Dieser Artikel ist zuerst bei "SOS Mitmensch" erschienen. An dieser Stelle wird in den nächsten Wochen immer freitags ein Porträt aus der Reihe "Hier angekommen: Ältere Menschen und Familien nach der Flucht" veröffentlicht.

"Mein Name ist Ghousuddin Mir. Ich bin 62 Jahre alt und arbeite als muttersprachlicher Betreuer in einer WG für geflüchtete Jugendliche in Wien. Ich musste damals selbst mit meiner Familie flüchten, als die Mujaheddin in Afghanistan einmarschierten. Ich bin in Kabul geboren und habe dort meine gesamte Schullaufbahn abgeschlossen. Anschließend studierte ich Logistik an der Militärakademie.

Schicksalhaftes Treffen am Flughafen

Dass ich nach Österreich gekommen bin, ist einem Zufall geschuldet. Ich war als Major für die Grenzkontrolle am Flughafen in Kabul zuständig, als dort eines Tages der österreichische Professor und Menschenrechtsexperte Felix Ermacora ankam.

Wir unterhielten uns und als guter Gastgeber beantwortete ich ihm alle seine Fragen. Er besuchte Afghanistan, um dort die Menschenrechtssituation zu beurteilen. Ermacora gab mir seine Visitenkarte und sagte, wenn ich einmal etwas bräuchte, könne ich mit ihm rechnen.

"Der Geheimdienst suchte mich"

1994 musste ich mit meiner Frau und unseren fünf Kindern aufgrund des Bürgerkriegs nach Pakistan fliehen. Dort habe ich gesehen, dass viele Frauen, darunter auch meine eigene, von den pakistanischen Behörden unter Druck gesetzt wurden. Beamte bedrohten und misshandelten sie teilweise, bevor sie ihre Dokumente bekamen.

Ein Freund und ich haben daher eine große Demonstration organisiert. Wir haben ein Plakat geschrieben, auf dem stand: 'Ihr seid Muslime, warum tut ihr das mit Frauen?' Das führte dazu, dass ich in Pakistan in Gefahr war. Der Geheimdienst suchte mich und ich erinnerte mich wieder an die Visitenkarte.

Hilfe aus Österreich

Ich habe Professor Ermacora ein Fax geschrieben – damals machte man das noch so – und berichtete, dass ich in Peschawar sei und in einer Notsituation. Drei Tage später war er da und bot seine Hilfe an. Er schickte mich zur österreichischen Botschaft und mit seiner Unterstützung bekam ich ein Visum. Erst wollte ich es nicht annehmen, weil es nur für mich galt und nicht für meine Familie, aber der Professor überzeugte mich, dass mein Leben hier in Gefahr war und dass ich als Erster gehen müsse, um meine Frau und meine Kinder nachzuholen.

Zwei Jahre ohne die Familie: "Das hat mich fertiggemacht"

Ich habe einen Tag nach meiner Ankunft in Österreich Asyl bekommen. Die Familienzusammenführung hat dann allerdings fast zwei Jahre gedauert und das hat mich fertiggemacht. Es gab damals keine Deutschkurse für Geflüchtete und auch keine Möglichkeit für eine Ausbildung.

Ich arbeitete als Putzmann im Flüchtlingslager und habe mich dann mit verschiedenen Jobs durchgeschlagen. Ich habe von Anfang an gearbeitet. Später habe ich dann erst verschiedene Ausbildungen gemacht.

"Wir sind für alle da"

Die Dinge, die ich erlebt habe, als wir als Flüchtlinge in dieses Land gekommen sind, wo uns keiner geholfen hat und keine afghanische Community da war, haben mir gezeigt, was ich für andere tun muss. 1996 gründete ich den afghanischen Kulturverein Akis (Afghanische Kultur Integration Solidarität), der Geflüchtete beim Ankommen in Österreich unterstützt.

Akis ist ein Verein, und das sage ich sehr laut und stolz, bei dem einzig die Kultur eine Rolle spielt, nicht die Religion, die Volksgruppe oder die Sprache. Wir sind für alle da. Wir arbeiten gemeinsam als Menschen für Menschen.

Unterstützung Geflüchteter

Bis heute haben wir über 20.000 Geflüchtete unterstützt. Wir hatten vor Schwarz-Blau auch einen Vertrag mit dem Innenministerium und haben Beratung und Wertekurse für Flüchtlinge angeboten. Wir bekamen eine Förderung für 2000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, im Endeffekt waren es über 7000 und die Hälfte davon Frauen.

Im Jahr 2000 gründete ich die Zeitschrift "Banu", die afghanische Frauen über ihre Rechte in Österreich aufklärt. Gemeinsam mit "Jugend eine Welt" und den Salesianern versuchen wir auch, Menschen direkt in Afghanistan zu helfen – egal ob mit Lebensmitteln, Bildung oder Sachspenden.

Inspiriert von Don Bosco

In Österreich werden afghanische junge Männer oft mit Kriminellen gleichgesetzt. Inspiriert von Don Bosco, versuche ich, Jugendliche direkt auf der Straße anzusprechen. Viele von ihnen haben ihr ganzes Leben im Krieg verbracht. Sie kommen hierher und stehen unter immensem Druck von ihren Familien. Sie sind mit dem letzten Geld geflüchtet und dürfen nicht arbeiten, weil sie jahrelang auf ihren Bescheid warten.

Sie sitzen im Lager ohne Perspektive und schauen Nachrichten aus der Heimat. Sie werden depressiv und aggressiv. Das ist ein Teufelskreis, den man durchbrechen muss. Politikerinnen und Politiker spielen mit den Geflüchteten und nutzen sie für den Wahlkampf aus – egal ob links oder rechts –, anstatt richtige Lösungen anzubieten.

"Die Menschen müssen sich mitteilen"

Ich selbst habe drei Söhne und zwei Töchter. Sie arbeiten bei der MA35, der Bank, im AKH, bei Billa Plus – sie sind Mütter und Väter. Auch Geflüchtete und ihre Kinder sind die Zukunft dieses Landes. Ich appelliere an die Regierung, an alle Parteien, bitte geben Sie Vereinen wie Akis eine Chance. Seit die FPÖ an der Regierung war, bekommen wir keine Förderung mehr. Wenn wir wenigstens einen Raum zur Verfügung hätten, könnten wir dort Bildung, Sprachkurse und andere Aktivitäten anbieten. Die Menschen müssen raus und sich mitteilen."