Dieser Artikel ist zuerst bei "SOS Mitmensch" erschienen. An dieser Stelle wird in den nächsten Wochen immer freitags ein Porträt aus der Reihe "Hier angekommen: Ältere Menschen und Familien nach der Flucht" veröffentlicht.

„Ich heiße Niyazi Sanli, bin 51 Jahre alt und komme aus der Türkei. Ich bin Schriftsteller und habe 24 Jahre lang in verschiedenen Ländern als Lehrer gearbeitet. Unter anderem war ich in Kirgistan und in Tschetschenien tätig, zuletzt aber wieder in Istanbul. Ich habe Schüler*innen Nachhilfe in Türkisch gegeben, die sich auf die Zulassungsprüfung für die Universität oder das Gymnasium vorbereitet haben. Nach dem Putschversuch am 15. Juli 2016 wurden unsere Nachhilfekurse vom Erdogan-Regime verboten. Auch mein Verlag wurde beschlagnahmt, weil er eine Nähe zur Opposition hatte. Ich selbst war Mitglied der Gülen-Bewegung. Es wurde gegen eineinhalb Millionen Menschen ermittelt. Schwangere Frauen und Frauen mit Kindern wurden ohne Gesetzesgrundlage festgenommen. Ungefähr 300.000 Menschen wurden entlassen.

„Meine Bücher wurden verboten“

Mein Bankkonto wurde gesperrt. Meine Bücher wurden verboten. Meine Verwandten und Freund*innen wurden inhaftiert. Deswegen war ich gezwungen zu flüchten. Ich habe dreizehn Bücher veröffentlicht, Sachbücher und Romane, aber ohne politische Inhalte. Einer meiner Romane wurde auch in der Türkei verfilmt. Heute werden Menschen festgenommen, wenn sie meine Bücher lesen. Ich bin ein Schriftsteller im Exil. Mein Bruder ist im Gefängnis, verurteilt zu neun Jahren und acht Monaten Haft, weil er Bekannte unterstützt hat, deren Familienangehörige im Gefängnis waren.

Verbindung zu Österreich

Ich war vor zehn Jahren schon einmal in Österreich, um meine Bücher vorzustellen und eine Autogrammstunde abzuhalten. Deshalb hatte ich eine gewisse Verbindung zu dem Land. Grundsätzlich war es mir wichtig in ein Land zu flüchten, in dem es Recht und Demokratie gibt. Ich bin zuerst alleine gekommen. Ich war ein paar Tage in Salzburg und dann in Bleiburg in einer Asylunterkunft. Ich habe 15 Monate auf meinen positiven Bescheid gewartet und konnte dann meine Frau und meine drei Töchter über die Familienzusammenführung zu mir holen. Im Asylheim habe ich jeden Tag bis zu acht Stunden Deutsch gelernt und konnte nach dem positiven Bescheid gleich in einen B1-Kurs einsteigen.

„Die Menschen haben Vorurteile“

Ich habe in der Türkei einen Lehramt-Bachelor abgeschlossen und das wurde in Österreich anerkannt. Seit drei Monaten kann ich deshalb als Freizeitpädagoge in einer Schule arbeiten. Ich engagiere mich auch für Menschenrechte und bin für Amnesty International bei  Spendensammlungen, Mahnwachen und andere Aktionen dabei. Wir sind nach Wien gezogen, weil ich hier bessere Chancen sehe meine Bücher zu veröffentlichen. Ich würde auch gerne ein Drehbuch schreiben und einen Film drehen. Ich bemühe mich Kontakte zu knüpfen, aber es ist schwierig, weil die Menschen Vorurteile haben, wegen meines Asylstatus und weil ich Ausländer bin. Auch meine frühere Zugehörigkeit zur Gülen-Bewegung führt zu Vorurteilen, weil sie als religiös gilt und umstritten ist. Ich sehe mich selbst aber als liberal und baue mein Leben jetzt wieder von Null auf.

„Das Kapitel ist abgeschlossen“

Ich werde nicht mehr in die Türkei zurückkehren. Ich habe keine emotionelle Verbindung mit dem Land. Das Kapitel ist für mich abgeschlossen. Ich bin ein Baum ohne Wurzeln. Meine jüngste Tochter ist neun Jahre alt und besucht hier die Schule. Sie spricht fließend Deutsch. Meine älteste Tochter hat in der Türkei den Abschluss in türkischer Literatur gemacht und wartet jetzt hier auf ihren Asylbescheid. Meine dritte Tochter ist in die Türkei zurückgekehrt und schließt dort ihr Studium ab. Ich hoffe, dass auch sie bald zu uns kommt, denn ich mache mir Sorgen um sie.

Das Ziel vor Augen

Mein Beruf ist Lehrer, meine Berufung Schriftsteller. Ich glaube, dass meine Bücher irgendwann weltweit veröffentlicht werden und ich berühmt werde. Das war schon immer mein Ziel gewesen. Mit zwanzig habe ich einen Englischkurs besucht und alle fragten mich, warum ich das mache. Ich habe gesagt, wenn ich weltberühmt werde als Schriftsteller, dann muss ich Englisch sprechen können. Ich hatte das immer vor und wenn ich eine Entscheidung treffe, dann schaffe ich das auch.“