eine tiefe Ideologie dahinter. Mittlerweile verwenden ihn Leute oft auf eine witzige Art, um zu erklären, wie sie ihre Energie in einem Objekt, einem Tier oder einer Person spüren. Das sind Aussagen wie "My Microwave is my Spirit Animal". Wenn der Witz passend ist, lache ich meistens. Das Andere sind Traumfänger. Das ist ein Tool, das deine Träume schützen soll. Vor allem Kinder können etwas Positives davon mitnehmen, wenn sie das Gefühl haben, durch ein Objekt geschützt zu werden. Ich finde es nicht schlecht, dass das Symbol hergenommen wird. Aber nimm dir doch bitte auch fünf Minuten, um zu googeln, was es bedeutet, wo es herkommt und erklär deinem Kind, warum das so ist. Dann hat man ein positives Beispiel. 

Video: Kein "woker Wahnsinn" - die Diskussion um kulturelle Aneignung

Gibt es auch negative Beispiele?
Ich bin der Meinung, dass es bestimmte Objekte gibt, die geschützt sind. Der Federschmuck ist ein gutes Beispiel. Ich dürfte den auch nicht anziehen, weil ich nicht die Sachen durchgemacht und den Respekt innerhalb meines eigenen Stamms habe, den man dazu braucht. Warum glaubt jemand anderes, das machen zu dürfen? Meistens ist es Ignoranz. Oder sie wissen es nicht und finden es einfach cool. Aber sobald man es weiß, hat man nicht mehr die Sicherheit der Ignoranz. In der deutschsprachigen Kultur haben wir ebenfalls Symbole, die man nicht tragen darf, aber die sind meistens negativ behaftet, wie zum Beispiel Nazi-Symbole. Navajo-Symbole sind positiv behaftet, sie stehen für besonders viel Ehre und Respekt.

Stefan Yazzie Herbert
Stefan Yazzie Herbert © Jolly Schwarz Photography

Gibt es auch im deutschsprachigen Raum Positivbeispiele?
Ich glaube, der einfachste Vergleich, den man hier machen könnte, wäre, dass man den Doktortitel nicht verwenden darf, wenn man den Doktor nicht gemacht hat. Wir haben in Österreich einen großen Titelwahn und sind da schon genau, wenn das jemand faked. 

Wie kann man am besten mit kultureller Aneignung umgehen?
Es gibt durchaus einige Sachen, die sind einfach geschmacklos. Wenn da jemand bei einer Faschingsparty leicht bekleidet, mit Feder und Kriegsbemalung kommt, dann finde ich das geschmacklos. Aber ich werde nicht sagen, das darfst du nicht anziehen. Das muss man in Kauf nehmen. Ein respektvoller Umgang wäre es wiederum, zum Beispiel einen Traumfänger von einem Indianer zu kaufen anstelle eines Massenprodukts.

In seinen inzwischen kontroversen "Winnetou"-Romanen romantisiert Schriftsteller Karl May die Kultur. Wie stehst du dazu?
Das sind durchaus süße Geschichten, bei denen es um Ehre und Freundschaft geht, aber das ist nicht mit einer realistischen Darstellung der Kultur gleichzusetzen. Wenn er nicht den Erfolg hätte, den er jetzt hat, hätte ich kein Problem damit – vor allem, wenn es auch andere Einflüsse geben würde. Zum Beispiel, wenn es drei weitere Autoren geben würde, die tatsächlich etwas Authentisches zeigen. So wäre es ein ausgewogenes Konsumverhalten. Wenn aber ausschließlich Karl May als kultureller Erziehungspunkt verwendet wird, dann wird es problematisch. Ich kann nachvollziehen, dass man die alten Bücher immer noch mag, aber heutzutage wissen wir, dass es stereotypisch ist und ein falsches Bild der Kultur darstellt. Wir wissen, dass es Schaden anrichten kann, wenn die Menschen nur das konsumieren.

Hat die Aufmerksamkeit, die durch die "Winnetou"-Debatte entstanden ist, also auch etwas Gutes?
Dass es die Debatte gibt, ist ganz gut. Aber es wäre kontraproduktiv, wenn die Leute Angst haben, sich falsch auszudrücken. 

Ravensburger hat vor Kurzem eine Weiterführung der "Winnetou"-Romane vom Markt genommen.
Das geht oft so. Hey, was Falsches wurde gemacht und jetzt setzen wir uns damit auseinander. Idealerweise würden die Leute sich generell mehr mit der Kultur auseinandersetzen, selbst wenn es nicht zur Debatte kommt. Das ist aber eine Wunschvorstellung. Durch die Popularität haben die Leute Karl Mays Worte oft als Wahrheit angenommen, obwohl seine Bücher keine authentische Darstellung sind. Im Deutschsprachigen existiert das Indianertum nur als romantisiertes Bild. Mir wurden schon viele peinliche Fragen gestellt: Lebt ihr in Tipis? Habt ihr Fernsehen? Hat jeder ein Pferd? Das kommt teils von Erwachsenen, auch von einem Doktoratsstudierenden. Ich würde mir einen moderneren Umgang mit der Kultur wünschen.

Inwiefern?
Unsere Probleme heutzutage haben mit Kindersterblichkeit zu tun, mit Gewalt gegen Frauen, mit großer Armut auf den Reservaten, mit Wasserrechten, keinem Zugang zu Internet. Das sind moderne Probleme, die bei vielen Stämmen ähnlich sind. Wie können wir aufklären, wenn die Leute nur in der Vergangenheit leben? Aber es geht auch um Erfolge. Wir haben mit "Reservation Dogs" zum ersten Mal eine Serie, die gerade viele Preise gewinnt. Rez Metal (Anmerkung: eine Musikrichtung) ist voll im Kommen, ebenso wie Rez Golf – also Golfen ohne Grün – was viel nachhaltiger ist als die unfassbar verschwenderischen Golfplätze. Es ist so vielfältig, so spannend, was in unseren Kulturen passiert und das ist komplett unsichtbar, weil wir uns mit alten Geschichten beschäftigen.

Wie kann man zum Ally, also zum Verbündeten, werden und diese Dinge sichtbarer machen?
Man muss nicht zwingend aktivistische Arbeit leisten, es ist auch schon gut zu teilen, was gerade passiert und zu informieren. Oder man kann genauso einfach die Kultur konsumieren, wenn man sich Shows wie "Reservation Dogs" anschaut und weiterempfiehlt. Idealerweise haben wir als Kultur etwas Wertvolles geschaffen, das auch andere Leute genießen. Wichtig ist auch, dass unsere Sprache geteilt wird. Wir als einzige Indianersprache auf Duolingo, mittlerweile kann das jeder lernen. Genießt unsere Kultur, wie sie ist, und nicht eine romantisierte Version von einer Person, die diese Kultur nie erlebt hat.