Dieser Artikel ist zuerst bei "SOS Mitmensch" erschienen. An dieser Stelle wird in den nächsten Wochen immer freitags ein Porträt aus der Reihe "Hier angekommen: Ältere Menschen und Familien nach der Flucht" veröffentlicht.

"Ich bin 62 Jahre alt. Im September 2015 bin ich mit meiner Familie nach Österreich geflüchtet. Vor dem Krieg war für uns alles gut. Wir hatten einen Supermarkt, haben gearbeitet. Meine Kinder waren in Ausbildung. Dann kam der Krieg und hat unser Leben unsicher und schwierig gemacht", erzählt Mohammed Ibrahim. Er, seine Frau und seine fünf Kinder mussten eine schwierige Flucht auf sich nehmen, um dem Grauen in ihrem Land zu entkommen. Die Ibrahims sind Kurden aus Kobani, ihre Kinder wurden in Damaskus geboren.

"Wir hatten Angst"

"Wären wir in Syrien geblieben, hätte die Armee uns eingezogen und wir hätten kämpfen müssen und das wollten wir nicht. Mein Vater wurde während der Kriegshandlungen verletzt und konnte erst später in Österreich richtig behandelt werden", erzählt Nihad, der zweitjüngste Sohn der Familie.

Sie flüchteten gemeinsam in die Türkei und wollten dort mit einem Boot über das Mittelmeer. "Während der gefährlichen Fahrt bekamen wir Angst und drehten um", sagt der 27-jährige Ziad. "Ich habe es dann nochmal probiert und bin über die Türkei, Griechenland, Serbien, Kroatien und Ungarn nach Österreich gekommen. Dort wurde ich von der Polizei erwischt und stellte hier einen Asylantrag."

Erst eine Beschwerde brachte positiven Bescheid

Zwei Söhne und eine Tochter flüchteten nach Deutschland. Vater Mohammed, seine Frau Zadika und Sohn Nihad kamen ebenfalls nach Österreich. "Wir waren fünf Tage in Wien, dann einen Monat in Graz, einen Monat in der Slowakei und zwei Jahre in Tirol. Es war etwas chaotisch, weil wir nie lange bleiben konnten und immer weitergeschickt wurden, aber zum Schluss waren wir zufrieden", erinnert sich Mohammed Ibrahim.

Bis zum positiven Asylbescheid dauerte es einige Zeit. Vater Mohammed musste operiert werden, bei Mutter Zadika wurde Diabetes diagnostiziert. Die Eltern bekamen subsidiären Schutz nach einem Jahr und erst nach einer Beschwerde den positiven Bescheid. Dabei unterstützte die Rechtsberatung der Diakonie.

"Entweder gehen oder sterben"

Erst mit dem positiven Bescheid durften sie Tirol verlassen und gingen nach St. Pölten, wo Sohn Ziad schon länger wohnte. "Am Anfang war es schon schwierig, ein Kulturschock. Alles war neu, wir konnten die Sprache nicht und es war nicht einfach, mit den Leuten umzugehen. Aber jetzt geht es schon viel besser. In Syrien war alles kaputt. Wir konnten entweder gehen oder sterben. Der Familienzusammenhalt war beim Ankommen sehr wichtig und wir sind auch Österreich dankbar, dass man uns geholfen hat, in Sicherheit zu leben", beschreibt Mohammed Ibrahim seine Gefühle.

Erfolgreicher Schritt in die Selbstständigkeit

Nihad, der als Minderjähriger nach Österreich kam, hat hier eine Ausbildung als Maschinenbautechniker gemacht und auch in dem Bereich gearbeitet. Er möchte in Zukunft selbstständig sein, und ist für die Übergangszeit im Friseursalon seines Bruders Ziad beschäftigt, den dieser in St. Pölten betreibt.

"Ich arbeite als Friseur, seit ich neun Jahre alt bin, ich habe nur das in meinem Leben gemacht", erzählt dieser. "Vor vier Jahren konnte ich den Salon übernehmen. Es gab erst Schwierigkeiten wegen des Gewerbescheins, da meine Berufserfahrung nicht voll anerkannt wurde. Ich musste viele Prüfungen machen und den Gewerbeschein anfangs noch mieten."

Wunsch nach guter Zukunft für die Kinder

"Wir haben sehr wenige Bekannte in St. Pölten. Ich bin pensioniert und meine Frau geht einmal die Woche in den Deutschkurs. Ich würde gerne Leute kennenlernen, aber ich kann nicht gut Deutsch sprechen. Ein bisschen lesen, sprechen und schreiben geht schon. Ich will, dass meine Kinder eine gute Zukunft haben, vielleicht studieren und die Staatsbürgerschaft bekommen", erzählt der 62-jährige Mohammed.

Ziad und Nihad haben bereits die Staatsbürgerschaft beantragt. Während bei Nihad noch der B2-Nachweis fehlt, gab es bei Ziad finanzielle Hürden. "Ich hatte 2019 ein kleines Minus am Konto, weil ich da gerade den Friseursalon übernommen hatte, deshalb musste ich ein weiteres Jahr warten und die Staatsbürgerschaft noch einmal beantragen", erzählt er.

"Wir leben jetzt in Sicherheit"

Zadika und Mohammed sind mittlerweile auch mehrfache Großeltern. Ihr ältester Sohn hat sechs Töchter, die Jüngsten fünf Monate alte Zwillinge. Auch Ziad hat bereits zwei Töchter, sechs und eineinhalb Jahre alt. Sorgen bereiten der Familie die steigenden Kosten. "Miete und Betriebskosten wurden viel teurer, auch wenn unsere Kinder uns finanziell unterstützen, bleibt uns nicht mehr viel zum Leben", sagt Mohammed Ibrahim.

Ablenkung findet er beim Angeln. Er hat alle Prüfungen für die Lizenz abgelegt, doch auch dieses Hobby ist teuer und die bürokratischen Hürden hoch. Trotz aller Schwierigkeiten hat Familie Ibrahim ihr Ziel erreicht. "Wir wollten in Sicherheit leben und das haben wir geschafft", sagt Mohammed.