Hinweis: Dieser Artikel ist ursprünglich auf futter.kleinezeitung.at erschienen.
Männer dürfen traurig sein. Sie dürfen verunsichert sein. Und natürlich dürfen sie auch feminin sein. Sie können Nagellack tragen, ebenso wie Make-up. Und überhaupt können Kleider und Röcke Fixbestandteil einer jeden Garderobe sein, unabhängig des Geschlechtes. All das sollte selbstverständlich sein. Ist es aber nicht immer. "Wann ist ein Mann ein Mann?" -- diese Frage hat Musiker Herbert Grönemeyer schon 1984 in seinem Hit "Männer" gestellt. Mit dieser Frage beschäftigen sich auch Benjamin Wagner und Matthias Tschannett. Der 30-jährige Sozialpädagoge und der 46-Jährige, der beruflich ursprünglich aus dem Film- und Fernsehbereich kommt, haben die Plattform Mannsbuilder gegründet. Sowohl Wagner als auch Tschannett sind zudem Psychotherapeuten in Ausbildung unter Supervision. Ziel der Plattform, die im Oktober des vergangenen Jahres gegründet wurde, ist es, gemeinsam offen über Männlichkeit und Rollenbilder zu reflektieren.
"Wir treffen uns ein Mal monatlich für drei Stunden, wobei wir aufgrund der Rückmeldungen der Teilnehmer bereits mit dem Gedanken spielen die Frequenz auf zwei Mal monatlich zu erhöhen", sagt Wagner. "Zu Beginn stand das Kennenlernen der Teilnehmer untereinander und das Sammeln ihrer Anliegen im Fokus. Aus diesen Anliegen kristallisierten sich mehrere Themenblöcke heraus." Corona-bedingt fanden die Treffen zunächst in Kleingruppen, mit FFP2-Maske, Sicherheitsabstand und regelmäßigem Lüften statt. Inzwischen gibt es übrigens auch einen Podcast zum selben Thema.
Aufrichtiger Austausch
Gesprochen wird etwa über Beziehungen, Hürden und Hindernisse, den Umgang von Männern mit Männern, über Konkurrenz, Gefühle, Verletzlichkeit, Männerfreundschaften und vieles mehr. Tschannett: "Ein Fixpunkt, der sich wie ein roter Faden durch den Zyklus zieht und mit dem wir häufig in die Gruppe einsteigen, beschäftigt sich mit unseren Beobachtungen der Medien und wie beziehungsweise was diese vor dem Hintergrund des Themas Männlichkeit und Mann-sein berichten. Es ist sehr spannend, worauf die Teilnehmer ihr Augenmerk legen und welch anregenden und bisher immer respektvollen Diskurse daraus entstehen." Geprägt ist dieser Austausch stets von Offenheit, Aufrichtigkeit und Respekt.
Aber wie ist die Idee zu dieser Plattform entstanden? Für Wagner kam der Anstoß, nachdem sich einige Männer bei ihm in Einzeltherapie begeben hatten. So verschieden ihre Geschichten auch waren, so gab es auch verblüffend viele Gemeinsamkeiten: "Häufig ging es in diesen Gesprächen um Themen wie stark sein zu müssen oder nicht schwach sein zu dürfen, die Frage ob beziehungsweise wie man als Mann Gefühle zeigen darf." Tschannett wiederum hatte schon länger mit der Idee gespielt, eine solche Gruppe zu gründen und psychotherapeutisch zu begleiten: "Nachdem Benni mir von seiner Idee erzählt hat, nämlich etwas zum Thema Männlichkeit und Mann- sein im weitesten Sinne machen zu wollen, hat eines sehr rasch zum anderen und schließlich zu der Männergruppe ,Mannsbuilder' geführt. Mich gemeinsam mit anderen Männern zum Thema Mann-sein vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen auseinanderzusetzen, habe ich sehr spannend gefunden."
