"Nicht noch ein Artikel über BeReal": So titelte unlängst ein Branchen-Newsletter. Für alle, die sich jetzt fragen "Be... was!?", hier eine kurze Erklärung. BeReal ist eine Social-Media-App aus Frankreich, die Instagram den Kampf angesagt hat. Im Gegensatz zu Instagram wirbt BeReal für mehr Realität auf sozialen Netzwerken – das impliziert schon der Name. Anstatt – wie auf Insta – nur die Crème de la Crème des eigenen Alltags zu präsentieren, sollen bei BeReal authentische und vor allem spontane Schnappschüsse geteilt werden.

Dass aktuell gefühlt alle über die neue App sprechen, ist kein Zufall. In den vergangenen Jahren hat sich Instagram sehr verändert. Die Ursprungsidee, spontane Fotos mit Freundinnen und Freunden zu teilen, ähnelt jener von BeReal. Doch im Laufe der Zeit wurde aus der einstigen Fotoplattform Instagram eine Dauerwerbesendung. Hinzu kommt ein alles andere als transparenter Algorithmus, der viele Inhalte versteckt, anderen wiederum zu Omnipräsenz verhilft. Durch das 2016 eingeführte Story-Feature wurde den Machern unterstellt, Snapchat zu kopieren. Und aktuell rückt man immer näher an den Konkurrenten TikTok heran. An Kritik gegen Instagram mangelt es jedenfalls nicht.

Fazit: Sogar Dauernutzer sind Instagram-müde und sehnen sich nach guten alten Zeiten, in denen Social Media noch eine Möglichkeit war, Freundinnen und Freunde mit kurzweiligen Momentaufnahmen aus dem Alltag zu versorgen. Zeiten, in denen Beiträge nicht schon Tage voraus geplant werden mussten, um den hohen Ansprüchen des Social-Media-Universums gerecht zu werden. Genau bei diesem Bedürfnis will BeReal jetzt ansetzen.

Wie BeReal funktioniert

Ziel ist es, dass Nutzerinnen und Nutzer einmal pro Tag ein Foto posten. Der Clou? Sobald das Foto gepostet ist, haben die eigenen Freundinnen und Freunde genau zwei Minuten Zeit, um mit einem weiteren Bild zu antworten. Egal ob man gerade auf der Couch lungert oder in der Straßenbahn sitzt – auch Momente, die alles andere als "instaworthy" sind, sollen so geteilt werden. Wer das Zeitfenster verpasst, kann auch später noch seine Antwort schicken – jedoch wird das Foto dementsprechend gekennzeichnet.

Filter gibt es auf dieser App nicht und gepostet wird auch nicht für die Ewigkeit. Nach einem Tag verschwinden die Momentaufnahmen wieder. Und: "Lurken" – also nur zuschauen und selbst nichts posten – wie es viele auf Instagram tun, geht hier auch nicht. Den Content von Freundinnen und Freunden sieht man erst, wenn man auch selbst ein Bild veröffentlicht.

Soweit der Grundgedanke. So viel steht fest: Aktuell erlebt BeReal mit einer rapid steigenden Zahl an Nutzerinnen und Nutzern einen Höhenflug. Die 2020 veröffentlichte App hatte im März 2021 gerade einmal 10.000 Nutzerinnen und Nutzer. Im Jänner dieses Jahres waren es schon 2 Millionen. Im Mai berichtete CNBC von weltweit mehr als 10 Millionen Installationen der App. Die Zahl soll sich inzwischen verdoppelt haben. Das lässt spekulieren: Ist BeReal das neue Instagram?

Höhenflug à la Vero

Auch wenn die Zahlen vielversprechend aussehen, ist ein gewisses Maß an Skepsis angebracht. Aufstrebende Instagram-Alternativen gab es auch schon in der Vergangenheit. Bei der App Vero, die 2018 als das "bessere Instagram" gehandelt wurde, hielt der Höhenflug nicht lange an. Unter anderem, weil CEO Ayman Hariri vorgeworfen wurde, Menschen mit Migrationshintergrund, die für sein Bauunternehmen arbeiteten, monatelang nicht bezahlt zu haben. Kurz berichtete gefühlt jede Nachrichtenplattform über Vero. Doch es blieb bei einem, maximal zwei Berichten, bevor sich die breite Masse wieder zurück zu Instagram bewegte. Unterm Strich ist die Geschichte, die man über Vero heute erzählen kann, eine kurze: Die App konnte Instagram nicht ersetzen. Ebenso wenig wie das Audio-Netzwerk Clubhouse, das zwar noch genutzt wird, aber der Popularität Instagrams langfristig keinen Abbruch getan hat.

Diese Beobachtungen legen den Schluss nahe, dass wohl auch BeReal Instagram nicht von seinem Thron stoßen wird. Vor allem für Content Creator, die über Instagram einen Teil ihres Einkommens generieren, ist BeReal keine Alternative, weil sich die Inhalte dort – aktuell – nicht monetarisieren lassen.

Instagram und das Gefühl, jemand zu sein

Außerdem befriedigt Instagram bei vielen Nutzerinnen und Nutzern ein ganz spezielles Bedürfnis: Das Gefühl jemand zu sein, eine Plattform zu haben mit Menschen, die einem an den Lippen hängen. Auch wenn es am Ende mehr Schein als Sein ist. Nicht umsonst geben manche sogar Geld für Follower und Likes aus, um zumindest den Eindruck zu erwecken, populär zu sein. Instagram bietet die Möglichkeit, fernab von Hollywood und ohne Schaupiel- oder Gesangstalent ein Star zu werden. Das ist per se nichts Negatives. So werden plötzlich auch andere Talente – kochen, fotografieren, designen – Gold wert. Die Möglichkeit, "es" auch im entlegensten Tal Österreichs "zu schaffen", ist empowering. 

Aber auf BeReal sind Währungen wie Follower, Likes, Saves und Kommentare wertlos. Für viele mag das irrelevant sein und tatsächlich ist das auch ein großer Vorteil – entkommt man so doch einem weiteren gesellschaftlichen Druck, der auf Instagram immer stärker wird. Für jene, die sich über die Jahre auf Instagram eine Community und damit eine Einkommensquelle aufgebaut haben, ist diese Rechnung aber nicht nur eine gesellschaftskritische, sondern auch eine betriebswirtschaftliche. 

Dass BeReal sich in der breiten Masse halten wird, ist aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich. Aber das Fallbeispiel ist Teil eines größeren und sehr wohl langfristigen Trends, der sich abzeichnet: Auf Instagram findet ein großes Umdenken statt. Und alles deutet darauf hin, dass Instagrams Tage mittelfristig gezählt sind. Schon jetzt bevorzugt GenZ ohnehin das Video-Pendant TikTok. Die eigentliche Frage, die sich – zumindest für Millennials – stellt, ist ohnehin eine andere, nämlich: Braucht es überhaupt eine Instagram-Alternative? Können wir nicht ganz ohne leben?