Mit der Entscheidung rund um das Recht auf Abtreibung in den USA hat der Oberste Gerichtshof weltweit Diskussionen zum Thema Kinderkriegen befeuert. Aber was, wenn Kinder gar kein Thema sind? "Ich bin jetzt 29. Klischeehaft würde man sagen: Da tickt doch die biologische Uhr", sagt Jana Svoboda. Aber genau dieses Ticken spürt sie nicht. Dass die junge Frau keine Kinder möchte, ist ihr im Grunde schon seit einer ganzen Weile klar. „Mein Leben hat sich einfach immer komplett abseits von dem Thema abgespielt.“
Ein erfülltes Leben - ohne Kind
Einen Wunsch nach Kindern verspürt sie nicht. Viel wichtiger ist der 29-Jährigen ihr Leben den eigenen Vorstellungen entsprechend zu gestalten, zum Beispiel die Welt zu erkunden. Die Niederösterreicherin arbeitet für eine globale Tierschutzorganisation und träumt davon, für ihren Job eine Weile ins Ausland zu gehen. „Ich bin ein Mensch, der sich gerne um andere kümmert - um Freunde, Familie oder Tiere. Aber dann möchte ich mich dem auch vollkommen hingeben und viel Zeit darin investieren können.“ Mit einem Kind wäre das für sie nicht vereinbar.
Dass Menschen sich bewusst gegen Nachwuchs entscheiden, ist heute keine Seltenheit mehr. Bei einer Studie aus Michigan hat ein Viertel der Befragten angegeben, keine Kinder zu wollen - und mit dieser Entscheidung glücklich zu sein.
Leben und leben lassen
Dass Jana keine Kinder möchte, damit geht die junge Frau offen um. Warum auch nicht? Für sie steht schließlich fest, dass sie keine Kinder will - für ihr Umfeld offenbar weniger. „Ich würde behaupten, dass ich einen total offenen Freundeskreis habe, aber selbst da kommen manchmal Sätze wie ‘Wenn du dann über 30 bist’ oder ‘Vielleicht fehlt der richtige Mann’.“
Auch wenn Jana gelernt hat, mit solchen Kommentaren umzugehen, fühlt sie sich dadurch bevormundet. „Dabei würde ich genauso wenig darüber urteilen, dass jemand Kinder haben möchte."
Muss denn Frau auch Mutter sein?
Gesellschaftlich werden Weiblichkeit und Mutterschaft noch immer eng miteinander verbunden. Nicht selten werde es als naturgegeben angesehen, dass eine Frau automatisch auch Mutter werden will, sagt Jana Mikats. Sie ist Soziologin mit Schwerpunkt Familie und Geschlechterforschung. „Ein Problem dieser Erklärungslogik ist, dass das im Umkehrschluss bedeuten würde, dass Frauen, die keine Kinder bekommen, keine ‘echten Frauen’ sind.“
Mikats erklärt, dass die Natur als Argumentationsgrundlage häufig dann herangezogen wird, wenn versucht werde, gesellschaftliche Verhältnisse zu legitimieren. Dabei sei es jedoch jeder Frau selbst überlassen, zu entscheiden, ob sie Kinder möchte – oder nicht.
In Hinblick auf die Beweggründe, die für manche Menschen gegen Kinder sprechen, wirft Mikats aber noch eine ganz andere Frage auf: „Welche gesellschaftlichen Verhältnisse bräuchten wir, dass es Menschen leichter gemacht wird, ein Kind großzuziehen? Warum werden Personen mit vielen Fragen alleine gelassen und sind dann eben überlastet, sodass es für manche Menschen unattraktiv erscheint, Kinder zu bekommen?“
Vorsicht bei Fragen nach der Familienplanung
Unabhängig davon, ob sich eine Person für oder gegen Nachwuchs entscheidet: Die Soziologin empfiehlt Außenstehenden, mit Fragen zur Familienplanung vorsichtig zu sein: „Ist das überhaupt eine angebrachte Frage, um sie einfach mal so zwischen Tür und Angel zu stellen?“ Stattdessen regt sie zu einem sensiblen Umgang mit dem Thema an: „Wenn der eigene Lebensentwurf kein Kind enthält, will man mit der Frage nach der eigenen Familienplanung vielleicht nicht alle paar Tage darauf reduziert werden, dass man möglicherweise reproduktionsfähig ist. Einen Menschen macht so viel mehr aus als diese eine Sache.“
Projekt "I am childfree"
Und dennoch werde Frauen oftmals das Gefühl vermittelt, dass ihnen ohne Kind etwas fehle. Ähnliches hat die britische Fotografin Zoë Noble beobachtet: „Ich wusste immer schon, dass ich keine Kinder möchte. Aber es hat Jahre gedauert, bis ich offen damit umgehen konnte. Ich hatte von Frauen gehört, die als egoistisch, kalt und karrieregeil betitelt wurden“, schreibt sie auf ihrer Homepage. „Ich hatte keine weiblichen Vorbilder ohne Kinder, zu denen ich hätte hinauf schauen können. Daher habe ich mich in meiner Entscheidung allein gefühlt und hatte Angst, meine eigene Wahrheit zu leben. Erst in meinen Dreißigern habe ich das Selbstbewusstsein gewonnen, mich selbst anzunehmen und stolz zu verkünden: Ich bin kinderfrei.“
Daraus ist das Projekt „we are childfree“ entstanden: eine globale Community, in der sich Menschen ohne Kinder gegenseitig austauschen können - unabhängig davon, ob sie sich aktiv gegen Kinder entschieden haben oder aus einem von vielen anderen Gründen keinen Nachwuchs haben.
Video: "Wenn Frau nicht Mutter werden möchte"
Claire Herrmann