Aufgebrochene Rollen
Der Bedarf -- dabei ist sich das Duo einig -- ist absolut gegeben. Nicht zuletzt aufgrund der ebenfalls notwendigen Emanzipation der Frau. Durch diese Bewegung gerieten traditionelle Geschlechterrollen ins Wanken: "Die ,Rolle' der Frau wurde neu definiert. Der gesellschaftliche Diskurs hatte dabei logischerweise stets die Frauen im Fokus. Die Veränderung der Rolle der Frau hat jedoch auch Auswirkungen auf die Welt der Männer." Genau das wurde laut Wagner aber lange außer Acht gelassen. In manchen Bereichen wurden traditionelle Erwartungen aufgebrochen, in anderen handelt es sich dabei immer noch um feste Strukturen. Die Auffassung, dass der Mann etwa die Frau als Erstes ansprechen soll, nennt Wagner etwa als Beispiel. Auffassungen wie diese, die sich nach wie vor hartnäckig halten, führen, so Wagner, zu Verunsicherungen.
Tschannett: "Ich war doch etwas überrascht, vor allem von den positiven Reaktionen und den Worten der Unterstützung seitens der Frauen in unserem Umfeld, denen wir von der Männergruppe erzählt haben." Zunächst bestand die Gruppe insgesamt aus sieben Personen, Wagner und Tschannett inklusive. Es gab und gibt aber noch eine Reihe an weiteren Interessenten. Unter dem Stichwort "Männer reden" gibt es in der Schweiz übrigens eine ähnliche Initiative. Eingeladen sind Männer ab 18 Jahren und jeder sexueller (Nicht-)Orientierung, jedes religiösen (Nicht-)Glaubens und jeder Herkunft. "Da in der Gruppe mitunter über sehr Persönliches gesprochen wird, ist uns die Zusammensetzung wichtig. Mit allen Interessenten führen wir vorab ein Orientierungsgespräch, ebenso ist eine regelmäßige und kontinuierliche Teilnahme an der Gruppe sehr wichtig", so das Duo.
Hilfsmittel gegen toxische Männlichkeit
Doch nicht nur hinter verschlossenen Türen sollte über das Thema gesprochen werden. Toxische Maskulinität sollte auch im Alltag und in den Medien thematisiert werden. Dabei ist die Frage, wie man toxischer Männlichkeit am besten entgegenwirkt, gar nicht so leicht zu beantworten. Fakt ist: "Mit Sprüchen wie ,Buben weinen nicht!' bringen wir Burschen bereits in sehr jungem Alter bei, sich zu verschließen und Dinge ,runterzuschlucken'. Vielleicht sollten wir Männlichkeit auch weniger ,monokulturell' denken. Besteht nicht die Möglichkeit, dass es mehrere, unterschiedliche Männlichkeiten gibt?"
Was es braucht, so Wagner, sind Männer, die auch gerne mal mutig einen Freund zurechtweisen und einen Diskurs starten, wenn dieser einen sexistischen Witz erzählt. Wichtig sei Akzeptanz und gesundes Interesse aneinander, um alte Strukturen aufzubrechen. "Darüber hinaus denke ich, dass auch bezogen auf Männer ein gesellschaftlicher Diskurs zum Thema Body-Positivity hilfreich sein kann. Wie viele Männer sehen schon so aus wie die männlichen Models auf den Plakatwänden? Und weiterführend auch ein Diskurs zum Thema Schönheitsideale – insbesondere auch zu jenen Faktoren die unveränderbar sind wie Körpergröße, Haarwuchs oder Stimme." Und zu guter Letzt ist es wichtig, Geschlechtsstereotypen zu hinterfragen.
Durch das Projekt "Mannsbuilder" hat sich übrigens auch die Zusammenarbeit zwischen Wagner und Tschannett verändert. "Ich konnte an Matthias auch eine neue Seite kennenlernen: Seine nie enden wollende Zuversicht und Begeisterungsfähigkeit erlaubte es mir, mich zeitweise ein wenig ,zurückzulehnen', Kontrolle abzugeben und mich auch ihm gegenüber was meine Sorgen und Befürchtungen betrifft zu öffnen. Daraus resultierend entstand für mich eine intensivere Vertrauensbasis – auch auf unsere Freundschaft bezogen", sagt Wagner. Tschannett kann das nur bestätigen: "Im Zuge unserer Zusammenarbeit habe ich Benni auch in diesem Kontext als jemanden kennengelernt, der mutig Dinge ausprobiert, dem es gelingt mit Hypothesen und Gedankengängen zu überraschen und damit ein Stück weit zu irritieren. Wenn sich unsere Beziehung als Kollegen und Freunde verändert hat, dann hat sie sich in meinem Empfinden weiter verfestigt."
Claudia Mann