2020 haben Sie in einem offenen Brief Journalistinnen und Journalisten dazu aufgerufen, die Klimakrise endlich ernst zu nehmen. Wie berichtet man angemessen über etwas, das die eigene Lebensgrundlage bedroht?
SARA SCHURMANN: Klar und verständlich. Unsere Aufgabe als Journalistinnen und Journalisten ist es, diese komplexe existenzielle Krise verständlich und greifbar zu machen – die Krise, aber auch die Lösungen.
Das heißt?
Ich hatte von konstruktivem Journalismus gehört, habe den Ansatz früher aber ehrlich gesagt belächelt. Ich dachte, als Journalistin sei es in erster Linie meine Aufgabe, Probleme aufzuzeigen. Erst als mir bewusst geworden ist, wie akut die Klimakrise ist, wurde mir klar, wie entscheidend konstruktive Berichterstattung ist.
Wenn wir konstruktiv berichten, zeigt das ein vollständigeres Bild unserer Welt. Denn es gibt ja Menschen, die sich mit den Lösungen dieser Probleme beschäftigen. Damit werden wir unserer Rolle als vierter Gewalt auch mehr gerecht, denn es ist unsere Aufgabe, einen informierten Diskurs zu ermöglichen. Berichten wir nicht konstruktiv, zeigen wir nur einen Ausschnitt der Realität.
Wie schaffen wir es als Medien, Leserinnen und Lesern, die Klimakrise in ihrer Dringlichkeit zu vermitteln, ohne sie zu entmutigen?
Auch hier gilt: Konkret sein und das ganze Bild aufzeigen, inklusive Lösungen. Wir können die Erderhitzung stoppen, wenn wir so schnell wie möglich aufhören, fossile Energie zu verbrauchen. Wenn wir den Eindruck erwecken, das sei alles nicht zu ändern, stellen wir die Krise falsch dar. Wenn Leserinnen und Leser verstehen, wie akut die Klimakrise ist, können wir nicht mehr verhindern, dass sie sich Sorgen machen. Es sollte aber nicht unser Ziel sein, Menschen mit der Berichterstattung absichtlich Angst zu machen. Stattdessen zeigen wir Zusammenhänge auf. Und dazu gehört eben auch, dass es Lösungen gibt.
Klingt optimistisch ...
Wir erleben gerade viele Krisen auf einmal: die Gesundheitskrise, die Ernährungskrise, das Artensterben und so weiter. Wenn wir anfangen, eins dieser Probleme wirklich entschieden zu lösen, stellen wir fest, dass vieles davon zusammenhängt. Eine pflanzenbasierte Ernährung mit weniger tierischen Anteilen hätte nicht nur positive Auswirkungen auf den Treibhausgasausstoß, sondern beispielsweise Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Weniger Tierindustrie und Monokulturen für Tierfutter würden außerdem helfen, das Artensterben und den Süßwasserverbrauch einzudämmen. Das sind keine utopischen Ideen, sondern Alternativen, zwischen denen wir jeden Tag wählen.
Können wir wirklich wählen?
Dass wir vor unserer Haustür in der Stadt überall Autos herumfahren sehen, ist eine Entscheidung, die von Menschen gemacht ist. Wir können uns politisch, gesellschaftlich entscheiden, Dinge nicht mehr zu tun – wenn wir uns klarmachen, was die Alternativen sind und was uns wirklich wichtig ist. Klimakatastrophe oder eine wirklich starke strukturelle Veränderung innerhalb kürzester Zeit? Ein Wandel, den wir so noch nie gesehen haben, aber der absolut möglich ist.
Glauben Sie persönlich daran, dass wir den Klimawandel einbremsen können?
Können ja, wir müssen es nur machen. Ich bin persönlich natürlich auch mal pessimistisch, aber Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sagen, dass es für einen sehr kurzen Zeitraum noch möglich ist, die Erderhitzung effektiv zu begrenzen und unsere Lebensgrundlage zu sichern. Aber: Wir müssen es tun. Jetzt. Bisher haben wir noch nie ernsthaft probiert, alles zu tun, um die Erderhitzung zu stoppen. Und das können wir ändern: Wir können morgen aufstehen und jeder in seinem Feld beschließen, Dinge anders zu machen.
Wenn ich so etwas wie einen Ruhestand erleben will, müssen wir die Wende, also die Energie-, Agrar-, Bau- und Verkehrswende, im Wesentlichen innerhalb der nächsten acht Jahre abgeschlossen haben. Früher hielt ich das für Utopien von Gutmenschen – heute weiß ich, dass das alles komplett rationale Entscheidungen sind. Wir können morgen beschließen, Innenstädte autofrei zu machen. Paris zum Beispiel macht vor, wie das innerhalb von zwei Jahren geht.
Zum Abschluss ein kleines Gedankenexperiment: Stellen wir uns vor, dass wir es schaffen, den Klimawandel einzubremsen. Was wäre eine positive Schlagzeile, die Sie sich wünschen würden, in zwanzig Jahren zu lesen?
Gute Frage. Am liebsten sowas wie 'Berlin – oder Wien – weiht neuste Stadtfarm ein', das wäre dann eine Mischung aus Park und Bauernhof. Das ist jetzt sehr lokal gedacht, aber so etwas wäre in allen möglichen anderen Städten und Gegenden doch toll. Und dann feiern wir alle zusammen eine große Party. Das wäre schön.
Claire Herrmann