Bereits mit 15 bemerkt Johannes, dass seine Haare nicht ganz so dicht sind wie die seiner Mitschüler. Wahrhaben will er das nicht: "Ich habe den Haarausfall dann lange ignoriert. Es ist einfach ein blödes Gefühl. Im Fernsehen und in den Medien haben die meisten Männer Haare. Dann gibt es da zwar noch die 'coolen Glatzen': Aber was ist, wenn man nicht ausschaut wie ein Bruce Willis oder Vin Diesel?"
Haarausfall: Besonders belastend für junge Männer
Einige Jahre versucht der heute 28-Jährige seinen beginnenden Haarausfall zu verstecken. Mit Anfang 20 werden seine Haare allerdings immer schneller immer dünner. In seinem Freundeskreis bleibt das nicht unbemerkt: "Die Kommentare kamen zwar immer im Spaß – aber so, dass man es spürt. Das tut dann schon auch ein bisschen weh. Aber die meisten Probleme kamen von innen, die habe ich selbst damit gehabt."
So wie Johannes geht es vielen Männern. Eine Umfrage aus Deutschland fand heraus, dass unter den Befragten jeder vierte Mann zwischen 18 und 24 Jahre bereit wäre, Lebensjahre einzutauschen, um im Gegenzug wieder volles Haar zu bekommen. 73 Prozent der 25- bis 34-jährigen Befragten gaben zudem an, dass Haarausfall zu psychischen Problemen führen kann.
Die Angst, mit Glatze weniger attraktiv zu sein
Das bestätigt auch der Grazer Psychotherapeut Robert Riedl: "Haarausfall wird vor allem von jungen Männern als belastend erlebt, da der Verlust der Haarpracht emotionalen Stress bis zu depressiven Verstimmungen verursachen kann. Andererseits können Dauerstress und lange andauernde Belastungen zu Haarausfall führen." Der Experte bezieht sich auf Umfragen, nach denen in Europa zwei Drittel der Männer zwischen 18 und 45 Jahren besorgt sind, frühzeitig ihr Haar zu verlieren. Im Vordergrund steht zumeist die Angst, weniger attraktiv zu sein. Das kann in der Folge zu einem verminderten Selbstwertgefühl führen.
Der Therapeut mit eigener Praxis in Graz resümiert: "In jedem Fall ist Haarausfall eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Fremd- und Selbstbild sowie dem Älterwerden."
Haarausfall: Na und? Happy mit Glatze
Wie aber lässt sich der Haarausfall akzeptieren? "Das Akzeptieren oder Annehmen von Verlusten hat immer mit Loslassen können zu tun", erklärt Riedl. Dabei lasse sich lernen, zu unterscheiden, was man direkt oder indirekt beeinflussen kann – aber auch, was außerhalb des eigenen Einflussbereiches liegt.
Diese Klarheit mache die notwendige Trauer um den Verlust schließlich möglich: "Genau dieser oft auch schmerzliche Prozess lässt uns etwa den Verlust der Haarpracht oder eine unveränderliche Veränderung unseres Aussehens innerlich transformieren. Wir können dann eine neue Beziehung zu uns selbst aufbauen und stärken im besten Fall sogar das eigene Selbstbild, den Selbstwert und die Identität."
Der Griff zum Rasierer
Nachdem Johannes den eigenen Haarausfall lange ignoriert, trifft er schließlich eine Entscheidung: "Mein bester Freund hat mir ungefähr zwei Jahre lang vorgeschwärmt, wie cool es wäre, wenn ich mir eine Glatze schneiden würde – mit 25 habe ich mir dann den Kopf rasiert."
Der Blick in den Spiegel ist für Johannes zunächst ungewohnt. "Von der Schädelform hat es Gott sei Dank gut gepasst, aber anfangs habe ich irgendwie darauf gewartet, dass die Leute komisch schauen", erinnert sich der heute 28-Jährige zurück. Blöde Blicke bekommt Johannes nicht, stattdessen erhält er viele Komplimente. "Meine Freunde haben das sehr gefeiert, dass ich meine Haare abgeschnitten habe."
"Ich habe mich noch nie so attraktiv gefühlt wie jetzt"
Heute kann sich Johannes nicht mehr vorstellen, wie es ohne Glatze ist. "Das klingt jetzt blöd, aber ich habe mich noch nie so attraktiv gefühlt wie jetzt. Ich bin heute zufriedener mit meinem Aussehen als mit Haar", sagt der Wiener und fügt grinsend hinzu: "Das hätte ich gerne vorher gewusst."
Hinweis: Dieser Text ist ursprünglich bei Futter, dem jungen Magazin der Kleinen Zeitung, erschienen.
Claire Herrmann