41.071 Mails, 350 Stunden Material auf der Mailbox, 744 Tweets, 46 Facebook Nachrichten, vier gefälschte Facebook-Accounts, 106 Seiten Briefe und eine Tasse Tee. Die neue Serie „Baby Reindeer“ auf Netflix bricht gerade alle Rekorde, allein in der ersten Woche wurde sie 13,3 Millionen Mal gestreamt und belegt Platz eins der internationalen Netflix-Charts.
Bizarre Stalking-Geschichte
Doch was steckt hinter dem eigentlich harmlos klingenden Titel? Es handelt sich um eine Stalker-Story der etwas anderen Art. Im Vergleich zu Serien wie „You“, in der der Mann gezielt Frauen verfolgt, ist hier eine Frau am Werk. Zudem ist die Geschichte nicht fiktiv, sondern basiert auf Erlebnissen des schottischen Komikers Richard Gadd (34). In seinen 20ern traf er in einer Bar auf eine Frau, die er auf eine Tasse Tee einlud, um sie aufzuheitern. Die Folgen dieser eigentlich guten Tat waren fatal und veränderten das Leben des Protagonisten für immer.
Der Autor und Komiker versuchte das Erlebte irgendwie zu verarbeiten und stellte eine „Ein Mann Comedy-Show“ auf die Beine. Diese fand so großen Anklang, dass sie nach London verlegt wurde und schließlich der Streaminggigant Netflix an ihn herantrat. Mit der Adaption in eine Mini-Serie hofft der 34-Jährige nun ein größeres Publikum zu erreichen. „Ich hoffe, dass Leute, die Ähnliches erlebt haben, nun weniger Scham empfinden. Sie können so auch versuchen, das Erlebte zu verarbeiten.
Obwohl die Thematiken der Serie bizarr und belastend sind, hat Gadd versucht humoristische Elemente zu integrieren, um die Geschichte aufzulockern. Es werden unter anderem Tabuthemen wie sexueller Missbrauch und psychische Probleme thematisiert. Der 34-Jährige war nicht nur maßgeblich an der Entwicklung der Serie sowie dem Schreiben des Drehbuchs beteiligt, sondern nimmt auch die Rolle des Protagonisten ein.
Trotz all dem Lob und den positiven Kritiken, nahm der Erfolg der Serie jüngst eine negative Wendung. Das Team musste im Zuge der Dreharbeiten die Namen sowie bestimmte Details der Charaktere und Geschichte ändern, um die wahren Personen hinter der Story sowie ihre Familien zu schützen. „Man kann nicht einfach das Leben und den Namen von jemandem kopieren und es ins Fernsehen packen. Und natürlich war uns sehr bewusst, dass einige der Dargestellten sehr verwundbare Leute sind, also möchte man deren Leben nicht noch schwerer machen“, erzählt er im Interview mit „Variety“.
Doch diverse Hobby-Detektive machten sich ans Werk und verbreiteten im Netz wirre Theorien, wer wohl hinter Stalkerin Martha, Transfrau Terri oder dem TV-Autor Darrien steckt. Dies führte unter anderem zu Anschuldigungen gegen den britischen Regisseur und Autor Sean Foley, der auf X, vormals Twitter, Stellung bezog. „Die Polizei ist informiert und untersucht alle diffamierenden, beleidigenden und bedrohenden Posts gegen mich“, schreibt er.
Nach den wüsten Anschuldigungen gegen Foley meldete sich auch Macher Gadd zu Wort und verteidigte ihn. Der appellierte am Anfang der Woche an seine Fans via Instagram, damit aufzuhören. „Bitte spekuliert nicht darüber, wer die realen Personen sein könnten. Darum geht es in unserer Serie nicht.“
Denn der Schotte möchte betonen, dass Martha keinerlei Schuld trifft. „Ich kann nicht oft genug betonen, was sie in dieser ganzen Situation für ein Opfer ist. Stalking ist eine Krankheit. Es wäre falsch, sie als Monster darzustellen, weil sie krank ist und das System sie übergangen hat“, sagt er in einem anderen Interview mit der „Times“.